04/04/2012
04/04/2012

Sofie Thorsen: „Schnitt A-A’“, 2012, Video, 5:12 min; „Schlagschatten (Drehbuch oder Partitur)“, 2012, 2 Zeichnungen, Guache auf Papier, je 75 x 800 cm (Foto UMJ)

Sofie Thorsen: „Spielplastiken“, 2010/11, 20 Aluminiumrohre, 13 Inkjetprints auf Papier (Foto UMJ)

Michael Kienzer: „Sich“, 2012 (Foto UMJ)

Michael Kienzer: „Skizze Vol. 6“, 2007 (Alle Fotos UMJ)(Foto UMJ)

Michael Kienzer: „Haltung Vol. 1“, 2007 (Foto wm)

Licht und Eigensinn – Sofie Thorsen und Michael Kienzer im Kunsthaus Graz

Mit Arbeiten von Sofie Thorsen und Michael Kienzer werden zwei in Österreich lebende Künstler präsentiert, die über völlig unterschiedliche Arbeitsweisen und Zugänge doch von denselben Phänomenen handeln: Wie können Sichtweisen als Kunstwerk manifestiert werden.

Das Video „Schnitt A-A’“ (5’12’’) basiert auf statischen Ansichten eines Freiluftkinos an der slowakischen Nationalgalerie in Bratislava. Zu sehen sind ausschließlich architektonische Details in harten Kontrasten von Licht und Schatten, geschnitten in einer Art linear abfolgender Collage, die so zu einer abstrahierten und reduzierten Darstellung des Gesamtensembles wird. Das in den 1970er Jahren errichtete Kino soll im Herbst 2012 abgerissen werden, zuvor wird dieser Film ebendort noch gezeigt werden. Eine filmische Erinnerung an ein Lichtspieltheater, das Spuren von Licht und Schatten in digitalisierter Form hinterlassen haben wird.
Die aus Dänemark stammende und in Wien lebende Sofie Thorsen weitet diesen Werkblock über ein architektonisches Objekt allerdings noch aus. Auf gegenüber der Projektion befindlichen Tischen sind im Format der originalen Baupläne nur die Schlagschatten („Schlagschatten (Drehbuch oder Partitur)“) verzeichnet, die ein maßstäbliches Modell dieses Kinos werfen würde, während auf den Papierbahnen die Planzeichnungen selbst nicht zu sehen sind. In verschiedenen Medien erstellt Thorsen damit eine De- und Rekonstruktion aus Lichtereignissen, die mit einer bald nicht mehr existierenden Ursache verknüpft sind. Eine komprimierte Version des Films ist Trailer des heurigen Filmfestivals Diagonale.

Eine weitere Arbeitsreihe handelt von „Spielplastiken“ (2010/11) die in den 1950er Jahren im Wiener „Kunst am Bau“-Programm errichtet wurden. Künstler entwarfen damals u.a. Klettergerüste als Skulpturen für Spielplätze, entsprechend einer „zentralen Hoffung der Moderne“, damit eine Verbindung von „Ästhetik und Gesellschaft“ (Christian Teckert im Katalog) herbeizuführen. Thorsen benutzt als Ausgangsmaterial eine S/W-Fotodokumentation des Wiener Stadtbauamtes. In einer Installation von großformatigen Reproduktionen der Abbildungen schneidet sie die Spielplastiken aus, erzeugt also Leerstellen im jeweiligen Bild, und hängt sie in Serie von der Decke des Space03 im Kunsthaus ab. Ähnlich Fontanas „Raumkonzepten“ werden diese Bilder nun jeweils selbst zu Skulpturen und erlauben Durchblicke von Bild zu Bild, die in Gesamtansicht, wie in einer Collage, aneinander gereihte Ansichten städtebaulicher Umgebung der Spielplastiken zeigen.

Der dritte Block trägt den Titel „The Achromatic Island“ (2009/10), in dem sich Thorsen gleichsam analytisch mit Sehen und Erkennen auseinandersetzt. Über Generationen waren Bewohner/innen der dänischen Insel Fur von vererbter, völliger Farbenblindheit (Achromatopsie) betroffen. In einem Film, in dem Personen erzählen wie sie die Landschaft wahrnehmen, zeigt Thorsen den Versuch, ebendiese Sehweisen in für Normalsichtige gerade noch wahrnehmbare, stark überbelichtete Schwarz-Weiß-Bilder umzusetzen.

Groß angelegt ist eine Werkschau von Michael Kienzer unter dem Titel „Logik und Eigensinn“. 1962 in Steyr geboren, zählt Kienzer heute zu den zweifellos wichtigsten österreichischen Plastikern. Neben inzwischen zahlreichen Auszeichnungen erhielt er 2000 den Kunstpreis der Stadt Graz und 2001 den Otto-Mauer Preis. Durchaus Kienzers Eigensinn bezeichnend ist seine Sicht auf Materialien und infolge die Erfindung und Umsetzung von Plastiken, denen meist hoher Abstraktionsgrad, Tendenz zu Absurdität und (Wort-)Witz zu attestieren ist.
Nicht füllend, aber den Raum scheinbar organisch durchwachsend, schließt die große Röhrenkonstruktion „Sich“ die kleineren Exponate ein und fügt sich wie eine physische Assoziation, eine Zeichnung im Raum, unter die Blaue Blase. Eine Reaktion auf den Raum und zugleich Kritik, die vielleicht auf die Kienzersche Logik verweist. Was fragil im Gleichgewicht erscheint, ist im Materialmix von Platten aus Weißblech, Profilrohren und Gummibändern in eine zeitweilige Stabiliät gebracht („Haltung Vol. 1“). Ähnlich ein Objekt, das mit Ausbreitung und Raumvorstellungen spielt, das schwingen könnte, wäre es nicht in einem Schraubstock fixiert („Missing Vol.1“). Akkumulationen könnte man Objekte nennen, die aus lose aufeinander geschichteten mehrfarbigen Plexiglasscheiben und Homogenplatten bestehen und einen rechten Winkel bilden. Konstellationen wie diese könnten auch im Materiallager einer Werkstatt gefunden werden. Hier sind sie Kunstwerke von Michael Kienzer. Ein kryptischer Titel aus einer Serie solcher Plastiken ist „58-59“. Der alles erfassende Begriff für Kienzers Zugang zur Plastik könnte aus der Literatur entlehnt werden: Konkrete Poesie. Der weit trockenere Terminus aus der Kunsttheorie, Autonome Plastik, würde dagegen das Potential solcher Objekte, sie als Betrachter immer weiter zu denken, beinahe einschränken.

„Schnitt A-A’“ von Sofie Thorsen und „Logik und Eigensinn“ von Michael Kienzer sind bis zum 6. Mai im Kunsthaus Graz zu sehen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
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