20/08/2018

Leitbildwechsel
Dynamiken und Charakteristika städtebaulicher Innovations- prozesse

Dissertation von Daniela Zupan zu Neuerungen in Städtebau und Stadtplanung.
Die gebürtige Grazerin hat die Arbeit, die vergleichende Projektstudien in Österreich und Deutschland enthält, im Jänner 2018 an der Universität Stuttgart verteidigt.

Betreuung
– Prof. Dr. Johann Jessen, Städtebau Institut, Fachgebiet Orts- und Regionalplanung, Universität Stuttgart
– Prof. Rudolf Scheuvens, Örtliche Raumplanung, Dekan der Fakultät für Architektur und Raumplanung, TU Wien

Veröffentlichung
Die Arbeit ist im Verlag Dorothea Rohn in der Schriftenreihe Stadt + Landschaft als Buch erschienen – s. Link rohn-verlag.de

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Die GAT-Reihe young theory präsentiert theoretisch-wissenschaftliche Arbeiten an Universitäten und Fachhochschulen.

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20/08/2018

Neuerungen in der räumlichen Planung hat es immer schon gegeben. Beispiele sind Fußgängerzonen, Bürgerbeteiligung, städtebauliche Ideenwettbewerbe u.v.m. In all diesen Fällen ist etwas ‚Neues’ entstanden, erprobt worden und konnte sich – wenn erfolgreich – als neue Routine etablieren. Die als Buch veröffentlichte Dissertation Leitbildwechsel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich substanzielle Erneuerungsprozesse in Städtebau und Stadtplanung konkret vollziehen.
Diese Frage wird exemplarisch anhand des letzten großen Leitbildwechsels untersucht, der sich in Städtebau und Stadtplanung vollzogen hat: dem von der Siedlung der Moderne zum kompakten nutzungsgemischten Quartier. Die konzeptionellen und baulichen Veränderungen, die den großflächigen Wohn- bzw. Stadtteilbau in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis heute prägen, stehen im Zentrum der Arbeit. Dabei geht es weniger darum zu untersuchen, was sich verändert hat oder warum dies geschehen ist – diese Fragen wurden im Rahmen anderer Studien bereits eingehend erforscht –, stattdessen wird systematisch danach gefragt, wie Neuerungen in die räumliche Planung kommen. Dadurch leistet die Arbeit einen Beitrag zur planungstheoretischen und städtebaugeschichtlichen Grundlagenforschung. Aber auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist die Schaffung großflächigen Wohnraums wieder ein höchst relevantes Thema. Ein Verständnis dafür zu schaffen, wie Erneuerung in diesem Feld vor sich geht und wie man diese folglich fördern kann, ist daher auch aus planungspraktischer Sicht geboten.

Als theoretisch-analytisches Gerüst dient die sozialwissenschaftliche Innovationsforschung. Während Veränderungen in Städtebau und Stadtplanung häufig als passive Anpassungen an sich verändernde Rahmenbedingungen interpretiert werden, erlaubt der gewählte Ansatz eine komplementäre Sicht auf den Gegenstand, die das Akteurshandeln und das pro-Aktive in Erneuerungsprozessen in den Vordergrund rückt. Aus Perspektive einer sozialen Innovation – dem Leitbild der kompakten nutzungsgemischten Stadt – wird folglich rekonstruiert, wie diese über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten von Akteuren schrittweise hervorgebracht, verbreitet und verankert worden ist.
Untersucht wird das vergleichend in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland, wobei die lokale, die nationale und die internationale Ebene Berücksichtigung finden. Für die lokale Ebene werden sechs Projektstudien analysiert: Kastgründe und Ennsfeld in Linz, Seestadt Aspern in Wien, Allermöhe Ost und Allermöhe-West in Hamburg sowie Riem in München. Anhand dieser Vorhaben wird nachgespürt, wie Akteure in den jeweiligen Kontexten Neuerungen einführen konnten und welche Faktoren dies begünstigt oder erschwert haben. Die nationale Ebene wird durch eine Diskursanalyse österreichischer und bundesdeutscher Fachzeitschriften sowie durch Experteninterviews abgedeckt. Letztere wurden mit beinahe fünfzig Akteuren geführt, die den Prozess maßgeblich mit hervorgebracht, geprägt oder beobachtet haben. Anhand dieser Daten werden die übergreifenden Prozesslogiken und Trends identifiziert und relevante Diskurse analysiert. Nachdem Städtebau und Stadtplanung höchst vernetzte Disziplinen darstellen, werden schließlich auch internationale Impulse reflektiert.

Leitbildwechsel macht deutlich, dass sich der Leitbildwechsel zwar in einem bestimmten räumlich-historischen Kontext vollzogen hat, jedoch nicht direkt aus diesem abgeleitet werden kann. Verschiedene Trends – darunter wohnungspolitische Veränderungen, der zunehmende Einfluss von Ökologie auf die Planung, die Demokratisierung von Planungsprozessen u.v.m. – haben Einfluss auf den Prozess entfaltet, vollständig erklärt werden kann dieser daraus allerdings nicht. Stattdessen lässt die Arbeit prozessimmanente Dynamiken und Charakteristika sichtbar werden, über die Akteure den Leitbildwechsel in seiner Form hervorgebracht haben. Konkret werden zeitliche Phasen mit je spezifischer Charakteristik identifiziert und beschrieben; es werden Handlungsstränge abstrahiert, über die Akteure auf unterschiedliche Weise zur Hervorbringung des Leitbildwechsels beigetragen haben; und es werden die ideellen und materiellen Bausteine rekonstruiert, über die das Leitbild schrittweise entfaltet und durchgesetzt worden ist. Über die Phasen hinweg werden zudem die Rolle(n) von Medien, Fachdiskursen und Akteursnetzwerken bei der Durchsetzung der Neuerung reflektiert; und es werden systematisch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland herausgearbeitet.
Insgesamt zeigt die Dissertation, dass das Leitbild der kompakten nutzungsgemischten Stadt letztlich als thesenbasiertes Konzept mit ungewissen Effekten verstanden werden muss, das aus der Suche nach einem neuen Konsens in einem Milieu maßgeblich gesteigerter Unsicherheit kollektiv hervorgebracht und gestaltet, und durch relativ beliebige Bezugnahmen auf aktuelle Anforderungen durchgesetzt worden ist. Der Vergleich zwischen Deutschland und Österreich wiederum lässt deutlich werden, dass städtebauliche Leitbildwechsel als politisch verhandelte Prozesse verstanden werden müssen. Zwar hat sich der Leitbildwechsel in beiden Staaten überwiegend parallel vollzogen, allerdings sind im Zuge politischer Überformungen unterschiedliche Verständnisse und Bedeutungen ‚derselben’ städtebaulichen Leitbilder hervorgebracht worden.
Leitbildwechsel schließt mit einem Blick in die Gegenwart und mögliche Zukunft des Leitbildes. Zwar genießt die kompakte nutzungsgemischte Stadt als handlungsanleitender Rahmen noch breite Akzeptanz, allerdings deuten sich bereits erste Auflösungs- und Erschöpfungserscheinungen an.

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