06/02/2017

Ist billiges Bauen zu teuer?

Nachbericht zur Podiumsdiskussion des Ausschusses Nachhaltiges Bauen der bAIK am 25. November 2016 unter der Moderation von Reinhard Seiß

06/02/2017

Am Podium: Höbarth, Aulinger, Köppl, Seiß, Modera (v.l.)

©: art:phalanx

Leistbares Wohnen ist aufgrund aktueller gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen in aller Munde. Die Folgen des billigen Bauens für die Lebensdauer von Gebäuden, die Umwelt und die damit verbundenen Kosten werden jedoch zu wenig bedacht. Dies nahm der Ausschuss Nachhaltiges Bauen der Kammer der ZiviltechnikerInnen zum Anlass, um die Frage zu stellen: Ist billiges Bauen zu teuer?. VertreterInnen aus dem Bauwesen, Politik und Wirtschaft diskutierten am 25. November 2016 unter der Moderation von Dr. Reinhard Seiß verschiedene Aspekte des Themas sowie Wege für günstiges und zugleich nachhaltiges Bauen.

Was kostet ein Gebäude? Eine häufige Frage, deren Beantwortung oft nicht die Realität widerspiegelt. Meist werden nur Herstellungskosten herangezogen, die sich um maximal fünf Prozent erhöhen, wenn ein Gebäude energetisch höchst effizient erbaut wird. Die Kosten in der Betriebsphase und die Auswirkungen auf die Umwelt, die auf volkswirtschaftlicher Ebene relevant sind, werden hier allerdings nicht berücksichtigt. Dies betonte Architektin DI Ursula Schneider, Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltiges Bauen, schon zu Beginn des Abends. Die Beurteilung der durch ein Gebäude erzeugten Kosten sei in diesem Sinne nur über dessen Lebenszyklus und gesamthaft möglich – primärenergetisch höchsteffiziente Gebäude verursachen unter dieser Betrachtung die geringsten Kosten.

Dies bestätigte auch Dr. Angela Köppl, Umweltökonomin am WIFO, die die Bedeutsamkeit von Gebäuden als Infrastrukturbereich der Volkswirtschaft aufzeigte. Österreich müsse seine Treibhausemissionen drastisch senken, um die Sustainable Development Goals der Vereinten Natioinen sowie das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Dabei seien Gebäude ein auf drei Ebenen relevanter Faktor: physisch über den Energieverbrauch und den Emissionsausstoß bei Produktion und Betrieb, ökonomisch über Investitionen in den Kapitalstock, die über Verflechtungen der Wirtschaftssektoren Nachfrage und Beschäftigung schaffen, und institutionell in Form von Regulierungen. Herkömmliche Evaluierungsmodelle seien allerdings nicht in der Lage, diese Charakteristika – insbesondere die gemeinsame Erfassung der Investitions- und Betriebsphase – zu berücksichtigen. Dementsprechend seien neue, vertiefte strukturelle Modellansätze vonnöten, die energierelevante Funktionalitäten oder Energiedienstleistungen in den Mittelpunkt stellen. Energiedienstleistungen könnten mit einem unterschiedlichen Ausmaß an Energieflüssen bereitgestellt werden, je nach Menge und Qualität des eingesetzten Kapitalstocks, erinnerte Köppl. Immobilien- und Wohnwirtschaft sowie Politik würden jedoch deutlich weniger auf den Zusammenhang zwischen Qualität des Kapitalstocks und daraus resultierenden Energieflüssen fokussieren und rechnen oft in wesentlich kürzeren Zyklen als der tatsächlichen Lebensdauer von Gebäuden. Hier in Form von Vorschriften von politischer Seite her einzugreifen, sei schwierig. Mit Wohnbauförderungen gebe es allerdings ein gutes Instrument, um regulativ anzusetzen.

Mag. Wolfgang Modera, Mitglied des Vorstands der Gemeinnützigen Industrie-Wohnungs-AG, hakte an dieser Stelle ein und wies auf einen drastischen Rückgang im Feld der individuellen Wohnbauförderungen hin – sowohl hinsichtlich Sanierungsförderungen als auch jener zur Errichtung von Eigenheimen. Dies, obwohl die Zahl der errichteten Eigenheime kaum zurückgehe, der Traum des freistehenden Einfamilienhauses bestehe weiter. Er sieht darin eine Flucht aus förderrechtlichen Bestimmungen, die im Zusammenhang mit der Zwecklogik von BauherrInnen stehe, kostengünstig zu bauen. Nicht geförderte Bauweisen würden auf den ersten Blick günstiger erscheinen, eine tragende Rolle spiele hier das aktuelle Zinsniveau. Förderinstrumente würden nur mehr im Zusammenhang mit anderen politischen Maßnahmen greifen: Im mehrgeschoßigen Wohnbau, wo gemeinnützige Bauvereinigungen auf die Förderstrukturen der Bundesländer angewiesen seien. Deswegen bedürfe es neuer Instrumente, um im individuellen Wohnbau eingreifen zu können. Auf die Frage des Moderators, warum Genossenschaftswohnungen sobald sie ausfinanziert seien, eigentlich nicht billiger werden, antwortete Modera, dass nach Tilgung der für die Errichtung aufgenommenen Finanzierungen die Miete auf ein Grundentgelt abgesenkt werde. Zudem könne ein Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag zur Sanierung und Anschaffung von Bauland eingehoben werden. Sanierungen werden in der Regel nach 25 Jahren ab Erstbezug durchgeführt und Genossenschaftswohnungen seien im Unterschied zum privaten Eigentum somit auch ausreichend saniert.

Architekt DI Christian Aulinger, Präsident der Bundes-Kammer der ZiviltechnikerInnen, erläuterte daraufhin Faktoren, durch die Eingriffsmöglichkeiten auf Kostentreiber im Wohnbau bestehen: Grundstückspreise – die in Österreich in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt um 67 % gestiegen seien und somit den größten Kostenfaktorbilden –, Gesetze und Regulative wie etwa Bauordnungen oder Normen sowie die gängige Vergabepraxis. Gerade im Wohnbau sei eine Entwicklung in Richtung teurerer Generalunternehmervergaben zu beobachten, eine Praxis, über deren zunehmendes Erstarken Aulinger an diesem Abend zur Diskussion anregen wollte. Hinsichtlich der Frage des Moderators, wie weit die ArchitektInnen Österreichs ihr Innovationspotenzial in den letzten Jahren genutzt haben, um nachhaltiges, leistbares Wohnen voranzutreiben, argumentierte Aulinger, dass diese Innovationen sehr wohl geplant werden, sie durch ein Korsett aus Vorgaben allerdings nicht ausreichend zur Umsetzung kommen. Besonders gut geschnittene Wohnungen – ein Kern der ArchitektInnenkompetenz – würden deutlich zur Leistbarkeit beitragen. Dies wäre aber nicht ausreichend bekannt, auch bedingt durch fehlende Evaluation. Gerade deswegen sei aber die Frage zu stellen, wie den Menschen vermittelt werden könne, dass sie in gut geschnittenen, kleineren Wohnungen auf keinen Komfort verzichten müssten. Nur so lasse sich der Wohntraum des freistehenden Hauses, das zumeist einen hohen Quadratmeterverbrauch pro Person aufweise, hintanreihen.

DI Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds, verwies auf den Österreichischen Sachstandsbericht Klimawandel 2014 und identifizierte Gebäude als Schlüssel für die Energiewende, da rund ein Drittel der Treibhausgase sowie des Energieverbrauches hier entstehen. Er bezifferte die derzeitigen Folgekosten aus Klimawandelschäden mit 1 Milliarde Euro pro Jahr, die jedoch bis 2050 auf 8 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen würden. Es sei deshalb dringend erforderlich, zu sanieren und gleichzeitig Qualitätsstandards massiv zu heben, da dies die Treibhausemissionen und damit die Klimakosten der nächsten 40 Jahre beeinflusse. Gleichzeitig sei Aufklärungsarbeit notwendig, indem mit Fakten gegen Mythen in der Diskussion um nachhaltiges Bauen vorgegangen werde. Diese Nachhaltigkeit könne aber auch keinesfalls unabhängig vom Thema Mobilität gesehen werden, da der Standort eines Gebäudes und das dadurch entstehende Verkehrsaufkommen wesentlich in dessen Effizienz einfließen und Stellplatzregelungen gleichzeitig klare Kostenfaktoren im Bauseien.

Wie leistbarer nachhaltiger Wohnbau aussehen kann, präsentierte Ing. Engelbert Spiß, Geschäftsbereichsleiter der Neuen Heimat Tirol Gemeinnützige Wohnungs-GmbH. Ziel müsse es sein, angenehmes nachhaltiges Wohnen für alle leistbar und nicht zu einem Privileg für Wohlhabende zu machen. Dies sei das Ansinnen der Neuen Heimat Tirol, die durch zahlreiche Maßnahmen in Bau und Betrieb von Wohnbauten besonders günstige Mietwohnungen in Passivhausqualität anbieten könne, deren Miete im Schnitt bei 6 Euro pro Quadratmeter (brutto, warm, ohne Garagenplatz) liege. Derzeit sei ein Modell in Entwicklung, bei dem sogar auf 5 Euro reduziert werden könne. Diese Kombination von Leistbarkeit und Klimazielen wird – trotz eines Bekenntnisses zu investiv teuren hinterlüfteten Fassaden – durch die Zusammenarbeit mit ArchitektInnen und der eigenen hohen Expertise in der Realisierung und dem Betrieb von Passivhäusern optimiert.

Dass leistbare nachhaltige Wohnbauprojekte vor allem unter relativ flexiblen Rahmenbedingunen wie jenen in Tirol, wo Zielwert-Vorgaben gemacht werden, möglich seien und diese derzeit unter dem oberösterreichischen Standard-Ausstattungskatalog in dieser Form eventuell nicht zur Ausführung gelangen könnten, bildete den Abschluss der Diskussion.

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