28/06/2004
28/06/2004

Das Haus, Hauptdarsteller in Mon Oncle

Filmplakat zu "Mon Oncle"

Filmplakat zu "Die Ferien des Monsieur Hulot"

Jacques Tati selbst

Szene aus Playtime (1967)

Jacques Tati und die oft verborgene Komik in den Dingen

Das Wiener Gartenbau-Kino zeigt in einer Retrospektive bis einschließlich 4.Juli alle Filme von Jacques Tati (sein gesamtes Oevre umfasst leider nur sechs Spielfilme und drei Kurzfilme). Die Österreichische Gesellschaft für Architektur, ÖGfA, hängt sich an die Hommage an den unnachahmlichen französischen Regisseur und Hauptdarsteller seiner eigenen liebevoll-skurrilen Inszenierungen mit einer Diskussion an, die Jacques Tatis Kritik an der architektonischen Moderne zum Titel und zum Thema hat.
Die Fragwürdigkeit der Behauptung, dass Tatis Filme, vor allem Mon Oncle (1958) und Playtime (1967) als „eine Kritik an der architektonischen Moderne“ gelesen werden können, thematisiert die ÖGfA selbst, wenn sie in ihrer Veranstaltungs-Ankündigung ein paar Sätze später die Frage stellt: Doch kann seine Auseinandersetzung mit Architektur auch anders, differenzierter interpretiert werden?
Sie kann, gewiss.
Tatis Filme sind dem Inhalt nach fern jeder sozio-kulturellen Kritik, der Form nach fern jeglicher Holzhammermethode. Francois Truffaut, auch Kritiker in Cahiers du cinema, hat in seiner Rezension zu Mein Onkel von Tatis Beobachtungshumor gesprochen. Das Verhalten von Menschen und die Dinge selbst sind sonderbar und erstaunlich für den meisterlichen Beobachter des Lebens. Sie nötigen ihm und uns, den Zuschauern, ein Lächeln ab. Tati geht es weder um Übertreibung ins Groteske noch um die Bloßstellung seiner Figuren. Er schafft keine Extrem-Situationen, sondern beobachtet kleine Alltagssituationen. Tati ist vielmehr ein Sittenschilderer, der den Blick schärfen will für die oft verborgene Komik im Alltäglichen.

In der Gegenüberstellung der hypermodernen Villa mit der gemütlichen Pariser Vorstadt in Mon Oncle zeigt sich, dass er eine besondere Vorliebe für die Idylle des Dorflebens hat. Ihm daraus Konservatismus zu unterstellen, trifft die Sache nicht ganz. Sicher ist Tati an der Darstellung gegensätzlicher Zustände interessiert – schon allein aus dramaturgischen Gründen.
Mon Oncle (1958) ist, nach „Die Ferien des Monsieur Hulot (1953) wieder Monsieur Hulot, gespielt von Jacques Tati. Er lebt in einem leicht verkommenen, aber romantischen Stadtviertel in Paris, in dem es Nachbarschaftshilfe und Saufkupanen gibt, den Straßenfeger, der immer Zeit für einen Plausch hat und die streunenden Hunde, die Mülltonnen umkippen, um sie nach essbaren Resten zu durchsuchen.
Auf der anderen Seite beherrscht die Atmosphäre des sterilen technischen Fortschritts, verkörpert in dem Haus, das die reichen Verwandten bewohnen, jegliches Handeln der Menschen. Diesem liefern sie sich genauso zwanghaft aus wie die weiblichen Gäste der Hausbesitzer der Mode. Und so stolzieren sie alle völlig unnatürlich, in Posen erstarrt, durch Haus und Garten und die vollautomatische blitzsaubere Küche – Bedienung auf Knopfdruck - in der nach automatisiertem Wendemanöver doch nur ein verkohltes Steak den mageren Output darstellt.
Was Tati ausdrücken will, ist die freiwillige Unterwerfung der Menschen dem technischen Fortschritt gegenüber. Ich denke, dass für ihn die Moderne der Inbegriff eines anderen verschrobenen Daseins war, in dem die Dingwelt den Menschen beherrscht und unfrei macht. Unfrei. das sind seine Protagonisten der anderen Welt, der Vormodernen, nicht.
Aber ganz abgesehen von Analyse und Interpretation des Films „Mon Oncle“ ist dieser im höchsten Maß einfach genussvoll anzuschauen. Amuüsant, mit allen Attributen einer Technik- und Formgläubigkeit der 50er-Jahre ausgestattet, die uns heute gar nicht so fremd sind. War man damals damit beschäftigt, die richtigen Knöpfe zu drücken, um dem eintretenden Gast mit einer blau gefärbten Wasserfontaine aus dem Maul der stahlglänzenden Fischplastik im Garten zu imponieren, so versucht man das heute mittels hochkompliziert zu bedienendem Bildschirmhandy, das mancherlei PiPaPo kann. Und nicht selten ähnelt die Gartengestaltung der Architekten heute, zumindest am Papier vieler Wettbewerbsbeiträge, jener im Garten von Monsieur Hulots Schwester und Schwager. Streng geometrisch und verhaftet im Grafischen, steril und aufgesetzt. Zurechtgebogene Natur, der man wie Monsieur Hulot durch wildes Stutzen von akkurat geschnittenem Spalierobst ein wenig Exzentrik zurückgeben will – oder auch die Freiheit.

Das genaue Programm der Filme im Wiener Gartenbaukino, die noch bis 4.Juli täglich um 19Uhr00 und um 21Uhr00 laufen, am Wochenende auch um 17Uhr00, entnehmen Sie den folgenden Links.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova "Kommentar"
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