04/12/2009
04/12/2009

Projekt "Der Bau. Unter uns - Dekonstruktion eines Gebäudes": Linzer Brückenkopfgebäude Ost mit der abstrakten Darstellung historischer Recherche in Form von abgeschlagenem Putz. Foto: Gabu Heindl

Die zum Projekt "Der Bau. Unter uns - Dekonstruktion eines Gebäudess" gehörende Ausstellung ist noch bis 31. Dezember 2009 zu sehen. Foto: Gabu Heindl

Im Programm von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europa spielt die Geschichte der Stadt, vor allem ihre NS-Vergangenheit, eine zentrale Rolle. Im Linz09-Projekt „Der Bau. Unter uns – Dekonstruktion eines Gebäudes“ der in Berlin lebenden Künstlerin Hito Steyerl und der Wiener Architektin Gabu Heindl findet anhand einer Intervention am östlichen Brückenkopfgebäude eine gleichsam „tiefschürfende“ Auseinandersetzung mit dieser Zeit statt.

In der deutschen Sprache findet sich die Metapher, dass sich ein Ereignis „in das Gedächtnis einschreibt,“ das heisst, dass es nachdrücklich in Erinnerung bleibt. Die nationalsozialistische Regierung hat wohl unzählige solcher Ereignisse hervorgebracht, die unauslöschlich weder das individuelle noch kollektive Gedächtnis verlassen werden.
Hito Steyerl und Gabu Heindl tauchten zusammen mit dem Historiker Sebastian Markt und einem Forscherteam im Rahmen von Linz 09 anhand unkonventioneller Fragestellungen tief in die Geschichte eines zentralen Repräsentationsbaus der NS-Zeit ein, in die Geschichte des Brückenkopfgebäudes Ost. Die Ergebnisse wurden einerseits durch künstlerische Intervention auf die Fassade des Hauses übertragen, sind andererseits in einer öffentlichen Ausstellung in den Räumen und Arkaden im Erdgeschoß, also auf der Straße zu sehen.

Brennpunkt Brückenkopfgebäude Linz
Die Frage zum Beispiel nach den NS-Planungsstrategien, nach den am Bau beteiligten Personen, bezog sich nicht nur auf die Planer, sondern auch auf die involvierten Firmen. Dabei interessierte deren NS-Vergangenheit, aber auch, ob diese je bearbeitet wurde.
Fragestellungen, wie „wer lebte hier und musste flüchten oder wurde wohin deportiert,“ oder „woher kamen die Arbeiterinnen und Arbeiter,“ bildeten wiederum die Grundlage für die Gestaltung der Fassade: Akribisch wurden Routen recherchiert, wie zum Beispiel exemplarisch die der jüdischen Familie Samuely, die an dem Ort, wo jetzt die Brückenkopfgebäude stehen, lebte und deren Familienmitglieder Deportation, Tod im KZ, aber auch Befreiung durchlebten, oder sich durch weitverzweigte Fluchtwege, die bis nach Los Angeles führten, in Sicherheit bringen konnten. Ebenso wurden die Routen der ukrainischen und tschechischen Zwangsarbeiter nachvollzogen, aus denen sich der Großteil der Arbeiter zusammensetzte. Jede einzelne Station der unzähligen Wege wurde in einem weltumspannenden Diagramm mit Linz als Bezugspunkt festgehalten.

Die Dramaturgie des Abschlagens
Dieses Ergebnis galt es in abstrakte Form zu übersetzen, um es als symbolische Landkarte auf die Süd- und Westfassade des Brückenkopfgebäudes durch Abschlag übertragbar zu machen. „Eine abstrakte Darstellung war notwendig, um einer voyeuristischen Haltung den Opfern gegenüber entgegenzuwirken,“ erklärt Gabu Heindl.
Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) als Bauherr sowie das Bundesdenkmalamt stimmten dem Eingriff zu, allerdings nur mit dem Plan der „Wiedergutmachung“ vor Augen: Die BIG wird die Fassade im März 2010 wieder in den ursprünglichen Zustand rückführen lassen.
Die Pläne mit präzisen Bemassungen für den Prozess des Abschlagens (teilweise auch Fräsens) enthielten über 40 Punkte, die stets von Linz ausgehend, oder nach Linz führend, gemäß den Fluchtrouten in chronologischer Reihenfolge zu bearbeiten waren. Verdichtungen an bestimmten Orten ergaben sich. Exakte Angaben zur Abschlagrichtung und –länge waren vorgegeben. So wurde eine Woche lang in die Fassade des Brückenkopfgebäudes im wahrsten Sinn des Wortes seine Geschichte Schlag für Schlag, Rasterpunkt für Rasterpunkt, „eingeschrieben.“ Aus dem stummen Zeitzeugen wurde ein beredter.

„Der Bau. Unter uns – Dekonstruktion eines Gebäudes“, Linzer Brückenkopfgebäude Ost
Regie und Konzept: Hito Steyerl
Architektur Abschlag und Ausstellung: Gabu Heindl
Historische Recherche: Sebastian Markt
u.v.m.Die zum Projekt „Der Bau. Unter uns – Dekonstruktion eines Gebäudes“ gehörende, öffentlich zugängliche Ausstellung ist noch bis 31. Dezember 2009 zu sehen.

Ein Projekt im Rahmen von Linz09.
Der Artikel ist erstmalig im ARCHITEKTUR & BAU FORUM 20 erschienen.

Verfasser/in:
Gudrun Hausegger, Empfehlung
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