20/03/2007
20/03/2007

Am Podium (von li. n. re.): Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner, Ziviltechniker-Präsident Dipl.-Ing. Gerald Fuxjäger, LAbg. Peter Hagenauer und Dipl.-Ing. Franz Lückler. Foto: Archiv Arch+Ing

Hochinteressante Diskussion am 15. März im Grazer Meerscheinschlössl zum Thema "Nix geht mehr? Rechtsnotstand dank Widerstand - Kann alles verhindert und genehmigt werden?"

"Die Veranstaltung war konsensual und nicht konfrontal", fasste Ziviltechniker-Präsident DI Gerald Fuxjäger zusammen, der die Diskussionsveranstaltung "konfrontal- Nix geht mehr?" am 15. März im Grazer Meerscheinschlössl elegant moderierte. Aus der einleitenden Fragestellung: "Rechtsnotstand dank Widerstand - Kann alles verhindert und genehmigt werden?" anhand unzähliger aktueller Beispiele - von der 380-kV-Leitung bis zu Spielberg neu - entwickelten die Diskutanten Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner (Verwaltungswissenschaftler), LAbg. Peter Hagenauer (Grüne) und DI Alexander Walcher (ASFINAG) Szenarien, wie künftig mehr Rechts- und Planungssicherheit erreicht werden könnten.

"Was wir für künftige Verfahren brauchen", zog Fuxjäger ein Resümee, sind
• Konsensfähigkeit
• Respekt dem Anderen gegenüber
• Eine Kompetenzreform zum Ausbau der Bundeskompetenzen
• Nachhaltigkeit von Projekten
• Die Abkoppelung der Projektabwicklung von den Grundsatzentscheidungen und
• Den Ausbau der bestehenden Instrumente wie SUP und Mediation.

Einleitend hatte Fuxjäger die zwei Kraftfelder und Ebenen der Rationalität und der Emotion definiert, zwischen denen sich Entscheidungen und deren Akzeptanz, bzw. Ablehnung bewegten. Peter Hagenauer wiederholte sodann den anhaltenden politischen Widerstand gegen die 380-kV-Leitung, für die Tags zuvor der Genehmigungsbescheid ergangen war und meinte: Die Zersiedelung ist die sichtbar gewordene Unfähigkeit zu rationalem Handeln. Heute stellten sich für die Politik aber Grundsatzfragen, die es zu entscheiden gelte: Wohin wollen wir? Was sind die mittel- und langfristigen Ziele? Was sind die Mittel, diese Ziele zu erreichen?

Christian Brünner, Ex-Rektor und Ex-Politiker, hielt eingangs fest, es höre sich das Zusammenleben auf, wenn rechtlich fundierte Entscheidungen einfach nicht akzeptiert würden. Er nannte als Beispiele die Aushebelung der Naturschutzgesetzgebung zur Verhinderung des Semmeringtunnels durch den niederösterreichischen Landeshauptmann und die Durchsetzung des Koralmtunnels durch seinen Kärntner Amtskollegen. Da geht es nur mehr um Macht und Ohnmacht. Dann sagt sich der Bürger, die machen mit uns, was sie wollen. Wenn vor der EU-Wahl der Verbund Inserate für eine Partei schalte, ein Landesamtsdirektor einen Wahltermin so lege, dass die Einspruchsfristen in die Ferienzeit fielen, und wenn der Bund im Hinblick auf die 380-kV-Entscheidung den Bauernbundball sponsere, dann ist das nicht ok.

Emotional heiße aber nicht unbedingt irrational, denn der genehmigende Bürgermeister - siehe Verhüttelung - handle aus seiner Sicht ja rational im Hinblick auf die nächste Wahl. Das würde sich aufhören, wenn die Gemeinden die Infrastrukturkosten zahlen müssten, sagte Brünner.

Die ASFINAG sei derzeit mit rund 30 Neubauprojekten mit einem Volumen von elf Milliarden Euro beauftragt, berichtete DI Alexander Walcher. Gleichzeitig würden die Planungszeiträume immer länger, woran aber ganz sicher nicht die UVP schuld ist, die ein hervorragendes Instrument des vorbeugenden Umweltschutzes darstellt. Danach sei die SUP dazugekommen, aber auch dort seien die Erwartungen sehr bald enttäuscht worden. Es gebe bei diesen Instrumenten große Interpretations-Spielräume, was gleichzeitig Chancen und Probleme bedeute. Es werde aber nicht die Frage gestellt „ist das Projekt notwendig oder nicht? Wir hangeln uns von Wahl zu Wahl - und das sind in der Praxis ein bis zwei Jahre. Auch deshalb wird die Umsetzung immer schwieriger, denn: Die Politik ist nicht konstant.

Solange es beispielsweise keine Bundes-Raumordnungskompetenz gebe, werde sich nicht viel ändern. Die politischen Entscheidungen sind bereits gefallen, wenn die Bürgerbeteiligung einsetzt, schilderte Walcher den ASFINAG-Alltag.

Der Gesellschaftliche Grundkonsens, der in den Nachkriegsjahren geherrscht habe, splittere, diagnostizierte Hagenauer. Es geht nicht mehr um Trassenvarianten, sondern die Politik muss entscheiden. Die diversen Beauftragten sind politische Hitzeschilder, hinter denen sich die Politik versteckt. Italien baue ein Atomkraftwerk in der Slowakei, wolle den Strom dann klarerweise verkaufen und brauche dazu die 380-kV-Leitung quer durch die Oststeiermark. Darüber sind die Leute wütend. Die Grundstimmung heiße ja nicht, packen wir es gemeinsam an, sondern die Gemeinsamkeit sei out, stellte der Grüne Landtagsabgeordnete fest.

Mit der Frage, wie denn Politiker zu Entscheidungen kommen sollten, läutete Präsident Fuxjäger eine Lösungsrunde ein: Weite Teile der Energiepolitik seien konsensfähig - man mache sie nur nicht, diagnostizierte Hagenauer. Es ist ja nicht so, dass die Volkswut unermesslich ist. Aber man schickt Planer, Beauftragte, etc. vor, statt eine breite Diskussion darüber zu führen, dieses und dieses Projekt ist notwendig. Die Politiker müssen Alltagsmacht gegen längerfristige Konzeptionen eintauschen.

Wir haben ja ein juristisches Instrument, um zu Konsens-Situationen zu kommen, nämlich die Mediation, ergänzte Brünner. Allerdings könne derzeit nur der Konsenswerber einen Antrag dafür stellen, was aber auch die Betroffenen können sollten, räumte er ein. Und: Den Alternativen zur 380-kV-Freileitung hätte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen, denn es ist einmalig in Österreich, dass Bürger ein Projekt in allen Details ausarbeiten. Politisch stelle sich die Frage, wie das System so geändert werden könne, dass nicht nur in einer Legislaturperiode gedacht werde und auch an die Nachkommen. Eine Verlängerung der Legislaturperioden sei wünschenswert, allerdings würde dadurch die Kontrollmöglichkeit für die Bürger um ein Jahr hinausgeschoben, räumte der Verwaltungswissenschaftler ein.

Eine zweite Kammer, in der langfristiges Denken verordnet wird, wäre laut Brünner eine Lösung. Ich weiß aber nicht, was man tun kann, um die Bundeskompetenzen in wichtigen Fragen - wie zum Beispiel Infrastruktur - zu stärken, denn die Länder und Gemeinden wollen nichts abgeben. Daran ist ja auch der Verfassungskonvent gescheitert.

Fast schon tragikomisch hörte sich die Schilderung des Zustandekommens des Generalverkehrsplans 2005 durch Walcher an: Das war eine Sammlung von Länderwünschen durch die Infrastrukturministerin. Deutlich gegen die Mediation sprach sich der ASFINAG-Planer aber aus, denn: Die Mediation ist grundsätzlich ergebnisoffen - wir aber müssen politisch festgelegte Projekte umsetzen und die Unterbrechung des UVP-Verfahrens für eine Mediation ist unmöglich.

Der verfahrensgestählte Grazer Rechtsanwalt Mag. Gregor Kohlbacher ergänzte, die Mediation sei kein probates Mittel, um Entscheidungen zu finden. Das größte Manko der derzeitigen Situation bestehe darin, dass wir uns auf Parameter, die lange gegolten haben, nicht mehr verlassen können. Und wir brauchen eine saubere Beamtenschaft.

Dr. Alois Oswald, der langjährige steirische Umweltanwalt, vermisste eine gewisse Gesetzeswahrheit. Ich muss den Anderen respektieren und anerkennen. Der Bürger sei nicht mehr irgendwer, sondern wolle seine Rechte wahrnehmen. Die Verwaltung hat Gesetze zu vollziehen und keine persönlichen Interessen durchzusetzen. Von der Arroganz der Macht sprach ein Diskutant aus dem Publikum, und apostrophierte konkret Konsenswerber, Politiker und Beamte.

Ich muss mich als Politiker entscheiden, was ich will, meinte Hagenauer zu Koralm, Semmering und Fürstenfelder Schnellstraße, und Brünner ergänzte, der vorausschauende Umweltschutz sei über 30 Jahre billiger als der reparierende. Für die Verbindlichkeit des Mediationsverfahrens, das alle Beteiligten beantragen können sollten, und eine Systemänderung hin zu überregionalen Abgeordnetem sprach sich Brünner pro futuro aus, merkte aber gleichzeitig an: Das Berufsethos bei Beamten ist in den letzten Jahren erodiert, hier müssen wir Unvereinbarkeiten ansprechen.

„Wir brauchen gegenseitige Wertschätzung und müssen weg vom Provinzialismus und Föderalismus, das heißt vermehrte Bundeskompetenzen, formulierte Walcher einen Anforderungskatalog für mehr Rechts- und Planungssicherheit. Wir brauchen eine nachhaltige Entwicklung, eine Balance zwischen ökonomischer und ökologischer Entwicklung, schloss der gelernte Landschaftsökologe.

Die Politik muss Gesetze konkret und vollziehbar formulieren, forderte Hagenauer. Wir müssen politische Aufmerksamkeit für den gesellschaftlichen Konsens schaffen. Dazu ist die direkte Demokratie eine der Möglichkeiten, wie etwa in der Schweiz. Überdies müssen wir Instrumente wie die SUP aufwerten und wir brauchen keine neun Raumordnungs- oder Baugesetze. Wir haben es nicht mit einer Ansammlung von Florianis zu tun, sondern mit bewusst gewordenen Bürgern.

Nach fast zwei Stunden leitete Moderator Gerald Fuxjäger die gut besuchte Veranstaltung konsensual statt konfrontal zum informellen Teil mit Imbiss über. Die Suche nach Lösungswegen prägte den spannenden Abend und die Hoffnung auf Besserung der unbefriedigenden Verhältnisse. Mehr als viereinhalb Stunden konfrontal-Gespräche sind ein deutlicher Beleg für die Brisanz des Themas und die Hochwertigkeit der Diskussionen.

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