24/03/2012
24/03/2012

Paul Ott. Photography about Architecture, Titelbild, Sao Paulo

©: paul ott photografiert

Vorsatz ©paul-ott

SaoPaulo ©paul-ott

Tod dem Architekt ©paul-ott

Die Normalität als Monument Der Bildband „Paul Ott – Photography about Architecture/Fotografie über Architektur“ Durchsucht man das Alphabet der Auftraggeber auf der Homepage von Paul Ott, fällt auf, nur die Buchstaben O, V und Y sind nicht mit Namen belegt. Ansonsten liest sich die Liste wie das Who`s who der inländischen Architektenszene. Seit über zwanzig Jahren produktiv, ist Ott ohne Zweifel mittlerweile längst zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Architekturfotografen Österreichs geworden. Er hat Preise für seine Fotografie gewonnen, war und ist in vielen Ausstellungen vertreten, hat Beiträge zu zahlreichen Publikationen geliefert. Es war also durchaus an der Zeit, dass auch eine Monografie das Werk des Fotografen zusammenfasst und dokumentiert. So ist Ende 2011 bei Springer der Bildband „Paul Ott – Photography about Architecture/Fotografie über Architektur“ erschienen.

Auf dem Umschlag: ein Blick aus der Vogelperspektive auf ein dichtes Gestrüpp von Hochhäusern in einer Großstadt. Zwei Models – überlebensgroß auf Wandplakaten – lugen werbe-erotisch aufgemotzt dazwischen hervor. Innentitel: Ansichten von im Entwicklungsprozess „unvollendeter“ Papierabzüge. Ausgesilberte, kristalline Materialien werden zu analogen Antagonisten im Zeitalter der digitalen Pixelinformation. Nächste Seite: Aufnahme eines Graffitos (das Graffito, die Graffiti, war mir auch neu) – an die Begrenzungsmauer einer Grazer Wohnsiedlung gesprayt – auf dem „Tod dem Architekt“ zu lesen ist. Einmal umblättern: Die Stadt auf dem Umschlag – es ist Sao Paolo – lässt sich der Legende am Ende des Buches entnehmen – nun im Smog kaum sichtbar. Ein kleiner Fleck gegen die Bildmitte, der im ersten Moment eine Verunreinigung auf dem Papier vermuten lässt und sich erst bei genauerer Betrachtung als Hubschrauber erweist. Paul Otts Buch eröffnet ohne großen Trommelwirbel, sondern zeigt sich pragmatisch gegen den Strich gebürstet . Im Grunde gar nicht überraschend – wenn man Otts Fotografie kennt.

Matthias Boeckl, Chefredakteur von „architektur.aktuell“ und Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Angewandten in Wien, bringt es als Herausgeber des Bandes in seinem Eröffnungsessay schnell auf den Punkt: „Und bei der Auswahl des repräsentativen Augenblicks beobachtet Ott den Nutzeralltag, um das Typische zu finden (...) Die Normalität wird zum Monument erhoben.“

Durchaus in einer Ebene mit aktuellen fotografischen Zeitgenossen wie Robert Adams oder Stephen Shore gräbt Ott den Kanon der Architekturfotografie mit um. Er öffnet dem „Moment decisive“ eines Henri Cartier Bresson die Tür und lässt in seinen Auftragswerken dem Menschen einen breiten Raum. So biegt scheinbar zufällig bei der Ablichtung eines Ganges im Grazer Rondo gerade eine muslimische Mutter mit Kinderwagen und vorauseilendem Kind um die Ecke. Im Eck eines Fotos von einem Klagenfurter Privathaus mit davor liegendem Pool ist gerade noch die verwischte Figur einer ins Wasser eintauchenden Person zu sehen. Die unscharfen „Weißkitteln“, die Ott bei einer Aufnahme über Kunst am Bau durch sein Bild laufen lässt, lassen die hektische Betriebsamkeit eines Krankenhauses erahnen. Und auch heilige Kühe der klassischen Architekturfotografie wie Schlagschatten, blaue Stunde, Extralicht oder elegante Aufgeräumtheit der Objekte werden von Ott zwar nicht immer gleich geschlachtet, aber immer wieder sanft aus dem Motiv entlassen. Architektur darf schwitzen, sich auch bedeckt halten, in Arbeit sein oder von der Umgebung überlagert werden.

Ott ist einer, dem dokumentieren nicht ausreicht, er will Stellung beziehen. Konsequenzen zieht er einer rein technisch perfekten Präsentation vor. Er ist sich bewusst, dass Bilder trügerisch sind, dass gerade in der Architekturfotografie manchmal Märchenwelten, die der Wirklichkeit nicht standhalten, verkauft werden. Solchen Untiefen weicht er subtil, aber – wie gesagt – konsequent aus. Auftragsfotografie ist ja immer nur ein Teil im Leben eines Fotografen. So ist es erfreulich, auch den „selbst beauftragten“ Paul Ott im Buch zu finden. Etwa seine gelungene Serie der Ennstaler Heustadeln, die eine österreichische Antwort auf die Fachwerkbauten und Industrieanlagen-Dokumentation des deutschen Ehepaars Becher gibt. Durchaus dadaistisch gibt sich Paul Ott auch, wenn er die Ästhetik von digitalen Bildübertragungsfehlern – den Horror jedes Fotografen – entdeckt und gerade diese zu einem gedruckten Kunstwerk macht. Ott fordert also dazu auf, sich mit Abbildern auseinanderzusetzen, sich Nuancen hinzugeben, er ist eine Art Mathematiker der Bildgestaltung, der nach dem größten gemeinsamen Teiler sucht, anstatt den kleinsten gemeinsamen Nenner zu liefern. Sein Blick isoliert nicht die aufgenommenen Objekte, er mischt sie noch einmal durch. Ein Cocktail aus Design, Leben und Umgebung entsteht: Form follows Feedback oder die Normalität als Monument.

Photography about Architecture / Fotografie über Architektur

Herausgeber Matthias Boeckl Mit Essays von Matthias Boeckl, Roger Riewe und Ulrich Tragatschnig 2012, 224 S. 271 Abb. in Farbe., geb. Springer Verlag Wien New York

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