11/07/2019

Prêt-à-porter, maßgeschneidert

Rezension von Emil Gruber zum Buch
Klääsch

von Lisa D., Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen, 1984–2010

Klääsch schildert in Bild und Text Stationen aus der Laufbahn der selbsternannten Mode­schöpferin und Modeaktivistin Lisa D.

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11/07/2019

Petra Morzé präsentierte Klääsch am 06. Juni 2019 im Literaturhaus standesgemäß in einem Pinselstrichkleid aus der Collection Lisa D.s. Foto: Emil Gruber

Die erste Show finanzierte 1984 Humanic. Eigenes Geld war nicht vorhanden. Die gelernte Pädagogin hatte keine spezielle Modeausbildung. Einfach einmal ausprobiert habe sie es. Es sollten noch viele Modeschauen folgen. Sie führten Elisabeth Prantner als Lisa D. aus Graz hinaus bis nach New York. Seit vielen Jahren lebt sie in Berlin, wo sie heute noch ihr Veränderungsatelier »BIS ES MIR VOM LEIBE FÄLLT« betreibt. 
Ihre langjährige Weggefährtin und Managerin Brigitte Bidovec und Herbert Nichols-Schweiger, Leiter der Steirischen Kulturinitiative, setzen mit Lisa D., Klääsch. Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen 1984–2010 der besonderen Modemacherin und ihren extravaganten Schauen ein besonderes Prêt-à-porter. Das im MaroVerlag erschienene Buch ist eine flamboyante Rückschau, ein faltenloser Chick in Fotografie und Erinnerung.

Lisa D.s frühe Grazer Inszenierungen in der Thalia Bar oder im Meerscheinschlössl haben mit dem einige Jahre später stattgefundenen Club-Gastspiel einer noch recht ungekannten Band namens Nirvana etwas gemeinsam. Wir waren alle dabei. Während vom Nirvana Konzert keine (mir bekannten) Fotos existieren, gibt der Bilderteil in Klääsch uns jetzt die teilweise Möglichkeit einer Gedächtniskontrolle.
Lisa D.s Models kamen aus den Untiefen der Gesellschaft genauso wie auch aus ihrer Mitte. Manche stiegen für den ersten Gang sogar aus ihrem selbstgebauten Olymp herab. Wer Kunst hatte, die Welt allen erklärte; oft nicht wusste, wie ihm/ihr geschah, konnte auch Model. Meistens richtig gut. Wer in Lisa D.s Paradiese, ob Striptease-Lokal, ob Geisterbahn, Zutritt hatte, brauchte nicht mehr das Schiff der Träume von Fellini entern oder Greenaways Kontrakt des Zeichners unterfertigen. Rausch und Sinn, burlesker Für-wie-Gegenbarock waren zwischen Lagen von bunten Stoffen an Nichtmodeorten zu finden.
15 der insgesamt 30 Modeschauen haben Eingang ins Buch gefunden. Klääsch strotzt vor handgenähter und nicht weichgezeichneter Fotomaterie. Es war noch eine Welt frei von Photoshop Dämonen. Das allein gibt dem Buch ein Sinnlichkeits-Gütesiegel. Selbst die Standbilder zu „Servus Kaiser“ aus TV-Aufnahmen des ORFs – echte Fotografien konnten nicht mehr gefunden werden – bergen eine raue, brachiale Schönheit in sich. Die Dioramen der Lisa D. waren nicht nur vor der Linse bunt zusammengehäkelt. Ein weites Panorama ergeben auch die Fotografen und Fotografinnen. Der Doyen der Grazer Fotoszene, Helmut Tezak fotografierte eine der ersten Schauen, „Von Herzen von hinten“. Annette Hauschild, Mitglied der renommierten Berliner Agentur Ostkreuz hielt „Der Garten Eden – Gans in Weiss“ fest. Auch der Kärntner Fotograf Gerhard Maurer hat andere Schwerpunkte als Mode. Trotzdem führte ein Model-Shooting-Abstecher zum Titel des Buches.

Wem Bilder aus Lisa D.s Gewand-Hausorchester reichen, dem schenkt das Buch einen freien Blick. Wer aber lesen möchte, was Alice Daddledale, Lieblingsmodel der Modemacherin, so aus dem Nähkästchen plaudert, und auch noch Buchliebhaber ist, dem steht ein Entscheidungsmoment mit möglichen Schmerzfaktor bevor. Nicht nur bei der Frage: Who is Alice?
Lisa D.s in Buchstaben gekleidetes Leben hinter den Catwalks verlangt von uns allen nach Öffnung. Das Buch selbst ziert sich wie ein kapriziöses Model, seinen Text auf den Rückseiten der Fotografien einfach so herzuzeigen. Diese Doppel-Seiten sind unaufgeschnitten, aber zumindest auf der Vorderkante immerhin perforiert.  Es gilt sich nun für und wider diese Perforier-Performance zu entscheiden.
Einfachste Variante: Zwei Bücher kaufen, eines als unberührte Schönheit als Blickfang ins Regal stellen, das zweite mit einem geeigneten Werkzeug (stumpfes längliches Messer, dünnes Lineal, Mikado-Stäbchen, Fettuccine – ungekocht!) neben dem Lesesessel platzieren. Wer zarte, ruhige und längliche Finger hat, kann auch auf jede Fremdhilfe verzichten.
Die Ein-Buch-Variante, die zugleich ein Lesen ermöglicht, aber das Buch nicht beschneidet, ist – im Selbstversuch getestet – herausfordernder:

1. Zwei der verbundenen Seiten vorsichtig auseinanderbiegen, bis eine zylinderförmige Biegung entstanden ist und die Buchstaben erkennbar werden.
2. In den entstandenen rundum bedruckten Hohlraum durch die abgewandte Öffnung genügend Licht strahlen lassen und zu lesen beginnen.

Warnhinweis: So zu lesen bedeutet andauernde Körperverformung, damit zumindest die Augen alles erfassen können. Betrachter des Lesenden könnten diese Verrenkungen und Kopfdrehungen – entsprechend elegant umgesetzt – aber auch wieder an Bewegungsabläufe mancher Models erinnern. Ein solcher Umgang mit Klääsch wird dann für jeden Leser und jede Leserin zur persönlichen Hommage an Lisa D.s Werk, wandelt sich zu einem schwindelerregenden literarischen Catwalk.

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Lisa D., Klääsch. Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen 1984–2010
Hrsg: Steirische Kulturinitiative in Verbindung mit Brigitte Bidovec
Nachwort von Herbert Nichols-Schweiger
Japanische Broschur mit Schutzumschlag
Maroldt-Verlag 2019, 352 Seiten, € 38

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