29/10/2019

PLUS / MINUS – Erdgeschoßzonen

Die Problematik der Erdgeschoßzonen in der dichten Stadt

MINUS
Wohnbau Neuholdaugasse 36, Graz-Liebenau

.

In der Kommentar-Reihe
PLUS / MINUS werden kurz und bündig positive wie negative Gestaltungen und Details aufgezeigt, die das Auge erfreuen oder beleidigen.

Sollten Sie, werte Leserin und werter Leser, auch bemerkenswerte Entdeckungen im öffentlichen Raum machen, so laden wir Sie ein, diese abzulichten und im jpg-Format mit einem kurzen Text und Ihrem Namen per eMail an redaktion@gat.st zu senden.

Machen Sie mit!

.

29/10/2019

Wohnbau Neuholdaugasse 36 – Keller-Lichtschacht vor den Wohnraumfenstern

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Neuholdaugasse 36 – Wohnraumfenster mit Aussicht auf Gehsteig und Straße

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Neuholdaugasse 36 – Lüftungsschächte der Tiefgarage zwischen den Wohnraumfenstern

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

MINUS – der 2017 von der GRAWE errichtete Wohnbau Neuholdaugasse 36, Graz-Liebenau

Der Wohnbau steht direkt am Gehsteig, wogegen ja noch nicht unbedingt etwas einzuwenden ist. Die Tatsache, dass im Erdgeschoß, direkt am Gehsteig und ohne Schutz der Privatsphäre, Wohnungen untergebracht sind, löste bei mir einen Schock aus.
Möglicherweise war im Falle der Neuholdaugasse 36 eine Bauflucht vorgegeben, aber dann müssen Planer und Bauherr mit der Gestaltung und vor allem mit der Nutzungsart des Erdgeschoßes auf diese schwierige Situation entsprechend reagieren.
Wohnen im Erdgeschoß geht gar nicht, das zeigen die südlich gelegenen Gründerzeithäuser mit Hochparterre und das hat man auch beim nördlich angrenzenden Neubau erkannt und ebenfalls eine Hochparterresituation mit einer bescheidenen Vorgartensituation und voller Barrierefreiheit geschaffen. Nicht überragende Qualität, aber doch bemüht.
Derartige Sensibilität und architektonisches Grundwissen fehlten dem Planer dieses Gebäudes, er hat hier eine für Bewohner und Passanten unerträgliche Situation geschaffen.
Die sehr schmalen, bis zum Boden reichenden Fenster belichten und belüften Wohnräume und sogar Schlafräume! Als Schutzreaktion halten die Bewohnern ganztags die Jalousien geschlossen, womit die Belichtungsfunktion sehr eingeschränkt wird. Die Belüftung der Tiefgarage erfolgt über an die Mauerpfeiler „angeklebte“ elf Stück „Lüftungsschächte“! Beim Lüften der Wohnungen gelangen schädliche Abgase von der Straße und von der Garage in die Wohnungen. Das nennt sich "urbane Wohnqualität"! Als weiteres "Schmankerl" findet sich ein über Gehsteigniveau angehobener und in den Gehbereich hineingreifender Keller-Lichtschacht. Direkt neben dem Hauszugang. Super Beispiel für fußgängerunfreundliche Planung mit Stolpergefahr.
Jane Jacobs sagt: „Das Außen der Häuser ist das Innen der Stadt“. Das Außen der Häuser bildet den öffentlichen Raum, wo Menschen sich begegnen können. Vor diesem Haus, an diesem schmalen Gehsteig, unmittelbar vor ungeschützten Erdgeschoß-Wohnungen, mit Benzingeruch aus der Garage entsteht kein öffentlicher Raum, hier will man nicht verweilen sondern nur schnell vorbeigehen.

Karin Tschavgova

Eine Schweinerei gegenüber den Bewohnern und Bewohnerinnen und ein totales Versagen der Wohnbauträger, die längst Modelle und Typologien für einen Wohnbau kennen und/oder entwickelt haben müssten, der im dicht-urbanen Raum Erdgeschoßzonen vorsieht, die ein Gewinn für Bewohner und Passanten sind. Es gibt Beispiele, die historisch sind (siehe Brasilia), aber auch ausreichend solche mit Aktualität (z.B. Berlin) Was tun die eigentlich für ihre Fortbildung?
Es gibt auch "gehobenere Schweinereien" wie der Wohnungsbau in der Laimburggasse, wo Raiffeisen Immobilien beinahe den gesamten Grünflächenanteil den 4 oder 5 Erdgeschoßwohnungen zugeschlagen hat, die zur Garten- und Parkseite hin liegen. Cirka 400 m² Grünfläche, von allen darüber einsehbar, jede feinsäuberlich mit Kinderrutsche, Schaukel oder Ähnlichem ausgestattet. Privatisierung des Grünraums zugunsten höherer Gewinne, die Grünfläche für alle anderen eine kümmerliche Restfläche an der Straße (zugleich Feuerwehrauffahrt), ohne erkennbare Gestaltungsabsicht und, auch eine Schweinerei, der vorgeschriebene Kinderspielplatz fehlt. Auf Nachfrage hieß es seinerzeit, der musste nicht gebaut werden, weil um die Ecke (und zwei Straßen querend) eh der öffentliche Kinderspielplatz Hasnerplatz installiert wurde. Schaue ich mir bei meinen Architekturtouren mit Schweizer Gästen diesen als einen der neuen Wohnbauten im Geidorfviertel an, so sind die bass erstaunt, dass so etwas bei uns erlaubt ist. In Zürich müssten die Erdgeschoßzonen grundsätzlich frei von Wohnungen gehalten werden - wird mir erzählt.

Di. 29/10/2019 11:42 Permalink
Anonymous

Antwort auf von Karin Tschavgova

Familien zu ermögliche im Zentrum von Graz eine Wohnung mit Garten zu besitzen ist eine Schweinerei?!
Eine Schweinerei wäre es Gartenwohnungen (naturgemäss im Erdgeschoss) zu verbieten damit noch mehr Familien in den Speckgürtel ziehen um extrem klimaschädliche Einfamilienhäuser in die Landschaft zu kleckern statt umweltfreundlich verdichtet in Graz in einer tollen Wohnanlage zu wohnen wie jener in der innerstädtischen Laimburggasse.
Während im immer großstädtischer werdenden Graz die Anzahl von Pkw pro Einwohner abnimmt explodieren die Zulassungszahlen im Umland was an den immer länger werdenden Staus auf den Haupt und Einfallsstraßen von Graz ablesbar ist.
Ich hoffe das man ausländischen architekturinteressierten auch die vielen tollen Bauprojekte in Graz zeigt statt nur negatives wie die sicher misslungene Erdgeschosszone in der Neuholdaugasse 36.
Sehr gelungene Projekte: Styria Media Tower, Pachleitner Panther, Green City, Brauquartier, Med Uni Campus 1, Campus Eggenberg, City Gate um nur ein paar der auffälligsten zu nennen,
Für Nachschub ist weiterhin gesorgt was gelungene Projekte betrifft: Argos, Merkur Campus, Smart City, Med Uni Campus 2 und natürlich das bezirksstadtgroße Projekt Reininghaus um wieder ein paar der auffälligsten zu nennen.

Di. 05/11/2019 7:30 Permalink
Karin Tschavgova

Antwort auf von Anonymous

Was haben der Styria Media Tower, das Pachleitner Headquarter und der Med Campus mit der davor erfolgten Kritik an den Erdgeschoßwohnungen zum Gehsteig hin gemeinsam? Ihr Argument mit den privilegierten Gartenwohnungen in der Laimburggasse, durch die verhindert wird, dass 5-6 Familien mehr ins Grazer Umland ziehen, kann man gelten lassen, nur was ist mit den ca. 65 weiteren Familien oder ca. 150 Bewohnern, die am Wochenende hinausfahren wollen, weil sie keinen angenehmen Erholungsplatz haben und sich nicht hinaussetzen können ins Grüne ihrer Wohnanlage? Weil dieses privatisiert ist mit Zäunen und Betreten verboten. Eine Terrasse mit einem kleinen Grünanteil hätte es für die 5 -6 Erdgeschoßwohnungen auch getan, wie bei vielen anderen Wohnanlagen mit EG-Wohnen im urbanen Raum, aber der Rest hätte dann ALLEN Bewohnern als halböffentliche, der Wohnanlage zugesprochene Grün- oder Parkanlage dienen können, oder nicht? Schauen Sie sich einmal die Eisteichsiedlung auf die Freiraumqualität hin an - und denken und analysieren Sie bitte grundsätzlich mit weiterem Horizont. Das wäre schon Ihrer beruflichen Verantwortung und Position geschuldet.
Regen Sie doch einmal eine öffentliche Diskussion mit allen Stakeholdern zu dem Thema des aktuellen Wohnungsbaus in Graz an! Sie können das Kraft Ihrer Position sicher.
PS: Werden die "das-Fehler" zu Ihrem Markenzeichen, wenn Sie die Stadtplanung und Stadtentwicklung verteidigen/verteidigen müssen wie in diesem Kommentar?

Do. 07/11/2019 11:04 Permalink
feyferlik

man kann der hier geäußerten empörung nicht nur recht geben sondern sich dieser anschliessen. wo sind die ganzen mechanismen die wir mittlerweile eingezogen haben wie gestaltungsbeirat, altstadtkommission, wohnbautisch etc. etc. alles singuläre letztendlich zahnlose qualittässicherer. wohnbauträger wissens eben nicht besser, das ist der beweis. die stadt schaut zu, ist überfordert und letztendlich hilflos. soziologisch wäre es noch interessant wen man hier hinter die jalousien gesteckt hat.

Di. 29/10/2019 1:22 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+