04/12/2008
04/12/2008

Buchdeckel

Zwar pilgert alle Welt im Zweijahres-Rhythmus zur international bedeutendsten Architekturschau nach Venedig, doch ist damit die Unsicherheit über die Relevanz der gegenwärtigen italienischen Architektur nicht gemildert. Das zu ändern, hat sich Alberto Alessi vorgenommen. In der Cornell University in Ithaca/ New York startete sein Projekt im März 2005 und in der ETH Zürich, organisiert vom gth, dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, fand es im April 2008 seine nächste Station. Was es mit der Architektur seiner Landsleute auf sich hat, will der italienische Architekt, Ausstellungsmacher, Architekturkritiker, kreativer Kopf der Designfabrik Alessi, sowie an der HSLU Luzern und Universita di Ferrara tätige Alberto Alessi ergründen. Er stellt die Ausstellung “Italy now” mit begleitenden Dialogveranstaltungen zu Positionen von 20 Architekturbüros in 11 Standorten Italiens zusammen, zeigt sie in den USA, dann in der Schweiz und bringt das hier vorgestellte Buch heraus. Es ist die aktuelle Bestandsaufnahme der Architektur in Italien, mit Büroprofilen, Bildern von Bauten und Projekten der 20 beteiligten Büros von "ABDR" bis "5+1AA".

Um herauszufinden, ob es Gemeinsamkeiten in den Ansichten über Architektur gibt, welchen Stellenwert sie in der Gesellschaft Italiens hat, warum man sich auch international überhaupt mit ihr beschäftigen soll, stellte er allen 20 Gesprächspartnern die selben Fragen:

1. Wie definieren sie Architektur und was bedeutet es gegenwärtig, Architektur zu machen?
2. Gibt es eine italienische Architektur, was charakterisiert sie und inwiefern kann von ihr die Rede sein?
3. Welche Werte und Ziele streben sie in ihrem architektonischen Schaffen an und aus welchem Grund?

Die meisten Befragten lassen sich ausführlich auf ihre durchaus unterschiedlichen Standpunkte ein. Beniamino Servino genügen ein paar wenige Worte und Sätze: "Architektur ist ein Job" oder “Italienische Architektur existiert und ist Teil des genetischen Codes. Man diskutiert sie am besten genau so wie Geschichte, Geografie oder Wirtschaft”.

Vertiefende Ansichten zum Thema können dem kritischen Teil des Buches entnommen werden. Pier Vittorio Aureli aus Rom, im Berlage Institut/TU Delft lehrend, und Gabriele Mastrigli, ebenfalls aus Rom, an der Ascoli Piceno School of Architecture lehrend und an verschiedenen Universitäten in Europa und den USA vortragend, beleuchten Hintergründe und Gegenwart italienischer Architektur. Fazit: Zeitgenössische italienische Architektur bietet Besonderheiten und Qualitäten, die eine Vermittlung rechtfertigen.

Auf den 143 in englischer und italienischer Sprache abgefassten Seiten wird dem Leser ein faszinierender Blick auf die jüngere Architektengeneration (Stars wie Renzo Piano oder Massimiliano Fuksas kommen nicht vor) und ihr Denken geboten. Ein längst fälliger Blick, bedenkt man welch großer Einfluss auf Generationen von Architekten und Stadtplanern von Italien im 20.Jahrhundert ausging. Beginnend in den 1920er Jahren erreichte die Italienische Moderne nach dem Ende des Faschismus 1945 eine Vorreiterrolle, die sie bis in die 1960er Jahre behielt. Namen wie Pier Luigi Nervi, Gio Ponti, Giovanni Michelucci, Carlo Scarpa, Archizoom, Superstudio, Aldo Rossi, Giorgio Grassi und viele andere stehen für diese.

“Wie immer man Architektur in Italien einschätzt, sicher ist eines – sie ist farbiger, extremer in ihren unterschiedlichen Positionen. Sie ist mehr als anderswo Experiment” (Zitat von Jürgen Joedicke in der Dissertation von HJ Breuning).

Was Alberto Alessi selbst zum Thema schreibt und welche Beispiele er anführt, lesen Sie unter diesem Link (übersetzt ins Deutsche von Tiziana de Filippo) nach:
www.magazin-world-architects.com/ch_08_15_onlinemagazin_gereist_de.html

ITALY NOW ?
Country Positions in Architecture
Birkhäuser Verlag, New York 2007.
ISBN 978-0-9785061-0-0.
Edited by Alberto Alessi
Foreword by Mohsen Mostafavi
Cornell AAP Publications, Ithaca, New York, 2007
Weitere Bücher Alberto Alessis:
Alberto Alessi: Monografie über Heinz Tesar (2002) Alberto Alessi und Joe Coenen: Shared Architecture (2006)

Alberto Alessi
• 1964
• Architekturstudium am Politecnico in Milano
• Weiterbildung ETH Zürich
• 1994 Nachdiplom in Theorie der Architektur an der Universite Paris-Villemin
• ab 1995 eigenes Architekturbüro in Rom
• seit 2004 in Zürich
• 1998 – 2004 Assistant an der ETH Zürich
• 2006 Gastprofessur an der Cornell University in Ithaca
• seit 2006 Dozent für Architekturtheorie an der HSLU Luzern
• seit 2007 Professor an der Universita di Ferrara

Verfasser/in:
Karin Wallmüller, Buchrezension
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