22/06/2011
22/06/2011

Khoo Peng Beng leitet mit Belinda Huang das Architekturbüro ARC Studio. Im Hintergrund ihr Projekt@Duxton in Singapur. (Fotos, wenn nicht anders angegeben: Institut für Gebäudelehre, TU Graz)

Paola Viganò ist Professorin für Stadtplanung an der Università di Venezia und führt gemeinsam mit Bernardo Secchi das Architekturbüro Studio.

Vittorio Magnago Lamugnani, Architekt in Mailand und Professor an der ETH Zürich.

Die Stadt Shibam im Jemen stammt aus dem 3. Jahrhundert und ist UNESCO Weltkulturerbe. (Foto: Flickr/Davide - www.flickr.com/photos/erling)

Der Hof im MuseumsQuartier Wien. (Foto: Flickr/Ali Schaffler/museumsquartierwien - www.flickr.com/photos/museumsquartierwien)

Rüdiger Lainer, Architekt in Wien, war Professor an der Akademie der Bildenden Künste Wien und ist Vorstandsmitglied von Europan Österreich.

Das Haus mit Veranden in Wien von Architekt Rüdiger Lainer. (Foto: Hubert Dimko)

Judith Leclerc, Architektin in Barcelona, unterrichtet Entwerfen an der ETSAB Barcelona.

Schule und Wohnungen Londres-Villaroel in Barcelona von Coll-Leclerc. (Foto: Flickr/zackds - www.flickr.com/photos/zackds)

Henning Stüben, Partner bei JDS Architects, Lehrtätigkeit an der Königlich Dänischen Kunstakademie.

Mountain Dwellings in Kopenhagen-Ørestad von JDS Architects. (Foto: Flickr/seier+seier - www.flickr.com/photos/seier)

Dietmar Eberle, Professor für Entwerfen an der ETH Zürich, führt mit Carlo Baumschlager ein Architekturbüro.

TEIL 2 der Nachlese zum internationalen Symposium "Dense Cities. Architecture for living closer together", das Ende Mai vom Institut für Gebäudelehre an der TU Graz veranstaltet wurde.

Im Herzen Singapurs steht seit Kurzem das 156 Meter hohe Pinnacle@Duxton von ARC Studio. 156 Meter – das ist fast so hoch wie Singapurs höchster Berg. Die 50-geschoßige verdichtete Hochhaussiedlung sieht aus wie mehrere auf- und nebeneinander gestapelte und mit Brücken verbundene Unités von Le Corbusier. Tatsächlich folgt das Konzept den Idealen des großen (wenn auch deutlich kleineren) Vorbilds. Im demografischen und räumlichen Kontext von Singapur sind extreme Höhen bei Dichten von 9,1 notwendig. In mittelgroßen Städten Europas hingegen, die sich aus der Idee der historisch gewachsenen Stadt definieren, stehen auch architektonisch hochwertige Solitäre städtebaulich oft ziemlich verloren da. Für den mitteleuropäischen Kulturraum, so waren sich praktisch alle Vortragenden des Symposiums "Dense Cities" einig, gelte es für die unvermeidliche Intensivierung der Urbanisierung eher an den Städtebau vor der Moderne anzuschließen und ihn um deren Qualitäten zu ergänzen. Denn, so etwa Markus Penell, die europäische Stadt des 19. Jahrhunderts sei, im Gegensatz zu sämtlichen Idealstadtentwürfen, charakterisiert durch eine immanente "fuzziness" und vielleicht gerade dadurch so überlebensfähig.

An die Stadt des 19. Jahrhunderts anzuschließen bedeutet aber nicht, sie unreflektiert zu kopieren, sondern aus ihren Qualitäten zu lernen. So sehen Paola Viganò und Bernardo Secchi ihre herausragendste Eigenschaft in der Strukturierung und Organisation als ein Ganzes. Anders als bei der Stadt der Moderne, die eine Ansammlung von solitären, architektonischen Objekten sei und der städtische Raum aus dem entstehe, was dazwischen übrig bleibt. Für Vittorio Lampugnani steht die Trennung von öffentlichen und privaten Räumen im Vordergrund. Die Ausgewogenheit dieser beiden Pole sei die große kulturelle Leistung der europäischen Stadt, findet auch Dietmar Eberle. Beide haben in Studien städtische Typologien auf ihre Dichte untersucht und kamen zum Ergebnis, dass die Blockrandbebauung des 19. Jahrhunderts deutlich höhere Dichten erreicht als Hochhäuser. Der Grund liegt in gesetzlichen Bestimmungen (wie etwa Abstandsregeln), die aus einer größeren Gebäudehöhe keine höhere Dichte entstehen lassen. Eine noch größere Dichte weisen übrigens die mittelalterlichen Stadtkerne und viele Bebauungen des 17. und 18. Jahrhunderts auf. Ein faszinierendes historisches Beispiel, das auch beweist, dass Dichte keine europäische Erfindung ist, ist die hochverdichtete Wüstenstadt Shibam im Jemen. Ihre geschlossene Struktur findet sich in aktuellen Stadtentwürfen wie etwa Norman Fosters Masdar wieder.

New Ideas on the Block
Die gründerzeitliche Blockrandbebauung ist d i e charakteristische Typologie der Stadt des 19. Jahrhunderts und hauptverantwortlich für die erfolgreiche Balance zwischen komprimiertem Volumen und großzügiger Leere, zwischen einer urbanen öffentlichen Seite an der Straße und einer ruhigen privateren Seite im Hof. Nicht zuletzt durch die Nutzungsneutralität (die zwar nicht Ziel der damaligen Planung war, sich aber seither permanent bestätigt) ermöglicht sie eine starke Durchmischung von Funktionen, die gemeinsam mit der baulichen Dichte Voraussetzung für urbane Intensität ist.

Es sei das Zusammenspiel der räumlichen und atmosphärischen Aspekte von Dichte, das Urbanität entstehen lasse, meint etwa Penell, wie das Beispiel des Wiener Museumsquartiers zeige: Das Einfügen neuer Körper in bestehende Strukturen lässt neue Räume entstehen, deren Bespielung erzeugt Ereignisdichte und am Ende steht ein hochverdichteter urbaner Treffpunkt. Ebenfalls in Wien kombiniert Rüdiger Lainer für das "Haus mit Veranden" verschiedene Typologien: Der gesamte Block ist flach verbaut, darüber thronen markante, "Elefanten" genannte Volumina. Insgesamt wird eine Dichte von 4 erreicht – bei unterschiedlichsten Nutzungen und differenzierten Freiflächen. Wichtig ist Lainer vor allem, dass ein Wohnbau keine abgeschlossene Siedlung ist, sondern ein Stück Stadt. Während die, in Barcelona arbeitende Architektin Judith Leclerc die Cerdà-Blocks in der Eixample raffiniert transformiert (etwa in zwei schmale Baukörper mit komplementären Nutzungen zerschneidet und den Innenhof integriert), dabei aber im Prinzip dem Block treu bleibt, brechen die dänischen JDS Architects teils spektakulär aus. Aus einem traditionellen Block am Masterplan werden dabei schnell Zick-Zack-Zeilen, ein flächig mit gestapelten Terrassenwohnungen verbautes Grundstück oder weißblau schimmernde Eisberge. Je nach Kontext ergeben sich Randbedingungen, die im Lauf des Entwurfsprozesses zu völlig veränderten Formen und Räumen führen können, wie Henning Stüben skizzierte.

"Alle ausschlaggebenden Qualitäten eines Gebäudes sind bereits durch die städtebauliche Dichte des Quartiers definiert." Diese provokante These steht im Zentrum eines laufenden Forschungsprojekts des Vorarlberger Architekten Dietmar Eberle an der ETH Zürich. Eberle betont, dass die Quartierdichte viel wichtiger sei als die Dichten der einzelnen Grundstücke, denn sie sei es, die Lebensraum und Milieu generiere und damit bestimme, ob man sich an einem Ort wohlfühlt oder nicht. Den größten Unterschied zwischen verschiedenen Städten oder Stadtteilen machen die Struktur und die Dimensionen der Straßenräume aus, nicht die einzelnen Bauwerke. In der Studie versucht Eberle über den Vergleich zahlreicher Stadtquartiere herauszufinden, welche städtischen Qualitäten von Dichte abhängen und welche nicht. Im Gegensatz zum Mietpreis stehe etwa die Belebtheit eines Quartiers in direktem Zusammenhang mit dessen Dichte. Der Umgang mit dem Erdgeschoß sei dabei von besonderer Bedeutung. Eine funktionale und soziale Durchmischung sei erst ab einer Quartierdichte von 1,5 (das entspricht im Schnitt etwa einer Grundstücksdichte von 1,9) festzustellen. Besonders interessant und relevant für die stadtplanerische Praxis ist die Erkenntnis, dass urbane Plätze erst ab einer Quartierdichte von 1,5 glaubwürdig funktionieren und private Außenräume nur bei einer Dichte von unter 0,5. Quartierdichten zwischen 0,8 und 1,2 führen, also weder zu qualitativen öffentlichen Räumen noch zu funktionierenden privaten Räumen. Schon dieser erste Einblick in die Studie kann als Handlungsauftrag für die Politik verstanden werden, denn das betrifft leider große Teile der jüngeren Quartiere unserer Städte. An qualitätvoller Verdichtung führt kein Weg vorbei, daher, ganz nach dem Motto des Symposiums: "Let's Dense."

Verfasser/in:
Martin Grabner, Bericht
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