18/02/2014

Privatissimum vom Grilj

Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person:

Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

18/02/2014
©: Mathias Grilj

Graz als Familiensache mit Witz

Heimat ist da, wo man
sich nicht erklären muss. (Herder)

Wo aber Gefahr ist,
wächst das Rettende auch. (Hölderlin)

Schließ die Augen
und denk an Graz! (Jörg Schlick)

"Oh, Gott, ist das ein elendiges Kaff!"
Das sagt die Tochter, die inzwischen zwischen Zürich, Berlin, Dresden und Wien herumlebt und gelegentlich in ihre Heimat kommt, zwecks Umarmung mit Eltern und Oma und Geschwistern und was es inzwischen an Nachwuchs gibt. Sie kommt immer zu Fuß vom Hauptbahnhof herunter, absichtlich zu Fuß, durch die Annenstraße und dann weiter, schaut sich die Veränderungen in der Stadt an und sagt: "Papa, es ist schauderhaft! Ihr seid das Hinterletzte. Aber es geht offenbar noch immer hinterer. Von einem Besuch zum nächsten wird es erbärmlicher."
Wir haben also Zukunft.
Sie hat natürlich recht und zugleich keine Ahnung, was das Verlorene tatsächlich angeht. Ich war in Mostar und ich war in Sarajewo, ich habe dort dem Krieg zugeschaut und mich gefragt, wie dessen Spuren und Wunden die Blicke der Alten verändern und wie er die Blicke der Kinder prägt, die zwischen Kellern und zerbombten Fassaden aufwachsen. Und wie das weitergehen wird. Ich war ratlos und bin es noch immer.
Sollte einmal meine Tochter mit ihrem flotten internationalen Koffer durch ein Kriegsgebiet gehen, nur so, zwecks Vergleich?
Nein, bitte nicht, dafür habe ich sie nicht gezeugt, nicht für das Hässliche.
Zugegeben, im Moment des Zeugens dieser Tochter habe ich nicht an sie im Speziellen gedacht, nicht an ihre Talente und ihren scharfen Blick und ihren Liebreiz und was für goldnes Haar sie haben wird. Ich habe da überhaupt wenig gedacht, ich war nur überwältigt von der Schönheit ihrer Mutter und deren Duft, aber in dieser zerflatterten Kolumne geht es um Graz. Und es war halt zufällig in Graz, damals, als es geschah, und es war gut getan.
Aber jetzt, vor dem erwachsenen und auch von mir erzogenen Kind, überkommt mich oft das Verlangen, mich zu erklären. Was die Stadt angeht und mich. Das ist kein besonders gutes Zeichen.
Dann zieht es diese Tochter an die Stätten ihrer Kindheit, auch in den Volksgarten, wo sie Eislaufen und Radfahren gelernt hat - der Sonnenglanz auf ihrem Haarkranz, damals im Wind - , und wir schauen den Dealern bei ihrem Geschäftsgebaren zu, das Ganze ist eine offensichtlich gemütliche Angelegenheit und strahlt nichts als Gelassenheit aus.
"No, Hannerl, ist das jetzt etwas weniger provinziell?"
"Geh, Papa, sowas hast du in Kapfenberg auch."
Nachher werde ich sie ins Kunsthaus lotsen, und sie wird wieder sagen: "Das Kunsthaus taugt überhaupt nicht für Ausstellungen." Und ich werde höflich erwidern: "Gut, dass du das erwähnst, es wäre mir sonst womöglich niemals aufgefallen."
Immerhin wird sie die Ausstellung von Ilja und Emilia Kabakow fast so versöhnen wie daheim der Reibelsterz, ihre Lieblingsspeise aus der Kindheit. Die Ausstellung passt sich dem Haus mit seinen Innereien an. Beim Googeln von Reibelsterz kommt übrigens nichts heraus, Reibelsterz muss man abseits von Google kennen und können und machen. Wie man sich eben mit dem Vorhandenen und dessen Gegenteil abfinden muss. Es sei denn, man ist Kolumnist, turnt ein bisschen auf Desillusionierungen herum und hält sich sonst an Blaise Pascal: man verlässt sein Zimmer nicht.
Aber es gibt auch Reibelsterz in Graz.

PS: Reibelsterz braucht Timing und geht so: Erdäpfel kochen. Wenn sie kalt sind, schälen und grob reiben. Mit Mehl und Salz zwischen den Händen zerbröseln. In einer Pfanne Fett erhitzen, die Masse hineinschütten. Sobald die Unterseite des Zeugs braun ist, gleichsam wie Palatschinken wenden, aber eben zitzerlweise, und wenn es wieder soweit ist, noch ein bissl durchrösten.

PPS:
- "Geh, sei lieb und frag mich, warum ich der beste Schlagzeuger von Graz bin!"
- "Na gut, von mir aus. Warum bist du der beste Schlagzeuger von Graz?"
- "Timing."

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