28/09/2007
28/09/2007

Die inhaltliche und programmatische Konkretisierung von projekt_A wurde im Sommer dieses Jahres abgeschlossen und die Ergebnisse werden am 2. Oktober den Auftraggebern von Land Steiermark und Stadt Graz präsentiert.

Der nachfolgende Artikel wurde im Zuge der Konkretisierungsphase von Wolfgang Haas (KA21 GmbH) verfasst. Diese fiktive Schilderung von Erlebnissen und Erfahrungen einer Reisenden in unserer Region am Höhepunkt der Tätigkeiten von projekt_A ist als Vision für das Vorhaben zu sehen.

Es ist geplant, den gesamten Bericht mit den Ergebnissen der Konkretisierungsphase auf diesem Server der Öffentlichkeit zu präsentieren.

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Besuch in der Region Graz – Maribor

Vier Jahre ist es her, dass Ina, meine langjährige Freundin und international gefragte Industriedesignerin aus Amsterdam nach Graz gezogen ist. Sie hat überraschend ein Angebot der Designschmiede Hybro-Technologies, einer im Hightech-Park Southern Styria angesiedelten Entwicklungsschmiede für hybrid betriebene Fahrzeugtechnik, erhalten und zugesagt. Die Arbeitsbedingungen im Technologiezentrum südlich der Stadt Graz sind optimal. Die im Hightech-Park untergebrachten Unternehmen bringen Entwicklungen in den zukunftsträchtigsten Bereichen des 21. Jahrhunderts hervor – von der Energieoptimierung über die Nanotechnologie und Neurobiologie bis hin zur Zellmedizin und Alternsforschung. Wer dort arbeitet, ist top-ausgebildet, kreativ, will mit seiner Arbeit zur Veränderung der Welt beitragen und befindet sich in einem Zentrum der Innovation, das von der hervorragenden Anbindung an universitäre Forschungsinstitutionen rund um den Globus und der immensen Dichte an EntwicklerInnen aus der ganzen Welt profitiert. Nicht zu vernachlässigen ist auch das enorme Ausmaß des dort vorhandenen Investitionskapitals, das aus den wirtschaftlich boomenden südosteuropäischen Märkten kommend innovative Entwicklungen vorantreibt. Die Stadt und ihre Region haben sich auf Basis umsichtiger, handlungsfreudiger und weltoffener Politik jenen Vorsprung erarbeitet, der sie heute zum Tor zu Südosteuropa macht. Kurz und gut: Graz ist eine internationale Kreativ- und Innovationshochburg und Ina hat schon länger ein Auge auf diese Region geworfen, die nicht nur in Sachen Wirtschaft und Forschung boomt, sondern durch ihr ökologisches Bewusstsein, eine konsequente Landschaftsplanung und moderne Wohnraumprojekte eben jene urban moderne Lebensqualität hervorruft, für die die Niederlande einmal bekannt waren und die sie dort schon seit längerem vermisst.

Ich lande am Twin-City-Airport Graz-Maribor. Seit drei Jahren bin ich für Pixar Animation Studios in Kalifornien im Bereich Unternehmensentwicklung tätig, derzeit bereite ich die Europaerweiterung unseres Unternehmens vor. Ich bin nach Graz gereist, um am Springten – International Festival for Open Media Animation And New Electronic Sounddesign – die visuelle Avantgarde der kommenden Generation kennenzulernen und wichtige geschäftliche Kontakte zu knüpfen. Das dichte Festivalprogramm, die hohe Zahl universitärer Ausbildungszentren und junger High-Potentials, eine politische Offenheit gegenüber AusländerInnen, die der Mitarbeiterpolitik unseres global ausgerichteten Kreativunternehmens entgegenkommt, ein Umfeld, das unseren MitarbeiterInnen guten Lebensraum bietet und die Nähe zu Südosteuropa sind Aspekte, die deutlich für diesen Standort sprechen. Schon der Ankunftsort, ein transnationaler Flughafen, erscheint mir als Symbol für das aufgeschlossene Selbstverständnis der Region. Der Flughafen ist an die U-Bahn angebunden, wo ich mit einer jungen Frau ins Gespräch komme. Sie ist bilingual aufgewachsen, spricht nativ bosnisch und deutsch. Ihr Vater ist nach Graz gezogen, weil die Stadt die demographischen Zeichen der Zeit erkannt hat und den Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Ländern fördert. Vor zwei Jahren hat sie ihren Master an der Fachhochschule für Stadt- und Raumplanung abgeschlossen. Jetzt arbeitet sie als Beamtin für interkulturelle Stadtentwicklung in der Grazer Stadtverwaltung an einem herausfordernden Bürgerbeteiligungsprogramm und befindet sich gerade auf dem Rückweg von Shanghai, wo sie im Rahmen eines von der Fachhochschule und der Stadt gemeinsam initiierten Stadtentwicklungsnetzwerks ein Jahr lang Erfahrungen in den Arbeitsstrukturen, Entscheidungsprozessen und Entwicklungsmodellen der dortigen Stadtverwaltung gesammelt hat. Sie freut sich darauf, ihre neuen Ideen in Graz einzubringen und ist schon neugierig auf ihren Shanghaier Austauschkollegen, der ein Jahr in Graz verbracht hat.

Bereits vor Jahren haben PolitikerInnen des Landes Steiermark und der Stadt Graz die Zeichen der Zeit erkannt und die Weichen auf Innovation gestellt, erzählt sie mir. Unter Einbindung der Bevölkerung wurde ein City-Region-Learning Programm entwickelt, das auf der Basis regionaler und globaler Kooperationen, gezielter Förderung von Forschungs- und Bildungsinstitutionen sowie innovativer Wirtschaftszweige und einer konsequenten Integrationspolitik den Anstoß gab, die Stadt nachhaltig zu verändern. Innerhalb weniger Jahre hat sich diese neue Politik spürbar ausgewirkt. Junge Menschen, Know-how-Träger und Investoren sind nach Graz und in die umliegende Region gezogen. Mit internationalem Selbstverständnis, einer Integrationspolitik, die die ausländische Bevölkerung als Chance betrachtet, sowie durch die Ansiedlung ökologisch-technisch innovativer Industriezweige ist auf weltwirtschaftliche Veränderungen gezielt reagiert worden. Die Stadt- und Landespolitik denkt hier konsequent global und handelt ebenso konsequent regional. So hat Graz und seine Umgebung ein wirtschaftliches, aber auch lebensqualitatives Profil entwickelt, das als vorbildhaft gilt. In der Stadt und im Umland fahren im Individualverkehr über vierzig Prozent der Fahrzeuge mit Motoren, die auf alternative Energiequellen zurückgreifen, und das dafür notwendig Know-how stammt aus Technologieclustern rund um Graz. Der öffentliche Verkehr hat zu hundert Prozent umgestellt und in der Region Graz herrschen seit einigen Jahren in Sachen alternativer Energiepolitik kalifornische Verhältnisse.

In Graz steigen wir aus. Ich atme durch. Die junge Frau ist von ihrer Arbeit begeistert und motiviert, sie hat mir in knapp zehn Minuten Fahrt ein ziemlich umfassendes Briefing verpasst. Die Luft ist frisch, wir verabschieden uns. Durch den vorbildlichen Ausbau des öffentlichen Verkehrs gibt es keine Wartezeiten, das gefällt mir, und ich bin gut gelaunt. Ich hätte gerne in einem dieser temporären, von Architekturbüros eigens für das Festival entworfenen Hotelinstallationen gewohnt, leider waren aufgrund des Andrangs die Hotels ausgebucht und da ich fürs Couchsurfing bereits zu alt bin, nutze ich die Gelegenheit und übernachte im Gästezimmer meiner Amsterdamer Freundin Ina. Ihre Wohnung befindet sich in einem vor wenigen Jahren von privaten Investoren entwickelten Stadtteil im Westen der Stadt. Auf meinem Handheld surfe ich im Netz und finde heraus, dass die Wohnpolitik der Stadt ökologische Maßstäbe setzt und konsequent auf soziale Integration und kulturelle Durchmischung abgestimmt ist. Die Reininghausgründe, ein ehemaliges Brauereiareal, auf dem sich die Wohnung meiner Freundin befindet, hat der Stadt ein zweites modernes Zentrum verliehen. In unmittelbarer Nähe befinden sich Fachhochschulen, Außenstellen der technischen Universität, zahlreiche Galerien und Studios. In der Wohnanlage fällt mir ein Wohnhaus auf, das für ältere alleinstehende Menschen konzipiert ist – eine Wohngemeinschaft gegen das Alleinsein im Alter. Graz war früher als Stadt der Pensionisten berüchtigt, heute gelten einige der sozialintegrativen Modelle aus der Grazer Schule interdisziplinärer Gerontologie anderen als Vorbild für den zeitgemäßen Umgang mit dem dritten Lebensabschnitt. Die Architektur des neu errichteten Zentrums ist modern, hier wird Architektur weiter gedacht. Die Wohn- und Büroanlage durchfließt eine Parklandschaft mit integriertem Filmzentrum – ich kaufe mir im Shop zwei neue japanische Animationsfilme –, dann bewegen wir uns Richtung Teich. Wir nutzen die Gelegenheit und gehen baden. Ina surft auf einer stehenden Welle. Ich, die Kalifornierin, bekomme Beach Feeling in Styria. Früher war das hier das Wasserreservoir für die Brauerei, sagt Ina, heute bietet die Stadt ihren Bewohnerinnen zusätzlichen Erholungsraum. Neben uns machen es sich Angestellte aus den umliegenden Büros auf der Wiese bequem. Ich liege im Grünen und höre dem Stimmengewirr zu. Unsere Nachbarn unterhalten sich auf Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, Serbisch und einigen andere Sprachen, die ich nicht kenne. Sie haben Mittagspause und genießen ihre freie Zeit, es ist heiß.

Abendprogramm. Die Stadt ist auf den Beinen. Ihre BewohnerInnen kommen aus verschiedenen Kulturen, Festivaltreffpunkt ist am Andreas-Hofer-Platz – früher eine als Busplatz genutzte Asphaltfläche vor dem historischen Baujuwel des ersten Stahlbetongebäudes der Stadt, heute öffentliche Citylounge mit Strand auf beiden Seiten der Mur. Die Stadt hat viel zu bieten. Graz ist eine südliche Stadt, sie liegt am Wasser, ihr Kulturangebot ist randvoll und im Stadtkern mischen sich denkmalgeschützte alte Häuser mit zeitgenössischer Architektur und Kunst. Gegen ein Uhr nachts, wir sind inzwischen eine Gruppe aus Festivalgästen, bekomme ich Hunger – die Zeitverschiebung macht sich bemerkbar. Nach kurzem Hin und Her erzählt uns einer der Grazer von einem angesagten österreichisch-nigerianischen Lokal, einer Mischung aus Restaurant, Künstlerstudio und Clublounge. Ich komme mit einem Visual-Artist aus Namibia ins Gespräch. Er studierte an der vor wenigen Jahren in Graz gegründeten Kunstakademie. Seine Aufführung war beeindruckend, wir tauschen unsere Visitenkarten und ich lade ihn in die USA ein. Die Stadt Graz ist stolz auf ihren kulturellen Mix, wie ich es bislang eigentlich nur von New York kenne. Ich fühle mich am Nabel der Welt. Ina erzählt mir, dass die Mischung aus Stadtentwicklung, Bildung und Wirtschaftsdynamik eine Sogkraft auslöst, die junge Menschen, Kreative und Investoren in die Stadt pumpt. Graz und die umliegende Region sei für sie Europa. Hier werde Lebensraum für Menschen gestaltet, die europäisch, d. h. grenzüberschreitend und vernetzt denken und leben wollen. Hier werde globale Nachbarschaft neu definiert.

Es ist Samstag. Ich fahre Richtung Maribor mit einem Hochgeschwindigkeitszug, der zurzeit die Strecke Zagreb-Graz-Wien verbindet und im vollen Ausbau von Berlin bis Istanbul führen wird. Durch diesen Korridor rückt Europa näher aneinander. Am zweiten Tag meines Aufenthalts steht die Region am Programm. Ein Europa der Regionen zu schaffen ist eine der Zielvorgaben der europäischen Union. Region heißt, Identität aktiv zu gestalten und grenzüberschreitend zu agieren. In Folge der regionalen Entwicklungsplanung werden in der Steiermark Verwaltungsdistrikte zusammengeführt, Ressourcen gemeinsam genutzt und neue Maßstäbe in der Raumordnung gesetzt. Um ökologisch und ökonomisch zu wirtschaften, werden Industriezonen konsequent an Verkehrsnotenpunkten gebündelt, nicht jede Gemeinde braucht einen eigenen Gewerbepark und damit einhergehend größere Straßen, Autobahnabfahrten, Bahnlinien. Das ehemalige Grenzgebiet zu Slowenien und ein internationales Kongress- und Kulturzentrum ist das Ziel meines Ausflugs. Früher von der Idee nationaler Grenzsetzung bestimmt, gilt das Territorium heute als groß angelegte Sonderentwicklungszone zur Erprobung zeitgenössischer transnationaler Gesellschaftlichkeit. Es handelt sich dabei um ein international beachtetes und von der Europäischen Union gefördertes Projekt. Hier wurden Initiativen gesetzt, die Projektvernetzungen quer durch Europa ermöglichen und europäische Lebensaspekte – Mobilität, Entwicklung neuer Denkmuster von Regionalität, Bildung gemeinsamer kultureller Wurzeln und Identität – vom ehemaligen Grenzraum aus im umliegenden Gebiet erproben und verankern. Im Kulturzentrum mitten in der zwischen Maribor und Graz gelegenen Weingegend findet heuer wieder die Regionale, ein Kulturfestival und Forum zur Stärkung der Region im Kontext der europäischen Integration statt. Ich bin für einen Tag dabei; mein Vorgesetzter, der CEO von Pixar und den anderen dazugehörenden Filmstudios, spricht über mediale Aspekte der Integration und des Zusammenwachsens kultureller Räume. Ich erlebe, dass sich hier Wirtschaft, Politik, Bildung und Kultur bereits vernetzt haben, um aktiv eine neue Architektur des öffentlichen Raumes zu gestalten und erfahre, dass Politik hier den Mut zeigt, Entscheidungen zu treffen, Geld in die Hand zu nehmen und langfristig und nachhaltig in die Zukunft zu investieren.

Die Region prosperiert wirtschaftlich, kulturell und sozial. Bevor ich abends eine der zahlreichen Springten-Veranstaltungen besuche, kaufe ich meiner Gastgeberin in einem Geschäft, das von einem jungen Mode-Label betrieben wird, noch ein Geschenk Die Modedesignerin hat ihr eigenes Unternehmen im Zuge einer Startup-Kooperation zwischen Universität und Stadt gegründet. Durch solche Startup-Initiativen erhalten jungen High-Potentials, die früher nach ihrer Ausbildung abgewandert sind, eine Chance, sich in der Stadt zu verwirklichen und Graz zu einem Knotenpunkt auszubauen, erzählt sie mir. Sie stellt mir ihre Geschäftspartnerin vor, ich beobachte die beiden. Ich merke, sie sind glücklich. Mir wird erstmals klar, was es heißen kann, wenn Politik Menschen aktiv die Möglichkeit bietet, ihren Lebensraum zu gestalten und mitzubestimmen. Das stimmt mich nachdenklich, amerikanisch gesagt: It's a f.....g wonderful place.
Bis in die Morgenstunden habe ich noch am Strand der Mur gefeiert, nun verlasse ich eine Stadt, deren Dynamik mich tief beeindruckt. Ich sitze im Hybridauto meiner Gastgeberin, einem Prototypen der fünften Generation, am Weg zum Flughafen und es fällt mir, wenn ich an Los Angeles, die extreme Ausdehnung dieser Stadt und ihre Trägheit denke, schwer, mich zu verabschieden. Ina hat recht gehabt. Keine Stadt, die ich in den letzten Jahren besucht habe, hat auf kleinem Raum eine derartige Urbanität und Lebensfreude versprüht. Graz wird seinem Ruf als einem der innovativsten Lebensräume Europas gerecht. Ich hätte Lust zu bleiben.

Verfasser/in:
Plattform Architektur
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16. + 17.11.2023
 
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