03/03/2012
03/03/2012

Der chinesische Architekt Wang Shu (Amateur Architecture Studio, Hangzhou) erhält den Pritzker Architecture Prize 2012.

Hans Hollein hat ihn bekommen, Zaha Hadid hat ihn bekommen, Frank Gehry, Rem Koolhaas, Herzog & de Meuron und, Gott sei Dank, auch mein Lieblingsarchitekt Peter Zumthor hat ihn bekommen. Jetzt also Wang Shu ... Wang Shu wer? Der Pritzker-Prize, eine Art Nobelpreis für Architektur, wurde bisher meist an Männer verliehen, die letzten Endes Repräsentanten einer westlichen Kultur waren.

Dass nun Wang Shu den Pritzker-Prize bekommt, dessen Werk bisher ausschließlich in China beheimatet ist, ist eine fällige, wenn nicht sogar überfällige Korrektur dessen, was einmal als Eurozentrismus bezeichnet wurde. Dabei ist der in der Volksrepublik hochdekorierte, ungemein einflussreiche Wang Shu auch im Westen kein gänzlich Unbekannter. Der 1963 Geborene hat 2006 auf der 10. Architekturbiennale das Projekt „Tiled Garden“, eine Installation aus 66.000 Ziegeln von Abbruchhäusern, gezeigt, 2009 eine Einzelausstellung in Brüssel präsentiert und 2010, wieder in Venedig, eine besondere Erwähnung für seine Installation „Decay of a Dome“ erhalten. Und seit 2011 ist er der erste Chinese an der Harvard Graduate School of Design in Cambridge als Kenzo Tange Visiting Professor.

Die jüngste Verleihung des Pritzker-Prize reflektiert die wachsende Bedeutung Chinas nicht nur im globalen wirtschaftlichen, sondern auch im künstlerischen (hier architektonischen) Bereich. Spätestens seit „Birds Nest“, dem Olympiastadion in Peking von Herzog & de Meuron, dämmert auch Laien wie mir, dass sich in diesem gar nicht mehr so fernen Osten ein kulturelles Feld jenseits folkloristischer Exotik entwickelt. Ai Weiwei fällt einem als Erstes dazu ein. Er hat die beiden Schweizer Architekten bei ihrem Olympiastadion „Birds Nest“ maßgeblich unterstützt und ist als (un)freiwilliger Systemkritiker weltberühmt geworden. Es fragt sich also, ob die Pritzker-Prize-Jury vor dem Hintergrund von Menschenrechtsverletzungen und unterdrückter Pressefreiheit in China nicht die Chance versäumt hat, sich für einen brisanteren Preisträger zu entscheiden.

Zwar signalisiert schon der Titel von Wang Shus Ausstellung in Brüssel „Architecture as a Resistance“ durchaus Kritik, aber man wird in der Volksrepublik China wohl kaum ein derart hoch dekorierter und viel beschäftigter Architekt ohne Wohlwollen des Parteiapparates.

Der Pritzker-Prize wird ohne Berücksichtigung von Nationalität, Rasse oder Ideologie vergeben; dasselbe wird auch vom Literaturnobelpreis behauptet. Wenn man den Architekturpreis mit dem Literaturnobelpreis vergleicht, muss man feststellen, dass zumindest letzterer immer wieder nach politischen Kriterien, oder besser Stimmungen, vergeben wird. Für Hardliner der politischen Korrektheit stellt sich also die Frage: politischer Appell auf Kosten kompromissloser Architektur oder Qualitätsarchitektur ohne politische Signalwirkung und alle dazwischen liegenden Kombinationen. Die Idealkombination wäre natürlich eine kompromisslose Architektur mit politischer Signalwirkung. Und das Gegenteil demnach unerfreulich banale Architektur im Verein mit politischer Willfährigkeit. Aber bedauerlicherweise gibt es da keine Regeln, allenfalls Zuspitzungen, bei denen Entscheidungen leichtfallen. Würde Assad nicht als gelernter Augenarzt, sondern als genialer Architekt auf sein Volk feuern lassen, schreckte man vor einer Preisverleihung zweifellos zurück. Aber was ist mit einem Mitläufer wie Speer? Wie viel Rolle hat – man wagt das kaum zu denken, geschweige denn hinzuschreiben – eine gewisse Gendergerechtigkeit bei dem Preis für Zara Hadid gespielt? Und ist es fair, Architekten in Geiselhaft für ein Regime zu nehmen, von dessen öffentlichen Aufträgen sie abhängig sind? In Österreich, das mit einer starken Population von Duckmäusern gesegnet ist, empfiehlt sich jedenfalls Zurückhaltung beim Einfordern von republikanischem Elan.

Auffallend ist die Versatilität Wang Shus hinsichtlich architektonischer Ausdrucksweisen, ein Formenreichtum, der sich geschmeidig den wechselnden, konkreten Erfordernissen anpasst. Statt sich an westlichen Mustern zu orientieren, bezieht sich Wang Shu auf chinesische Kultur und Geschichte. Schon der Name seines Büros, das er in Hangzhou gemeinsam mit seiner Frau betreibt, ist programmatisch: Amateur Architecture Studio. Gemeint ist damit eine Orientierung am simplen Hausbau auf der Grundlage von Spontaneität, handwerklicher Kompetenz und kultureller Überlieferung. Für die westliche Tradition der Moderne und Postmoderne, fokussiert auf das Ausloten des technisch Machbaren und/oder auf rigorose Utopien, bedeutet das einen Paradigmenwechsel. Gerade im Hinblick auf das Scheitern sozial-technokratischer Entwürfe und den Hypertrophien der Postmoderne ist Wang Shus Pragmatismus, seine konfuzianisch anmutende Mischung aus Besonnenheit und Mitgefühl, kein schlechtes Signal.

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