07/05/2007
07/05/2007

Manuel Barbadillo: Adfera, 1972, Siebdruck, 50 x 66 cm, Computer: IBM 7090 / IBM 1401

Alberto Biasi: Light prisms, 1962/1965, Mixed Media, Elektromotor, 100 x 100 x 40 cm

Cover der Publikation „bit international 1 – the theory of information and the new aesthetics“, Hg. Max Bense, Abraham A. Moles, Zagreb 1968

Hiroshi Kawano: Werk No. 7, 1966, Malerei auf Papier nach computergeneriertem Entwurf, 39,6 x 39,7 cm, Computer: Hitac 5020

Tendenzen 4, 1968/69, Ausstellungsplakat, Zagreb 1969, Gestaltung: Ivan Picelj

Mit bit international. [Nove] tendencije widmet sich die Neue Galerie der so innovativen wie richtungsweisenden Ausstellungsreihe Neue Tendenzen 1-5, die 1961 in Zagreb ihren Anfang nahm. Die methodische Reflexion infolge geometrischer Abstraktion, konstruktivistischer und konkreter Kunst führte zu einer interdisziplinären Orientierung, die nicht vorrangig als Kunst, sondern als „visuelle Forschung“ bezeichnet und verstanden wurde. „Die Ausstellung Bit international in der Neuen Galerie Graz ist der Versuch, die Geschichte der Kunst und Neuen Medien aus einer anderen Perspektive zu erzählen.“ (Peter Weibel)

Zwei maßgebliche Phänomene in der kroatischen Kunst zwischen 1950 und 1970 sind durch ihre Orientierung an einem konstruktiven Zugang zu Kunst verbunden. EXAT-51 (Eksperimentalni atelier 51) war eine Gruppe von Malern, Architekten und Designern, die von 1951 bis 1956 in Zagreb arbeitete und Nove Tendencije ist der Titel von fünf international besetzten Ausstellungen in Zagreb zwischen 1961 und 1973. EXAT-51 steht vor allem für die Entwicklung der geometrischen Abstraktion der frühen Nachkriegszeit, während mit Nove Tendencije über Ausstellungen und Kolloquien Neokonstruktivismus, Op Art, Gestaltkunst, kinetische und programmierte Kunst forciert und öffentlich vermittelt wurden. Als Initiator der ersten Ausstellung der Neuen Tendenzen gilt Almir Mavignir, der 1960 anlässlich einer Podiumsdiskussion an der Kunstakademie in Zagreb zu neuen künstlerischen Positionen auf der Biennale in Venedig befragt wurde. Mavignir stellte fest, dass er dort keinerlei neue Richtungen in der Kunst bemerkt habe und er begründete dies mit der damaligen Struktur der Biennale, die ausschließlich Kunst präsentierte, wie sie durch den Handel und offizielle Ländervertretungen bereits bekannt war. Er schlug vor, auf die Suche nach Künstlern zu gehen, die mit neuen Konzepten und Materialien experimentierten, was seiner Meinung nach auf Künstler und Gruppen wie Morellet, Gruppo N, Castellani, Mack, Piene, Uecker, Wilding, Gerstner, Pohl, Adrian, Zehringer und andere zutraf. Mavignir setze sich für eine Ausstellung mit diesen Künstlern unter dem Titel Neue Tendenzen ein. Die größte Überraschung der ersten Ausstellung 1961, so Mavignir, „war die verblüffende verwandtschaft der experimente der künstler verschiedenster länder, obwohl diese künstler wenig voneinander wußten oder oftmals sich überhaupt nicht kannten“. Damit wurde in Zagreb erstmals die Existenz einer internationalen Bewegung neuer Konzeption erkannt, „die mit optischer untersuchung der fläche, der struktur und der objekte experimentiert“.

Chronik neuer Tendenzen der Kunst

Peter Weibel führt im jetzt erschienenen Katalog bit international. [Nove] tendencije – Computer und visuelle Forschung einen Folgeaspekt der Neuen Tendenzen an, auf den mit der Ausstellung in der Neuen Galerie anschaulich verwiesen wird: die visuelle Forschung mit dem Computer, die 1968 in Zagreb begonnen wurde. Damit erschließt diese von Darko Fritz kuratierte Koproduktion der Neuen Galerie Graz, des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe und des Museums für zeitgenössische Kunst Zagreb „eine unbekannte Quelle, um die Geschichte der Entstehung der Computerkunst neu zu erzählen“ (Weibel).
Neben den Gründern der Ausstellungsreihe Nove Tendencije, Almir Mavignier und Matko Meštrvić, gingen wesentliche Einflüsse von der Groupe de Recherche d’Art Visuel (GRAV, 1960-1968) – Horacio Garcia-Rossi, Julio Le Parc, Françoise Morellet, Francisco Sobrino, Joël Stein und Yvaral, dem Sohn von Victor Vasarely – aus. GRAV betonten schon mit ihrem Namen den Aspekt der Forschung und, wie auch Gruppo N, MID und T, die Gruppenarbeit anstatt individueller Kreation präferierten. Die visuelle Forschung führte zu Ausstellungen wie Bewogen Beweging, 1961 in Amsterdam und Stockholm, Arte Programmata, opera moltiplicata, opera aperta, 1962 in Mailand, und The Responsive Eye, 1965 im Museum of Modern Art New York. Infolge letzterer wurde der Terminus Op Art populär.

Informationstheorie und Kybernetik

Rationalisierungstendenzen in der Kunst führten zu dieser Zeit bereits in ein Bündnis mit Kybernetik und Informationsästhetik, nachdem Theoretiker wie Umberto Eco, Max Bense und Abraham Moles semiotische Analysen von Charles S Peirce in die Kunst einführten. Dazu kamen mathematische Theorien der Informations- und Kommunikationstechnologie durch den Russen A. A. Markov und den Amerikaner Claude Shannon.
Die Frage des Programmierens in der Kunst beschreibt Peter Weibel im Ausstellungskatalog mit der Feststellung, dass schon die Konkrete Kunst und viele Werke der Op Art als mehr oder minder programmiert verstanden werden können. Die Programmierung komplexerer Lösungen führte zum Einsatz von „rechnenden Maschinen“, was zunächst aber nur von wenigen Künstlern praktiziert wurde, wie an den Ausstellungen der Neuen Tendenzen bis 1965 nachzuvollziehen ist. 1968 allerdings waren es Wissenschafter und Ingenieure, die visuelle Forschung mittels Computer betrieben und auf dieser Basis visuelle Werke produzierten, die auf den Neuen Tendenzen 4 mit dem Titel Computer und visuelle Forschung präsentiert wurden. In diesem Jahr erschien auch die erste Ausgabe von bit international, einer mehrsprachigen Vierteljahresschrift, die sich die „Präsentation der Theorie der Information, der exakten Ästhetik, der Kommunikations- und Massenmedien“ zur Aufgabe machen sollte. Bis 1972 erschienen insgesamt sieben Ausgaben, wobei die beiden letzten Konkrete Poesie und Fernsehen behandelten. Während also 1968 die im Rückblick weit mehr Aufmerksamkeit verzeichnende Ausstellung Cybernetik Serendipity in London stattfand, die gleichfalls die Begegnung von Kunst und Computer zum Thema hatte, begannen im Sommer desselben Jahres die Nove tendencije 4 mit einem Kolloquium zu Computer und visuelle Forschung in Zagreb.

Anfänge der Computerkunst

„Die Zagreber Tendenzen“, fasst Peter Weibel zusammen, „und ihr Programm der visuellen Forschung erlauben es, auf einmalige Weise zu zeigen, wie und aus welchen Kunstströmungen sich die Computerkunst entwickelt hat. Gleichsam wie unter dem Mikroskop kann am Beispiel der Entwicklung der Neuen Tendenzen in Zagreb in den 1960er Jahren das Entstehen der Computerkunst verfolgt werden. Genauer, wie die 8 Kunstbewegungen: konkrete, konstruktive, kinetische, kybernetische, konzeptuelle Kunst, Op Art, konkrete Poesie und Computerkunst zusammenhängen, einander bedingen, sich wechselseitig beeinflussen und entfalten.“ Nicht zuletzt die Herausgabe von bit international ab 1968 ist beispielhaft für das frühe Bewusstsein der Entwicklungen einer übergreifenden Strömung zwischen Wissenschaft und Kunst sowie dem Einsatz digitaler Medien in Jugoslawien, „in einem Land am Rande des Eisernen Vorhanges“ (Weibel), während die erste Ausstellung unter dem Titel Kunst und Computer in Wien im folgenden Jahr in der Zentralsparkasse gezeigt wurde. Die Neue Galerie Graz folgte 1973 mit Audiovisuelle Botschaften und 1979 wurde die Ars Electronica in Linz gegründet.

Bit international – [Nove] tendencije. Computer und visuelle Forschung. Zagreb 1961-1973 ist bis zum 17. Juni in der Neuen Galerie Graz zu sehen. Dazu ist ein Katalog mit Beiträgen von Peter Weibel, Ješa Denegri und Margit Rosen erschienen. Eine Fortsetzung erfährt dieses Ausstellungsprojekt im nächsten Jahr am ZKM Karlsruhe, ein ausführlicher Katalog erscheint bei MIT Press.

Neue Galerie Graz
Sackstraße 16, 8010 Graz

Öffnungszeiten:
Mo-Di 10.00-18.00 Uhr
Do bis 20.00 Uhr
Mo geschlossen

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
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