24/08/2011
24/08/2011

Plakat zum Projekt

Spontane Siedlungen in Praia. Fotos (wenn nicht anders angegeben): fiedler.tornquist

Begehung der Quartiere in Praia Jänner 2011Lopes, Nascimento, Pires, Tornquist, Teixeira, Andrade

mein Haus – minha casa

Ausstellungseröffnung an der TU Graz: Marlis Nograsek, Juni 2011

Städtebauliche Studien im Quartier São Paulo, Praia: Anna Heigl, Michael Novak

Housing + Commerce - Main Square, Alto da Gloria, Praia: Patrícia Daniela Silva Nogueira

Projekt Kapelle für Quartier São Paulo, Praia: Vesna Pecanac

Shared Communications, Kirchplatz, Alto da Gloria, Praia: Katharina Lackner, Verena Schulter

Praia: informelle Siedlungsgebiete vor 1991 (weiß) und 1991 bis 2000 (rot). Quelle: Planungsministerium Kap Verde

formell (Programm Casa para todos) – informell (bairros espontâneos)

Bairro São Paulo, Praia

Bairro Alto da Glória

InforCidade ist ein Gemeinschaftsprojekt der TU Graz, Institut für Wohnbau und der Universität von Kap Verde (UniCV), Departamento de Ciências e Tecnologia, das im Rahmen des akademischen Partnerschaftsprogramms appear stattfindet und vom Österreichischen Austauschdienst OeAD gefördert wird.

Aus einer interkulturellen und interdisziplinären Perspektive soll ein gemeinsames wissenschaftliches Verständnis der Qualitäten und Probleme der informellen Wohnraumschaffung hergestellt werden - besonders im Hinblick auf Wohnzufriedenheit, ökologische wie soziale Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit. Die Betrachtung erfolgt anhand ausgewählter Gebiete in der Hauptstadt von Kap Verde, Praia.

Bei einem Auftakt-Workshop im Jänner 2011 in Kap Verde wurden informelle Erweiterungsgebiete der Hauptstadt Praia (bairros espontâneos) besucht und die darin auftretenden Probleme, aber auch ihre besonderen Qualitäten dokumentiert und diskutiert. Im Sommersemester 2011 fanden daraufhin zwei Lehrveranstaltungen am Institut für Wohnbau der TU Graz statt: Im Seminar AK Wohnbau setzten sich die TeilnehmerInnen mit dem Phänomen der informellen Wohnungsschaffung in weltweit ausgewählten Gebieten auseinander. Im anschließenden Masterentwurf wurden dann Teilbereiche der "bairros" in der Hauptstadt Praia behandelt. Die Entwürfe entstanden auf der Grundlage von Gebietsdokumentationen, die als Bachelorarbeiten im Fachbereich Geografie der UniCV erstellt worden waren. Die Entwürfe – Wohnbautypen, Gemeinschaftsbauten, Freiraumgestaltungen – wurden mit den KollegInnen in Kap Verde in mehreren Skype-Konferenzen diskutiert.

Die Arbeiten der Studierenden der TU Graz wurden im Juni in den neuen Räumlichkeiten des Instituts für Wohnbau als Ausstellung präsentiert und anschließend nach Kap Verde geschickt. Dort sollen sie im Rahmen einer Ausstellung der örtlichen Politik und den BewohnerInnen der Gebiete vorgestellt werden.

Die Aktivitäten im Sommersemester waren Teil der von der TU Graz und dem OeAD geförderten Anbahnungsphase, die zu einem Antrag für eine mehrjährige "Academic Partnership" im Rahmen des Programms appear führen wird.

WOHNBAU IN KAP VERDE

Die Ministerin für Wohnbau, Sara Maria Duarte Lopes (1) spricht von 68% der KapverdianerInnen, die in Behausungen ohne Grundausstattung leben. Auf die Hauptstadt Praia bezogen, spricht sie damit die informellen Siedlungen an, "bairros espontâneos" (2), die große Flächen, vornehmlich an den Rändern der Stadt einnehmen. Landflucht oder Immigration von anderen Inseln lassen in großem Ausmaß dörfliche Siedlungsstrukturen in peripherer Stadtlage entstehen, meist gebaut und bewohnt von Menschen mit gemeinsamer Herkunft. Die Lagen der informellen Siedlungen sind oft topografisch schwierig und nicht zuletzt deshalb hinkt der Infrastrukturausbau der rasanten Entstehung der Häuser hinterher oder wird von den Behörden überhaupt nicht unterstützt.
In den "barrios espontâneos" treten die sozialen Probleme der kapverdischen Gesellschaft in besonderer Weise zutage. Ländliche Lebensweisen und Überlebensstrategien leben hier weiter. Kinderreichtum ist noch immer eine Form der Altersversorgung. Viele Haushalte bestehen aus Großmutter, Mutter und vielen Kindern.(3) Geregelte Einkommen sind selten. Männer sind oft arbeitslos oder arbeiten im Ausland. Die Frauen übernehmen vollständig alle Lebens- und Erwerbsbereiche.

Die kapverdianische Regierung hat 2008 das engagierte Programm "Casa para Todos" (Wohnen für Alle) initiiert, das helfen soll, das Wohnungsproblem zu lindern. Es folgt dem Prinzip des Sozialen Wohnbaus nach europäischem Muster und ist für Menschen mit regelmäßigem Einkommen ausgelegt. Das Programm wird über Kredite (4) aus Portugal und Brasilien finanziert.
Das Wohnungsdefizit in Kap Verde wird mit 42.000 Haushalten (fogos) beziffert. (5) Davon sollen vorerst in den nächsten fünf Jahren 20% durch das Programm "Casa para Todos" (CPT) gedeckt werden. Im Jahr 2009 wurde das "Nationale Jahr des Wohnens" (Ano Nacional da Habitação) ausgerufen und das Programm CPT für die ersten 8.500 Sozialwohnungen budgetiert. Ein Auslöser für die verstärkten Bemühungen der Regierung im Bereich Wohnbau besteht darin, dass es besonders in der Stadt Praia das Problem der illegalen Siedlungen (bairros clandestinos) gibt, oft in prekären Lagen, wie auf rutschungsgefährdeten Hängen oder in Tälern mit Überschwemmungsgefahr zur Regenzeit. Weiters wird wahrgenommen, dass sich die illegalen Siedlungen ohne genügende Durchlüftung und Belichtung und unter schlechten hygienischen Bedingungen negativ auf das Stadtbild auswirken: "Das ist einem Middle Income Country" nicht würdig. (6) Deshalb ist zu hoffen, dass auch mittels neuer Technologien im Wohnbau diese Defizite gemindert werden können. (7)

Als Gegenposition dazu stellt Judite Nascimento von der Universität in Kap Verde (UniCV) im Rahmen des Projektes "InforCidade" im Jänner 2011 die sozialen Qualitäten der informellen Siedlungen und ihrer Freiräume den Einschränkungen der neuen Wohnblocks und ihrer Isoliertheit im Stadtraum gegenüber: "Gerade die armen Bevölkerungsschichten profitieren von Nachbarschaftshilfe z.B. beim Bau der Häuser (casas feitas em juntamão) und im Alltag, z.B.: von der gemeinsame Kinderobsorge."
Die nachhaltige Entwicklungsperspektive sowie das Wachstum der informellen Siedlungen hängen auch in Kap Verde wesentlich von der Bereitstellung von Basisversorgungseinrichtungen und adäquaten Verkehrsinfrastrukturen ab. Aber auch Maßnahmen im Sozialbereich und die Sicherheit der Bestandsverhältnisse, also die Formalisierung der Gebiete, sind dazu nötig.

DIE PROJEKTÜBUNG - SS 2011

Aus der Kenntnis der Eigengesetzlichkeiten informeller Wohnraumschaffung und des Programmes "Casa para Todos" und der speziellen Anforderungen zweier spontan besiedelter Gebiete in Praia wird im Rahmen von InforCidade mit Studierenden an konkreten Entwürfen für folgende Stadtgebiete gearbeitet:

Bairro São Paulo (Praia)
Das von Antéro Lopes recherchierte Quartier hat einen besonderen Charakter, der sich aus seiner Topografie ergibt. Das Siedlungsgebiet erstreckt sich beiderseits eines Tales, das einmal im Jahr zur Regenzeit ein reißender Fluss durchströmt. Diese „Amphitheater-Atmosphäre“ erleichtert räumlich die soziale Kontrolle und Nachbarschaftshilfe. Unter den BewohnerInnen gibt es starken Zusammenhalt und die Identifikation der Gemeinschaft mit dem Ort drückt sich in einer künstlerischen Intervention aus in Form einer Christusstatue, die von einem lokalen Künstler auf einer Felsnadel errichtet worden ist.

Bairro Alto da Glória: Alto da Terra Branca expansão (Praia)
Das von Adelino Teixeira recherchierte Quartier wird als logische Erweiterung des "bürgerlichen" Bezirkes Terra Branca gesehen. Es liegt am nördlichen Stadtrand auf einer Hügelkuppe mit weiter Aussicht auf das Meer. Seine 10-jährige Existenz und die günstige Lage macht dieses Quartier zukunftsträchtig. Den Spitznamen „Inferno“ (Hölle) hat die BewohnerInnenschaft erfolgreich in „Alto da Gloria“ (Höhe des Ruhmes) verwandelt.

Im städtebaulichen Entwurf muss unter anderem die Abwägung zwischen weiterer baulicher Verdichtung und dem Erhalt von öffentlichen Freiräumen sorgfältig behandelt werden. Die bestehenden improvisierten, intensiv genutzten sozialen Räume sind von großer Bedeutung für den Zusammenhalt der lokalen Gemeinschaften.

Auf der informellen Grundlage werden bauliche Entwicklungsszenarien in Form von Verdichtungen in Modellen erprobt, Freiräume definiert und Infrastruktur und Grünraum zugeordnet, um nachhaltige, praktikable und zukunftsfähige Vorschläge präsentieren zu können.

Für Wohnraumschaffung soll die örtliche Realisierbarkeit, sowohl was die Materialien betrifft, als auch in Hinblick auf das gemeinschaftliche Bauen (juntamão) unter dem Wissenstand der erneuerbaren Energien und des sinnvollen Einsatzes zeitgemäßer Technologien, möglich sein. Punktuelle Interventionen individueller Raumprogramme (Wohnen und Werkstatt – evolutives Wohnen – verdichtete Wohnmodelle) werden in Plänen und Modellen erarbeitet

Die Studierenden erstellen Entwürfe für die von den BewohnerInnen der Gebiete gewünschten Infrastrukturen wie Kapelle, Jugendzentrum, Kindergarten, Fest- Sport und Spielplätze.

Auf der Grundlage der von der UniCV übermittelten Bachelorarbeiten werden die bottom up formulierten Wünsche architektonisch interpretiert, via Skype - Konferenzen adaptiert und in Entwurfsaufgaben konkretisiert. Die entstandenen Entwicklungsleitbilder und Entwürfe werden von den BetreuerInnen der UniCV und den BewohnerInnen kommentiert. Das Feedback wird den Arbeiten beigelegt. Die gesamten evaluierten Entwürfe werden den VertreterInnen der BewohnerInnenvereinigung (associação de moradores) vorgestellt. Sie sollen damit eine ideelle Stärkung gegenüber der Behörde erfahren - um ihr Dasein behaupten zu können. Weiters sollen die gemeinsam erarbeiteten Projekte in Praia zur weiteren Diskussion im Rathaus ausgestellt werden und auch die Rückmeldungen aus dieser Präsentation werden mit Spannung erwartet.

PROJEKTBETEILIGTE:
Studierende UniCV: Jailson Andrade, Antéro Lopes, Zuleika Pires und Adelino Teixeira
Studierende TU Graz: Agnieszka Backiel, Amor del Pilar Vacas Alvarez, Andreas Draxl, Angelika Hesse, Antonia Nakova, Carina Pammer, Christiane Helga Riedler, Christina Windisch, Cornelia Reiser, Heinz Tiefenbacher, Ingo Steiner, Kanita Elezovic, Katharina Lackner, Maria del Carmen Ladron De Guevara Munoz, Martin Daniel Schnabel, Martina Prisching, Michael Novak, Patrícia Daniela Silva Nogueira, Paulina Dziegielewska, Silvia Gross, Stefan Wabnigg, Thomas Nussbaumer, Verena Auer, Verena Schulter, Vesna Pecanac, Wolfgang Horn

Betreuerin UniCV: Judite Nascimento
BetreuerInnen TU Graz: Marlis Nograsek, Jördis Tornquist
Gastkritiker TU Graz: Doris Dockner, Eduardo Cunha, Carlos Pires, Andrea Redi
StudienassistentInnen TU Graz: Adina Camhy, Stefan Haas, Katja Hausleitner, Katharina Köglberger, Jürgen Münzer, Matthias Printschler, Christine Sohar

(1) Contratos com o futuro - Sistemas e Práticas do Planeamento em Cabo Verde.
Herausgeber: Johannes Fiedler, erschienen im Südwind-Verlag 2011
(2) "Spontane Siedlungen" entstehen ohne öffentliche Infrastruktur, ohne Bauverfahren, unter Besetzung von staatlichem oder privatem Land.
(3) Führer 1996 Dumont Verlag - Die Familienstruktur
(4) 20 Jahre (+ 10 Jahre Aufschub)
(5) Orlando RODRIGUES in: Initiativa n.°33 9/10 2010 Casa papa Todos
(6) Kap Verde ist zu einem middle- income country nach WDI (World development Indicators) aufgestiegen
(7) Gisela COELHO in: Initiativa n.°33 9/10 2010 Casa papa Todos

HÖRTIPPS:
Sichworte: Música de Cabo Verde
Cesaria Évora, Ferro Gaita,Simentera, Zéca, Marya Andrade,Tito Paris, Dodo Araujo,KINO,os Tubarões, Gomi/Denti, Antéro Simas…..
Tänze: funana, batuko, mornas, coladeira….
ORF Tonstimmen: Franz Fluch und Simentera - Inseln der Sehnsucht - 1997

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