23/08/2019

Kunst in Krems – Eine Mondlandung

Emil Grubers Erkundungen der Kunstmeile Krems

Landesgalerie Krems
Ich bin alles zugleich
bis 16.08.2020
Sehnsuchtsräume
bis 19.04.2020
– Heinz Cibulka
bis 29.09.2019
Renate Bertlmann
bis 29.09.2019
 
Kunsthalle Krems
– Ticket to the Moon
bis 3.11.2019
 
Karikaturenmuseum Krems
– Wettlauf zum Mond
bis 27.10.2019
 
Kombi-Ticket für alle drei Häuser sowie weitere drei Museen (u.a. Forum Frohner, Museum Krems, Dominikaner Kirche): € 18 (pro Haus ein Mal einlösbar bis Ende 2019)

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23/08/2019

Kunstmeile Krems – Niederösterreichische Landesgalerie: Ansicht Richtung Haupteingang. Architektur: Marte.Marte. Alle Fotos Emil Gruber, Juli 2019

Landesgalerie, Ansicht Richtung Donau.

Landesgalerie, Dachterrasse: seitliches Fenster

Landesgalerie: Blick zur historischen Stadtmauer von Stein mit 'spezieller' Fensterlösung

Terrasse der Landesgalerie: Dan Grahams 'Mondfenster'; Blick über die Donau mit Stift Göttweig

Landesgalerie: Renate Bertlmann 'Hier ruht meine Zärtlichkeit'

Landesgalerie: 'Ich bin alles zugleich – Selbstdarstellung von Schiele bis heute'

Kunsthalle: Porträts von 29 Astronauten

Kunsthalle: Flächennutzungsplan für Raumstationen

Karikaturmuseum: Michaela Konrad 'Can This Be Tomorrow?'

Karikaturmuseum: Johnny Bruck 'Perry Rhodan Titelbild'

Karikaturmuseum: Modell der Crest II – Perry Rhodans Hauptreisegefährt um 2400

Sie erinnert an eine abgesprengte und auf die Erde wieder zurückgefallene Raketenstufe. Mit ihren offenen Halbbögen aus Glas zu ebener Erde, ihrem nonchalant kantigen Ausschnitt für eine kleine Dachterrasse himmelwärts und dem metallenen Korpus präsentiert sich die Landesgalerie in Krems als wuchtiges neues Transportmittel für die niederösterreichischen Kunstbestände.

Seit nicht ganz drei Monaten steht das Großod für Talent, Können und Vollendetheit, gerahmt von Kunsthalle, Karikaturmuseum und Gefängnis am Eingang zum Altstadtbereich von Stein an der Donau. Das jüngste und gleich größte Kind der Kunstmeile in Krems hat mit Marte.Marte Architekten Vorarlberger Eltern. Die Feldkirchner erobern seit einiger Zeit durch sehr (s)marte Bauten ohne viel Firlefanz den Westen Österreichs. (Auch ihr Ennssteg in Steyr besticht durch perfekt in die Umgebung eingebettete Ästhetik, ohne dabei die Funktion leiden zu lassen).

Innen wirkt die Landesgalerie Niederösterreich, die noch auf die Ära Pröll als Landeshauptmann verweist, zurückhaltend aufgeräumt, gibt Ausstellungen viel Raum, ohne als Bau Hauptrolle spielen zu müssen. Fünf Ebenen (Inklusive Keller) mit rund 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeugen von Großzügigkeit für die diversen Sammlungen im Besitz des Landes und lassen Kuratorenherzen wohl höher schlagen.

Mit Ich bin alles zugleich – Selbstdarstellung von Schiele bis heute kann kaum ein Museumsbetrieb programmatischer beginnen. Es ist eine Muskelschau der Bestandsschätze, zeigt Götter und Dämonen, Vordenker und Entrückte, die Trommler und die Unmerklichen. Kunst lebt laut und luise, um einen Titel meines Lieblingsdichters (Ernst Jandl) auszuborgen. Kokoschka plaudert mit Gerstl, Nitsch tanzt mit sich, Frohner übergibt posthum Krystufek seinen Pinsel. Gelatin und Helnwein werden eins und eins, während Oswald Tschirtner und August Walla nach der zweiten Zwei suchen.

Eine weitere Schau Sehnsuchtsräume berührt mit dem Durchkämmen von Begriffen rund um Natur, Landschaft, Mensch und (fremde) Heimat. Die Gefahr einer Romantisierung durch Bilder vergangener Idylle von Schiele bis Schindler wird konsequent vermieden. Gedanken im Exil treffen auf Vorstellungen von freiwilliger Ferne. Ekaterina Sevrouk porträtiert Flüchtlinge in der malerischen Landschaft der Wachau (Fremd bin ich hier eingezogen). Iris Andraschek und Hubert Lobnig erweitern ihre 2009 erstmals an einem Waldviertler Grenzübergang aufgestellte Installation Wohin verschwinden die Grenzen? mit aktuellen Topografien der Flüchtlingssituation in Österreich.

Renate Bertlmanns Hier ruht meine Zärtlichkeit im Parterre gibt freudvoll schmerzend surreale geni(t)ale Einblicke in Zeremonien des Männlichen und des Weiblichen: Amo ergo sum.

Im letzten Stock breitet sich eine Personale Heinz Cibulkas aus. Frühe fotografische Arbeiten sind hier genauso zu sehen, wie seine monumentalen Collagen, seine Bildgedichte.

Hier ist auch die Dachterrasse, die einen weiten Blick über die Donau bis Göttweig frei macht. Durch ein in die Fassade geschnittenes, gläsernes Dreieck kann der Verlauf der alten Stadtmauern ebenso erstmals „von oben herab“ gesehen werden. Als Dauerleihgabe beherrscht eine Skulptur aus Glas und Spiegeln das Zentrum der Terrasse. Mit Dan Grahams Mondfenster findet die neue Abschussrampe für Kunst in Niederösterreich ein unendliches Ende.

Während sich Graz eher als die abgewandt dunkle Seite beim Jubiläum zeigt, zelebriert Krems die Mondlandung 1969 an mehreren Schauplätzen der Kunstmeile. Ein Ticket to the Moon kann in der Kunsthalle gekauft werden. Beim Wettlauf zum Mond landen die Besucher im Karikaturenmuseum.

Die Kunsthalle eröffnet mit einem Glanzstück der Ausstellung. Ein junger österreichischer Gymnasiast schrieb Ende der 1960er Jahre als glühender Fan der Raumfahrt an die NASA. Der Brief des Buben blieb nicht ohne Resonanz. Nach einigen Monaten lag ein prall gefülltes Kuvert im Briefkasten des Schülers. Drinnen neben einem Schreiben der NASA 29 signierte(!) Porträts aller damaliger Astronauten, inklusive Armstrong, Aldrin und Collins. Nach Jahrzehnten des langen Schlummerns in einem Tresor ist dieses einzigartige Konvolut erstmals einer Öffentlichkeit zugänglich.

Die Ausstellung selbst? Per aspera ad astra. Die älteren Werke von Rauschenberg, Indiana oder Brandl knattern ein wenig ins All, jüngere Arbeiten, die mit dem Hype ironisch umgehen, haben deutlich mehr Reisegeschwindigkeit. Wendelin Pressls teleskopischer Blick auf die Mondoberfläche entpuppt sich als die raue Wand des Hauses. Sebastian Speckmann zeigt, wie Mensch sich mit benutzen Bratpfannen dem Mond nähern kann. Ein umgedrehtes Bild an der Wand zeigt erstmals die Rückseite Lunas. Sehenswerter Altbestand hingegen die filmische Reise zum Mond aus der Sicht des blühenden Sozialismus der Sowjetunion in den 1930ern.

Eine sentimentale Trägerrakete zündet im Karikaturenmuseum. Auch wenn viele von uns es aus Jugendsündengründen nicht gerne zugeben: Wer 60 Jahre und älter, männlich sowie der deutschen Sprache mächtig ist, hat zumindest es einmal in der Hand gehabt: Ein Perry Rhodan Heft. Die seit 58 Jahren ins Sternenlicht getauchte, älteste Romanheftserie der Welt hat es mittlerweile auf über 3000 Folgen gebracht. 1961 begann alles mit einer Landung des Helden am Mond, seither ist kein Universum mehr sicher vor Perry, Bully, Gucky, Atlan oder meinem persönlichen Favoriten Icho Tolot, dem zwei Tonnen schweren Haluter-Wissenschaftler.

Johnny Bruck war ab Beginn der Serie bis zu seinem Tod ununterbrochen für die Gestaltung der Titelbilder (insgesamt knapp 1800) verantwortlich. Was ebenfalls rekordverdächtig scheint. Die besten Zeichnungen seiner fremden Welten inklusive faszinierender Raumschiffarchitektur (würde Mister Spock jetzt sagen) sind der Hauptdarsteller der Ausstellung.
Neben Perry Rhodan bestechen die fiktiven – von der goldenen Ära der amerikanischen Pulp-Romane und Comics der 1950er inspirierten – Coverentwürfe der Grazerin Michaela Konrad aus dem Can This Be Tomorrow?-Zyklus.

Der letzte Raum im Karikaturenmuseum lüftet ein jahrzehntelang bestgehütetes Geheimnis. Torben Kuhlmanns ArmstrongDie abenteuerliche Reise einer Maus zum Mond erzählt nicht nur für Kinder die wahre Geschichte der ersten Landung auf unserem Trabanten. Ja, es ist nicht alles Käse, was behauptet wird.

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Tipp der Redaktion
Besuchen sie auch die Landesausstellung Niederösterreich 2019! Wie im SPECTRUM-Artikel von Franziska Leeb – Mauer ohne eitle Gesten – vom Samstag, dem 10. August 2019 zu lesen ist, ist den Laibacher Architekten Bevk Perovic in Wiener Neustadt eine sehenswerte Revitalisierung der Kasematten gelungen. Siehe Link > diepresse.com

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