25/04/2008
25/04/2008

Das stillgelegte Kohlenrevier von Katowice im grauen Nachmittagsregen

Nicht alle Bauten auf dem Areal sind erhaltenswert

Die Architekten Riegler (li) und Riewe (3. v. li.) präsentieren das Projekt LH Franz Voves

Am Modell sind die Ebenen unter Tage gut zu erkennen

Am Modell sind die Ebenen unter Tage gut zu erkennen

Markant der alte Förderturm als Wahrzeichen

Zeugen einer martialischen Vergangenheit

Das Werksgelände hat seinen morbiden Reiz – ein Teil der Bauten wird erhalten bleiben

Florian Riegler und Roger Riewe vor einem der in ihr Konzept eingebundenen Gebäude. Fotos: J. Schiffer

Einen Eindruck von der Innengestaltung gibt der Entwurf von Riewe Riegler.Schaubild: Riegler Riewe Architekten

Im vergangenen Sommer ist der Entwurf des Grazer Architekturbüros Riegler Riewe für den Neubau des „Schlesischen Museums“ in Katowice (Kattowitz) in einem internationalen Wettbewerb als Siegerprojekt hervorgegangen (GAT berichtete). „In dem Museum einer Region spiegeln sich sein Herz und seine Seele“, erklärte Museumsdirektor Leszek Jodliński , der das Projekt gemeinsam mit den Architekten Florian Riegler und Roger Riewe einer Delegation des steirischen Landeshauptmanns Franz Voves anlässlich eines Lokalaugenscheins präsentierte.

Schon im Jahre 2004, als das bestehende Museum sein 80-jähriges Jubiläum feierte, hatte man in der südpolnischen Stadt Katowice die Errichtung eines neuen Museum-Komplexes auf dem Gebiet des einstigen Kohlenbergwerkes, das noch im engeren Stadtgebiet gelegen ist, beschlossen. Gegenwärtig bereitet das Grazer Architektenteam vor Ort den zurzeit wohl wichtigsten Museumsneubau in Polen vor: Dabei stehen die Abstimmung des Raumprogramms, dessen Flächen von insgesamt über 30.000 Quadratmetern großteils unter Tage verortet sind, sowie die Einbindung der vorhandenen historischen Gebäudestrukturen des stillgelegten Zechengeländes im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten.

Schatten der Vergangenheit
Die Vorgeschichte des Schlesischen Museums liegt in den bewegten Jahren der Zwischenkriegszeit, als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Region Oberschlesien zwischen dem neu erstandenen Polen und dem Deutschen Reich nach einer Volksabstimmung geteilt worden war. In der Hauptstadt des polnischen Gebiets sollte ein Neubau im Stil der Moderne die Identität der polnischen Region nach außen machtvoll demonstrieren. Zu diesem Zwecke wurde 1929 im Zentrum der Stadt, nach dem Projekt des Kattowitzer Architekten Karol Schayer, mit der Errichtung des großzügig angelegten Gebäudekomplexes begonnen.
Kurz vor der geplanten Eröffnung erfolgte der deutsche Angriff auf Polen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt Anfang September 1939 von der deutschen Wehrmacht besetzt, nachdem sich die polnische Armee kampflos zurückgezogen hatte. Am 8. September 1939 zerstörten die Deutschen neben der Großen Synagoge auch das Schlesische Museum als ein Zeichen der polnischen Unabhängigkeit. Erst Jahrzehnte später wurde im ehemaligen Grand Hotel Wiener, einem Neorenaissancegebäude, das provisorische Schlesische Museum untergebracht, in dem aber nur ein winziger Bruchteil der umfangreichen Sammlungen einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte.

Museum als Kernstück eines Kulturbezirks
Nach dem Krieg wurde am ursprünglichen Ort des Museums ein Gewerkschaftsgebäude errichtet, sodass für das gegenwärtige Projekt das in den neunziger Jahren stillgelegte Kohlenrevier gewählt wurde. In unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum soll so nach und nach ein vollwertiger Kulturbezirk mit einem Konzerthaus sowie einem Sportzentrum und Parkanlagen wachsen.

Auf dem 2,7 Hektar großen Areal entsteht der großteils unterirdisch angelegte Museumsbau, der über markante Glaswürfel mit Tageslicht versorgt wird. „Als Hommage an die ehemalige Bedeutung dieses Ortes haben wir unsere Konzeption für ein Museum ‚unter Tage´ ausgelegt“, betont Architekt Riegler. Von außen sind nur das gläserne Verwaltungsgebäude und die Lichtkuben für die unterirdischen Stockwerke zu sehen. Das Tageslicht wird durch ein ausgeklügeltes Spiegelsystem eingefangen und in die unterirdischen Ausstellungsräume geleitet. „Das Konzept des Entwurfes basiert auf dem Gedanken, mit minimalen Eingriffen nach außen hin ein großzügiges Angebot an Museumsnutzungen anbieten zu können“, erklärt dazu Roger Riewe. Die Ausstellungs- und Depoträume erstrecken sich auf drei Ebenen über 12 Meter in die Tiefe, wobei eine große Halle für wechselnde Ausstellungen die gesamte Höhe nutzt. Aus den darunter liegenden alten Zechen soll 16 Grad warmes Wasser mit Pumpsystemen gefördert und zur Raumbeheizung verwendet werden.

Als weithin sichtbares Signet fungiert ein alter Kohleförderturm, der im Eingangsbereich des Areals auf den geschichtsträchtigen Boden verweisen soll. „Die für die Identität Südpolens prägenden Kohlereviere stellen aus baulicher Sicht eine Herausforderung dar, da sie in einer zunehmend globalisierten Dienstleistungsgesellschaft an Bedeutung verloren haben und mit erheblichem Aufwand adaptiert werden müssen“, schildern Riegler und Riewe die Probleme bei der Nachnutzung industrieller Strukturen. Ganz besonders stolz ist das Architekten-Duo darauf, dass verschiedene historische Gebäude des Reviers in das Konzept eingebunden wurden und die parkähnliche Anlage des Areals durch ihr behutsames Projekt eine bedeutende Aufwertung als Naherholungsraum erfährt.

Für den Baubeginn des mit rund 56,7 Mio. Euro budgetierten und zu 60 Prozent von der EU geförderten Projekts ist das Frühjahr 2010 vorgesehen; die Auswahl eines dem Umfang der Aufgabe angemessenen Generalunternehmers soll Anfang kommenden Jahres erfolgen. Der Museumskomplex soll bis Ende 2011 fertig gestellt sein.

Verfasser/in:
Josef Schiffer, Bericht
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