13/04/2004
13/04/2004

Kurz vor der Vollendung seines 94. Lebensjahres ist am Karsamstag Roland Rainer in Wien verstorben. Als starke Autorität war er als Lehrer nicht nur eine moralische Instanz, sondern hat mit seiner dezidierten Lehrmeinung, die er sein Leben lang unverändert - für viele starrköpfig - weitergab, an der Akademie am Schillerplatz als Leiter der Meisterklasse für Architektur eine ganze Generation von Architekten geprägt. Einige von ihnen, etwa Marta Schreieck oder Gerhard Steixner, widmen ihm nun in der Presse berufene Worte des Gedenkens.

Nach einer Professur an der Technischen Hochschule Hannover ab 1953 war Rainer auch kurz Professor für Hochbau und Entwerfen an der Technischen Hochschule Graz, bevor er an die Akademie am Schillerplatz wechselte.

Im Gegensatz zu Vorarlberg, wo sich unter dem Einfluß von Rainer bzw. mit Vertretern der „Rainer Schule“ in den Sechziger Jahren jenes Neue Bauen entwickelte, das zur bekannten Entwicklung der Baukultur in Vorarlberg führte, sind in Graz so gut wie keine Spuren von Rainer zu finden. Soweit der Autorin dieser Zeilen bekannt ist, gibt es ein einziges Haus, dessen Entwurf von Roland Rainer stammt. Es ist dies die Erweiterung des Vianova Kunstharz Forschungszentrums in der Leechgasse, das um 1970 gemeinsam mit Haidvogel, Oratsch und Erich Andree realisiert wurde.

Eine Folgewirkung der Rainer’schen Lehre hierorts auszumachen, ist kaum möglich. Am ehesten ist sie vielleicht in Eilfried Huths Haltung, nicht in seiner Architekturauffassung, zu finden, die, wie im Partizipationsmodell der Eschensiedlung in Deutschlandsberg, den Bewohner mit seinen Bedürfnissen ins Zentrum des Planungsprozesses stellt und ihn daran auch beteiligt.
Der Idee des humanen Wohnens im verdichteten Flachbau findet in Graz und der Steiermark nur wenige Beispiele, etwa in der Atriumsiedlung der Werkgruppe in Andritz-St.Veit oder in einer immer noch reizvollen Flachbausiedlung der Wüstenrot Bausparkasse aus den Jahren 1969/70 in der Unteren Teichstraße (Architekten Spielhofer, Moser, Harwalik).

Als einziger Architekt Österreichs hat Roland Rainer eine Theorie des Wohnens und des Städtebaus postuliert, die internationalen Stellenwert hatte. Mit seinem vehementen Eintreten für den verdichteten Flachbau hat er schon in den Nachkriegsjahren versucht, dem Wiederaufbau eine Entwicklungsperspektive und der Städtebaudiskussion neue Impulse zu geben. Einiges konnte er in seinen Gartenstadtsiedlungen wie etwa in Puchenau bei Linz verwirklichen. Bis zuletzt war Rainer ein streitbarer Kämpfer gegen den Hochhausbau, den er für inhuman hielt und in dem er die Ursache für Stadtflucht und Wochenendstau sah.

Mit seiner konzeptionellen Arbeit am Wohnbau, die immer eine gesellschaftlich relevante Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen des Wohnens und der Behausung war und den Zeitgeist genauso negierte wie schnelle plakative Erfolge, ist Rainer im Vergleich zur Grazer Schule als Antipode zu sehen. Auch, wenn er sagt: „Der Architekt darf nicht damit anfangen, Kunst zu wollen, sondern er muss nach den Aufgaben fragen, die zu lösen sind“
Die Grazer Architekten sahen im Wohnbau ein Experimentierfeld, auf dem sie sich - immer wieder von neuem - mit einem Prototypus (künstlerisch) verwirklichen wollten. Rainer jedoch ging es nicht darum, Neues zu finden, sondern „das Richtige". Er wusste, dass das Neue morgen schon alt sein würde - unsere Häuser aber unter Umständen bis übermorgen halten.

Bleibt, zu hoffen, dass Rainers ebenso elementare wie kraftvolle Bauten noch lange belebt und erhalten bleiben und dass sein Credo, seine Idee des humanen Wohnens noch vielen Generationen von Studenten Anlass gibt, über die gesellschaftspolitische und soziale Verantwortung des Architekten als prägender Mitgestalter unseres Lebensraumes nachzudenken.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
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