21/05/2019

GAT veröffentlicht in der Kolumne Privatissimum vom Grilj jeden dritten Dienstag im Monat Texte zum Nachdenken.

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

21/05/2019
©: Mathias Grilj

Protokoll aus der Werkstatt samt „Genau!“

„Herr Philosoph, ich habe aus
ihrem jüngsten Buch etwas sooo
Wertvolles gelernt!“
„Oooch, tatsächlich? Was denn?“
„Dass es in Weiz eine Druckerei
gibt.“

Autor und Kritiker treffen sich.
„Und? Wie geht´s so?“
„Äch, ich schreib so ab und zu.“
„Ich weiß, mehr ab als zu.“

„Sehr geehrter Herr Kritiker!
Ich hocke gerade im kleinsten
Raum meiner Wohnung und
habe Ihren Kommentar zu
meiner Arbeit vor mir. Gleich
werde ich ihn hinter mir haben.“

Dann sagt man einem Auftraggeber fröhlich zu, dass man eine Arbeit liefern wird; mit dem Termin geht es sich bestimmt locker aus. Man hat Ideen en masse, das Ganze steht sozusagen schon, bevor man es in Angriff genommen hat, und dauernd fallen einem Finessen ein... uuuch, das wird was Feines! So nebenbei liest man zur Sache noch dies und das und findet sich bestätigt und bestärkt, macht Notizen, sammelt Zitate, häuft zettelweise neu entdecktes Material an, dass es eine Freude ist: Was für eine Fülle an Wissen, Können und Erfahrung, was für ein Schatz der Geschichte! Was für großartige und raffinierte Gedanken, und wieviel bewundernswerte Menschen sich darin bereits versenkt und Wertvolles zutage gefördert haben! Boah!

Inzwischen vergeht Zeit. Doch das Vergehen der Zeit ist nichts, das dir bewusst würde, während es gerade passiert.

Dann plötzlich die Panik: Keine Zeit mehr! Ich muss bis Montag liefern und habe noch nicht einmal richtig begonnen. Sofort hinsetzen und erledigen! Doch es will nicht gehen. Das Hirn starrt so vor Panzersperren, dass da kein Geist weht, nur Entsetzen. Aber - pacta sunt servanda. Dann probiert man diesen oder jenen Trick, der jüngst noch funktioniert hat. Alles umsonst. Man wird sogar fromm und möchte mit Gott ins Geschäft kommen: „Schenk mir bitte den ersten Satz, dann gehe ich auf allen Vieren nach Mariazell.“ Aber Gott glaubt nicht mehr an mich. Also macht man Kniebeugen, legt sich in die Wanne, wo es nach Pfefferminze duftet, oder repariert endlich den kaputten Aufzug für die Jalousie. Es ist aber alles zum Vergessen.

Seltsam – ausgerechnet im Vergessen scheint es zu wirken.

Gleichsam nebenbei geht man in die Pflicht – und siehe da, es läuft. Und es läuft gar nicht schlecht. Und macht Vergnügen. Ach, für solches Vergnügen ist man schließlich auf die Welt gekommen! Knapp vor Einsendeschluss ist es geschafft, und 30 Sekunden vor Montag drückt man auf „Senden“. Dann, wenn man beglückt und dankbar und souverän – plopp! – eine Flasche aufmacht, fällt dir ein: Diesen wichtigen Aspekt hast du vernachlässigt, jenes Zitat vergessen, den einen Hinweis unter den Tisch fallen lassen und den anderen Gedanken vollends verschlampt. Und wo ist diese eine famose Idee geblieben? Das ist alles nur noch peinlich und ein hilfloses Gestolper durch den Müll deines Hirns. Man schämt sich, möchte sich selber ohrfeigen, aber... Irgendwann erscheint das Zeug, man schaut es an und muss sagen: Naja, sooo blamabel ist es gar nicht. Eigentlich sogar eh ganz...

Diese Erfahrung habe ich in einem Wirtshaus Wenzel Mracek geschildert. Er lacht und sagt: „Genau! Und wenn du das Zeug nach zwei-drei Jahren per Zufall wieder liest, sagst du: Boah, so gut werde ich nie mehr sein!“

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