19/01/2011
19/01/2011

BG Dreihackengasse, Graz. Detailansicht

Architektur: TEAM A GRAZ©: Herbert Missoni

Das TEAM A GRAZ: Franz Cziharz (gest. 1998), Dietrich Ecker (gest. 1995), Herbert Missoni, Jörg Wallmüller (Foto: TEAM A GRAZ)

Auszug aus den „Planungsvorschlägen zum Thema Gesamtschule“ nach dem Gesamtschulsymposium auf Schloss Retzhof, 1970: Gesamtschulumwelt.

Auszug aus den „Planungsvorschlägen zum Thema Gesamtschule“ nach dem Gesamtschulsymposium auf Schloss Retzhof, 1970: Schule und Gemeinschaft.

BG Dreihackengasse, 1971-79, Grundriss EG

BG Dreihackengasse, 1971-79, Grundriss 1.OG und Schnitt

BG Dreihackengasse, Nutzungsvariante für den Wettbewerb 1971, Grundriss EG und Schnitt

BG Dreihackengasse, Nutzungsvariante für den Wettbewerb 1971, 1.OG

BG Dreihackengasse, Modell (Foto: Herbert Missoni)

BG Dreihackengasse, Südfassade mit vorgelagerten Pausenterrassen der einzelnen Schulstufen (Foto: Herbert Missoni)

Bundesschulzentrum Feldbach, 1973-80, Grundriss EG

Bundesschulzentrum Feldbach, Pausenhalle (Foto: Herbert Missoni)

Proteste gegen Einsparungen an den Universitäten, peinliche politische Machtspiele zwischen Bund und Ländern bei den Lehrerkompetenzen und immer wieder PISA. Die österreichische Bildungspolitik ist eine Dauerbaustelle, auf der selten Produktives geschieht. Aber man hat sich daran gewöhnt: Dass Österreich in Bildungsfragen im internationalen Vergleich immer weiter hinterherhinkt, unter den 34, im Rahmen der PISA-Studie getesteten OECD-Staaten beim Lesen nur noch vor der Türkei, Chile und Mexiko liegt, sorgt nur noch kurz für öffentliche Aufregung. Auch die aktuelle Diskussion über die Neue Mittelschule (Fall der 10%-Regelung bei gleichzeitiger Beibehaltung der Gymnasien und Einführung einer „mittleren Reife“) bringt wenig Neues. Dass sich in Teilen sowohl die AHS-Lehrergewerkschaft als auch die FPÖ wiederfinden, gibt eher Anlass zu Skepsis. Also wieder kein Anzeichen für Aufbruchstimmung im reformresistenten österreichischen Bildungssystem.

Vor inzwischen 40 Jahren war das anders. In den Statements von Politikern, Bildungsexperten und auch Architekten waren Reformgeist und Optimismus spürbar: In den „Planungsvorschlägen zum Thema Gesamtschule“, die aus dem 1. Österreichischen Gesamtschulsymposium von 1970 hervorgingen, geht das TEAM A GRAZ, das zwei Jahre später federführend eine Landesausstellung zu dem Thema gestaltete, von einer baldigen Einführung der Gesamtschule und grundlegenden Reformen in der Pädagogik aus, auf die im Schulbau reagiert werden müsse. Auf die Gesamtschule müssen die Österreicher immer noch warten und die allein ist bei unzureichender Finanzierung noch lange keine Garantie für eine bessere und sozial gerechtere Bildung.

Eine weitere, bis heute nicht verwirklichte Vision war es, die in sich geschlossene Schulgemeinschaft zu öffnen, die Schule zu einem sozialen und kulturellen Mittelpunkt des öffentlichen Lebens zu machen. Die Einrichtungen der Schule sollten nicht nur den Schülern zur Verfügung stehen, sondern der gesamten Bevölkerung. Es würden dadurch nicht nur Kommunikationsräume geschaffen, sondern durch die bessere Ausnützung auch Kosten gespart werden.
Unabhängig von der Gesamtschule besteht aus der Arbeitsrealität der Eltern heraus seit Längerem ein Trend zur Ganztagsbetreuung. Hier kommen große Herausforderungen, besonders im Umbau von bestehenden Schulgebäuden, auf uns zu: Nicht nur das Raumangebot muss für die ganztägige Betreuung adaptiert werden, sondern auch die Schaffung von Speiseräumen und Küchen mit hohen technischen und gesundheitshygienischen Anforderungen ist notwendig. Während besonders bei Umbauten in dichten urbanen Lagen Kreativität gefragt ist, geht es bei Neubauten vor allem um flexible und veränderbare Raumstrukturen. Das Wissen dafür ist seit 40 Jahren vorhanden, wie unter anderem die Arbeiten des TEAM A GRAZ zeigen, und hätte seit damals bei vielen Schulneubauten umgesetzt werden können. Hätte.

In den frühen 70er-Jahren beschäftigten sich die Architekten im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit als Assistenten an der Technischen Hochschule Graz intensiv mit dem Schulbau. Herbert Missoni etwa analysierte die pädagogische und räumliche Struktur des damals weit fortgeschrittenen Schulsystems in Großbritannien, wo statt Frontalunterricht bereits ein vielseitiger Unterricht in flexiblen, auch jahrgangsübergreifenden Gruppen stattfand, der auch neue räumliche Strukturen erfordert: verschieden große Räume, durch entsprechende Möblierung manipulierbar und ohne zu große Umbaumaßnahmen auch längerfristig veränderbar. Die logische Umsetzung erfolgt durch die Trennung in Primär-, Sekundär- und Terziärstruktur: Tragstruktur, Innenausbau und Möblierung. Um dem unterschiedlichen Lernverhalten der Schüler gerecht zu werden, ist ein differenziertes und flexibles Raumangebot notwendig, das in seiner Vielfalt aus sowohl spezialisierten als auch undeterminierten Räumen der Vielfalt an Verhaltensweisen entspricht. Die Schule muss als Unterrichtsinstrument gesehen werden, das die räumliche Manipulation durch die Benutzer zulässt, ja herausfordert.

Im 1971-79 erbauten BG Dreihackengasse in Graz, dem ersten von zahlreichen Schulbauten des TEAM A GRAZ wurden diese Konzepte umgesetzt, die (bemerkenswerterweise) teilweise schon in der Wettbewerbsausschreibung verlangt waren, was den zeitweiligen Reformwillen der damaligen Politik zeigt. Die Schule verkörpert ein, in dieser Konsequenz bei Bildungsbauten bis heute selten erreichtes, fortschrittliches Raumkonzept, was auch an Details klar wird: So entwickelten die Architekten nicht nur schon im Wettbewerb Umbauvarianten für (noch immer) zukünftige Unterrichtsformen, sondern planten etwa zwischen den Klassen und den vorgelagerten Gruppenräumen Glastüren für mehr Blickkontakte zwischen verschiedenen Lerngruppen ein, die mangels Unterrichtsreform von den Lehrern nicht verstanden und zunächst verklebt, später ausgetauscht wurden. In der Ausschreibung für die neue VS Mariagrün in Graz werden neben der kommunikationsfördernden Anordnung der Klassen um einen Gruppenraum übrigens auch wieder transparente Klassentüren gefordert. Am 11. Februar wird das Ergebnis der 2. Phase des Wettbewerbs bekanntgegeben, dann wird klar, ob die jüngste Chance auf eine Weiterentwicklung im Schulbau genutzt wird.

Die intensive Beschäftigung des TEAM A GRAZ mit dem Schulbau als interdisziplinärem Projekt ist ein Beispiel für die Avantgardefunktion von Architekten in gesellschaftspolitischen Fragen. Aber leider auch dafür, wie wenig deren Stimme von der Mehrheit gehört wird, wie parteipolitisches Denken die zarten Pflänzchen von Reformen zerstören und einen Status quo für vier Jahrzehnte weitgehend einzementieren kann. Die engagierten Konzepte wirken auch 40 Jahre später eher ihrer Zeit voraus denn verstaubt. Leider, wenn man ehrlich ist.

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