25/10/2016

Peter Blundell Jones ist im August 2016 im Alter von 67 Jahren gestorben.

Dialogues in Time. New Graz Architecture ist im HDA Graz erhältlich.

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25/10/2016

Peter Blundell Jones, Mitautor des Architekturführers ARCHITEKTUR_GRAZ, am 10.05.2003 bei der Präsentation des Buches auf der Grazer Murinsel (s. auch Artikelempfehlung unten). Foto: GAT

©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Peter Blundell Jones ist im August dieses Jahres im Alter von 67 Jahren gestorben. Dass der Tod des weit über England hinaus bekannten Architekturtheoretikers, Autors und Journalisten in Graz weder der Technischen Universität noch den für Baukultur verantwortlichen Stellen im Land einen Nachruf wert war, ist bitter, aber nicht weiter verwunderlich. Menschen zu ehren, die sich mit Einsatz, Empathie und Ausdauer verdient gemacht haben um die Baukultur dieses Landes, indem sie ihre Entwicklung über Jahrzehnte beobachten, analysieren und beschreiben und damit über die Grenzen hinaus bekanntmachen, ist deren Sache nicht.
Peter Blundell was? – ist in Graz ein fast Vergessener, bei den heute Studierenden ein Unbekannter. Dabei hatte er, den Kollegen der University of Sheffield gleichermaßen wie die Kollegen von der Architectural Review in ihren Nachrufen als Architekturhistoriker mit „such a lively presence in everything he did“ beschreiben, zu Graz und der Grazer Architektur der 1970er bis in die 1990er-Jahre eine tiefgehende Beziehung. Ja, mehr, er hat ihre europaweite Bekanntheit maßgeblich geprägt und wirkt bis heute nach.
Peter Blundell Jones ist der Autor des einzigen und einzig bedeutenden Werks über die Entwicklung der Grazer Architektur seit den 1960ern, als Leute wie Günther Domenig, Bernhard Hafner, Konrad Frey und viele andere aus den Zeichensälen der Technischen Hochschule strömten, um der Architekturwelt zu zeigen, welche Kraft, welches Wollen sich in dieser Provinzstadt am südöstlichsten Eck Österreichs entwickelt hatte. Es gab keine Periode in der Geschichte der hiesigen Architekturproduktion, die größere internationale Aufmerksamkeit erregt hatte als jener Zeitraum des umfassenden kreativen Outputs, für den reichlich oberflächlich der Begriff der Architektur der Grazer Schule geprägt wurde.
PBJ hat sich nicht mit Oberflächlichem begnügt. Er hat seinem umfassenden Werk Dialogues in Time den Untertitel New Graz Architecture hinzugefügt und ebenso fundiert wie umfassend herausgearbeitet, warum dieser eben nicht Graz School of Architecture heißen konnte. Er beschäftigte sich eingehend mit der Vorgeschichte dieser Bewegung, hat glasklar unterschieden zwischen ihren Vorläufern und ihren Protagonisten und unterteilte letztere kundig und präzise in vier Generationen. Wie zum Beweis hat er seine Erkenntnisse an Beispielen des Gebauten jener Zeit belegt – sehr schön und emphatisch beschrieben und analysiert. Wer ihn kannte, weiß, dass es ihm nicht darum ging, Beweisführung für Erkenntnisse und Theorien vorzulegen, sondern darum, die Qualität der Architektur, die ihm nahe war und die er mochte, anschaulich und lebendig zu illustrieren.
PBJ war kein trockener Vertreter von Theorie und Grundsätzen. Das zeigte sich bereits in seinem ersten Buch über Hans Scharoun, bis heute das Standardwerk, das er unmittelbar nach seinem Studium an der AA in London verfasst hatte. Es zeigte sich in seiner Begeisterung für Hugo Härings Gut Garkau bei Lübeck, über das er auch in einem Grazer Vortrag ausgiebig referierte. Ihn deswegen als Liebhaber und Befürworter einer organischen Architektur zu kategorisieren, tut diesem großen Architekturhistoriker unrecht. In seiner Bewunderung für Scharouns Berliner Philharmonie ging es ihm weder um formalistischen Ausdruck noch um das Verlassen des rechten Winkels – nein, PBJ sah in den freien Formen der Bauten von Scharoun, Alvar Aalto oder Gunnar Asplund eine Befreiung aus den strikten Gesetzen der klassischen Moderne, die die Strenge des rechten Winkels zum Dogma erhob. Kein Wunder, dass er sich zum kleinen Haus von Scharoun in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung stärker hingezogen fühlte als zu dessen großen Nachbarn von Le Corbusier, Mies oder Gropius.
Seine Vorlieben begleiteten ihn sein Leben lang, nicht grundsätzlich, sondern aus einer tiefgehenden Analyse heraus. So schrieb er Monographien über Gunnar Asplund, über Günter Behnisch und den hierzulande weitgehend unbekannten Stuttgarter Architekten Peter Hübner, er machte in einem seiner zahlreichen Artikel (kolportierte 550) in The Architectural Review aufmerksam auf Enric Miralles, lange bevor dieser von der Fachwelt wahrgenommen und gehypt wurde, und würdigte das Werk des heute wieder weitgehend unbekannten Freidenkers Lucien Kroll. 
Und er schrieb das Standardwerk über die Grazer Schule. Über die New Graz Architecture und ihre singuläre Bedeutung im Kontext der Zeit damals, in der die Bautätigkeit in fast allen Ländern Europas von den Ideen und Bauten der Postmoderne dominiert wurde.
In die Reihe der 20 Bücher, die PBJ bis zu seinem frühen, plötzlichen Tod in diesem Sommer verfasst hat, fügt sich Dialogues in Time ebenso verständlich ein wie sein letztes, mit Mark Meagher geschriebenes Werk Architecture and Movement: The Dynamic Experiance of Buildings and Landscapes aus 2015.
Wer ihn kannte, weiß, dass er noch viel vorgehabt haben musste, auch wenn er sich aus dem Universitätsbetrieb zurückgezogen hatte. Unzählige Postings von ehemaligen Schülern der University of Sheffield bezeugen, welch großartiger Lehrer er gewesen sein muss – wie sehr und mit welcher Empathie er Studierenden etwa die Wichtigkeit des sozialen Aspekts der Architektur nahegebracht hat. „He saw architecture as a social and collaborative art“, schreibt einer der Studenten, für die er auch Mentor wurde.
In Graz ist er wohl weitreichend unbekannt, auch wenn er beim Symposium mit dem Titel Was bleibt von der Grazer Schule? 2010 vom Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften (IAKK) der TU Graz als Experte für diese Zeit eingeladen worden war.
Den jungen Studierenden in Graz rate ich, sein Buch über die Neue Grazer Architektur sorgfältig zu lesen. Nicht, weil die Architektur der Grazer Schule so großartig ist. Nein, wenn, dann ist sie im Kontext ihrer Zeit einzigartig. Ich gebe eine Leseempfehlung ab, weil dieses Buch, wie schon sein Titel anspricht, eine Bewegung in ihrer Zeit erstehen und verstehen lässt, in der sich kreatives Potenzial nicht in Moden, Oberflächendesign oder reinem Funktionalsimus ausgedrückt hat.
Die Beschäftigung mit den Büchern und Publikationen von Peter Blundell Jones würde ihm Ehre genug tun. Sie ist über seinen Tod hinaus jederzeit möglich.

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