29/12/2004
29/12/2004

Ankündigung

NACHSITZEN

Eine Gruppe Architekturstudenten hat sich entschieden, nachzusitzen. Einfach am Abend länger im Hörsaal bleiben, um sich zu erkundigen, ob es nicht abseits ihrer fast völlig verschulten Massenuni eine andere Wahrheit gibt - da oder dort draussen.
Irgendwann fällt auch auf, dass die bedeutungslosen Lehrinhalte und eine Ausbildung zu Fachidioten, ohne jegliche Fähigkeit zum selbstständigen Denken, stinken. Denn die Lehre, die sich zwanghaft darauf konzentriert, einen Dienstleister zu formen, der die „Wünsche des Bauherren erfüllt“ und eine „gute, solide, funktionierende Architektur für die Menschen gestaltet“, hinterlässt die Bitterkeit des beruflichen Friedhofes der architektonisch gescheiterten Existenzen.
Es tut mir leid, aber „God is not in the House“. Domenig in Pension, Meuwiesen geflüchtet, van Berkel vertrieben. Dort, wo einmal der Flügel der Coops gebrannt hat, wird ein regelrechter Kreuzzug gegen jeden häretischen Geistesfunken geführt, der vielleicht eine entwerferische Inspiration oder mutige Innovation oder relevanten Diskurs auslösen könnte. Die Bürokraten und die Technokraten haben die Oberhand gewonnen und überfluten mit Aktenvermerken und Verordnungen die letzen Enthusiasten, meist die externen Lehrbeauftragten, die sich immer noch berufen fühlen, in diesem Schloss zu agieren.

Umso mehr war ich verblüfft, als sich in diesem Milieu, im Rahmen von „Nachsitzen“ eine spannende und interessante Diskussion über „Open Source in der Architektur“ ergeben hat.
Natürlich muss man die Begrifflichkeiten noch genauer klären, um diese Konzepte besser zu verstehen, aber man muss auch feststellen, dass sich die Architektur nicht nur durch das Bauen von Häusern definiert (besonders nicht durch das Einfamilienhaus, als Urtyp architektonischer Aufgaben gern zitiert) genauso bedeutet die Kollaboration in einem offenem System nicht, dass ein Haufen Architekten an einem Haus beliebig basteln, manche am Keller, manche am Dach.
Architektur steht sich im Weg, und selbst Orpheus ist nicht gelungen, mit dem Rücken in die Zukunft zu gehen (laut Liebeskind). Um eine neue Architektur zu finden, muss man zuerst ihren Code ändern. Ihren Quellcode. Um dies zu tun, muss man ihn zuerst offen und frei legen – also befreien. Das Wissen will frei sein.

Weiters sind neue Arbeitsinstrumente und Methoden notwendig. Denn wir haben längst die neuen Medien durchblickt, allerdings nicht die entsprechenden Mittel, sie in der Architektur anzuwenden. Die Konzepte der netzwerkunterstützten kreativen Arbeit in interdisziplinären Teams lassen sich mit jetzigen Tools unmöglich realisieren. Sogar Vitruv sagte, ein Architekt solle zuerst eine Maschine bauen – dies sei wichtiger, als eine Stadt zu bauen. Weiters liegt es auf der Hand, dass die Problemlösungen für Architekturfragen nicht in der Architektur selbst liegen.
Eine radikale Veränderung der architektonischen Lehre und Praktiken steht vor der Tür und wird weltweit diskutiert. Diese Strategien kommen aus dem IT Bereich. Die Software Entwicklung von Open Source Systemen hat bewiesen, dass sich das Konzept des Bazars erfolgreich in der Praxis durchsetzen kann gegenüber der Kathedrale und dass es sich hier nicht um eine gesellschafts-politische Utopie handelt.

Grundsätzlich gibt es folgende Möglichkeiten einer Implementierung dieses Modells in die architektonisch-künstlerische Praxis:
- Strategien und Instrumente entwickeln, die das kreative kollaborative interdisziplinäre Arbeiten im Netz in der ersten Phase des Projekts unterstützen, wobei man noch nicht genau den Projektinhalt definiert hat.
- Die virtuellen Communities der „Connected Intelligence“ formieren, die sich um das Offenlegen und den freien Zugang zum architektonisch-künstlerischen Wissen bemühen und diskursive Foren bilden. Die Macht der Vernetzung ermöglicht uns allen, Helden zu sein, weil durch das Handeln eine neue Unmittelbarkeit entsteht, oder anders gesagt „ordinary people can do extraordinary things“ (laut Flachbart) – somit haben wir alle die Möglichkeit, als Helden zu agieren.
- Content management Systeme entwickeln und nutzen, die eine effiziente Projektabwicklung ermöglichen, und kleinen dynamischen Büros die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung stellen, die sie am Markt konkurrenzfähig macht und ihnen ermöglicht, ortsunabhängig zu agieren.

Ein weiterer Punkt bezieht sich auf Lehrinhalte und Methoden.
Und da gibt es einige Hoffnungsträger an der TU-Graz, trotz der schwierigen Lage, unter anderen das Institut für Architektur und Neue Medien (Prof. Hirschberg war auch bei der Diskussion anwesend). Die Unterstützung der praktizierenden Architekten haben sie, denn wir sind ja auch abhängig von qualifizierten Kräften, die von der Uni kommen und bereit sind, eigenständig zu handeln und mehr zu tun, als in den Lehrskripten vorgeschrieben wird.
Wenn es sein muss, auch nachzusitzen. Das Handeln hat begonnen.

Ivan Redi (ORTLOS architects)
Teilnehmer waren u.a. Franz Konrad, Gernot Ritter, Reini Urban, Ivan Redi, Urs Hirschberg und Peter Plessas. Und ihr!

Verfasser/in:
Ivan Redi "Freie Meinung"
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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