07/12/2011
07/12/2011

Andreas Lichtblau an seinem neuen Arbeitsplatz, auf dem Institut für Wohnbau, TU Graz.

Badekultur im späten Mittelalter

Das Bad - in die Wohnung integriert(Foto: Margherita Spiluttini)

Skulptur als vertikale Raumerschließung, Projekt "solar.dach wien". Foto: Bruno Klomfar

Nasszelle

Von pulsierenden Wohnungen, alten, aber neu gedachten Niedrigenergiesystemen, poetischen Komponenten im Wohnbau und wie in Zukunft Zugangsbeschränkungen an den Unis sinnvoll gestaltet werden könnten: Andreas Lichtblau, neuer Professor für Wohnbau an der Architekturfakultät der TU Graz, im Gespräch mit GAT.

GAT: Herr Professor, Sie sind in Graz relativ unbekannt, bitte stellen Sie sich selbst kurz vor.

Andreas Lichtblau: Ich habe in Graz und Wien Architektur studiert, ich erzähle immer, weil ich in Wien begonnen habe, habe ich in Graz fertigstudiert, denn eigentlich wollte ich nur ein Semester lang bleiben. Ich habe das System an der TU Graz gut gefunden, wo man Verschiedenes entwerfen und auch die Grundlagen bei verschiedenen Instituten absolvieren konnte, in einem Mischsystem zwischen Akademie und Technischer Universität. In Wien war das sehr stark reglementiert, sodass man alle Professoren einmal durchlaufen musste. Ich habe etwa ähnliche Themen bei Klose (damals Leitung Institut für Raumgestaltung; Anm. d. Red.) und bei Domenig (damals Leitung Institut für Gebäudelehre; Anm. d. Red.) eingereicht, um kontroversielle Meinungen einzuholen. Ich war dann eine Zeitlang Assistent bei Domenig am Institut für Gebäudelehre und Wohnbau und habe seit einigen Jahren ein Büro in Wien mit meiner Partnerin Susanna Wagner. Wir decken in unserem Büro ein relativ breites Spektrum ab. Wir bauen Kirchen, Büros, Schulen und Wohnungen, wobei sich einige „rote Fäden“ durch alle unsere Arbeiten ziehen: zum Beispiel der Aspekt der Niedrigenergie, aber nicht so wie es im Lehrbuch steht. Wir haben einige spannende Luftheizungskonzepte wieder aufgegriffen, die verlorengegangen sind. Wir schlagen andere Wege ein, etwa eine Kombination aus Luftheizung, großflächigen Glasfassaden und Bäumen. Diese funktionieren über die Jahreszeiten als selbstregulierender Sonnenschutz, sind kostengünstig und verleihen dem Gebäude zusätzlich eine poetische Komponente. Als weiterer Aspekt ist für uns die Relation des Gebäudes in seinem Umfeld wichtig. Für uns hört ein Gebäude nicht an den Außenwänden auf, sondern es gibt ein weiter definiertes Gebäudeumfeld, sowohl ein bauliches als auch ein soziologisches. Was uns auch interessiert, sind Innenraumqualitäten, Akustik, Lüftung, Luftqualitäten.

GAT: Im Wohnbau setzen lichtblau.wagner architekten auf „pulsierende Wohnungen", keine rein funktionalistischen Grundrisse, sondern auf sich ändernde Bedürfnisse der Bewohner reagierende Räume. Ein solches Konzept funktioniert im „Eigenversuch". (lichtblau.wagner architekten verwalten selbst ein solches Projekt, das sich als praxistauglich erwiesen hat; Anm. d. Red.)

A.L.: Wie schwierig es nach wie vor ist, solche Konzepte umzusetzen, zeigt die Praxis, wo das Diktum vom „sozialen" Wohnbau durch Gesetzgeber und Bauträger sehr leicht „verunklärt“ werden kann.

GAT: Noch gibt es keine institutionelle Verankerung für solche erweiterten, praxiserprobten Projekte. Wie werden diese Erkenntnisse in Ihre Lehre einfließen?

A.L.: Die Mehrfachdefinitionen von Grundrissen der Räumlichkeiten von Wohnungen werden ein grundlegendes Thema sein. Ich habe ein paar fundamentale Themen, die ich als Grundlage für jeden Entwurf stellen möchte, dazu gehört, dass eine Wohnung nicht mehr nur funktionalistische Raumbezeichnungen hat, sondern, dass es nutzungsneutrale Räume gibt, die alle gleich groß sind, damit man die Möblierung ändern kann – eigentlich alte Geschichten, die aber im aktuellen Wohnbau nicht selbstverständlich sind, weil da die Zimmerzuschnitte sehr determiniert sind. Wir arbeiten daran, wie man in eine harte bauliche Struktur in verschiedenen graduellen Unterschieden weichere Strukturen einschreiben kann, etwa mit Trockenbauwänden, Leichtbauwänden, Möbeln, Stoffwänden. Mit solchen Mitteln kann man verschiedene Raumbildungen und atmosphärische Situationen herstellen. Solche Überlegungen sollten für jeden Entwurf selbstverständlich sein.
Dass man Räume anders denkt: In der Gegenüberstellung von historischen und gegenwärtigen Modellen kann man wertvolle Schlüsse ziehen. Es ist mir wichtig, die Funktionalität der 1930er-Jahre, die Eineindeutigkeit der Räume aufzulösen. Wir haben das Thema in einigen Wohnungen von uns erweitert, indem wir das Bad direkt in den Wohnraum integriert haben. So gibt es sehr kleine Wohnungen, wo das Bad auch ein Teil der Wohnräume sein kann – ohne fixe Wände, mit japanischen Schiebewänden. Das kann einerseits eine schöne Qualität von Belebung, aber auch eine Raumersparnis an Allgemeinflächen bringen. Poesie und Ökonomie gehen Hand in Hand.

GAT: Ihr Ansatz hinsichtlich Energie?

A.L.: Solche Überlegungen sind für mich schon eine Selbstverständlichkeit, wenn ich an Wohnbau denke. Für mich sind Fassaden immer dann wertvoll, wenn sie eine Mehrschichtigkeit aufweisen: Auf der einen Seite steht die Benutzbarkeit der Fassade als Raumfigur, die das Innen und Außen erlebbar macht. Auf der anderen Seite wird es spannend, wenn eine Fassade auch dazu dient, die Energiegewinnung sichtbar zu machen. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig. Die Idee, dass Gebäude Kraftwerke sind, ist auch nicht mehr neu. Ein Aspekt solch sichtbarer Energiegewinnung ist auch der sorgsamere Umgang damit, indem man ihn unmittelbar „körperlich“ wahrnimmt.

GAT: Eine Frage zur Architekturausbildung: Sie sprachen eingangs über die Vorteile der Unterschiedlichkeit und Wahlfreiheit an der TU Graz. Mittlerweile ist es so, dass es ein eigenes Institut für Gestalten und Entwerfen geben soll, was halten Sie davon?

A.L.: Die alten ,,Grundlagen der Gestaltung“ sind ja aus dem Vorkurs des Bauhauses abgeleitet, der relativ dezidiert auf die Architekturausbildung abgestimmt war, das hat in der Präzision an der TU Graz nicht funktionieren können. Es war für uns als Assistenten damals eine spannende Arbeit, auch für die Studenten, aber es hat kein akkordiertes Ausbildungsziel gegeben und das zu bündeln wird jetzt das Thema sein.

GAT: Wie könnte man Zugangsbeschränkungen, an denen kein Weg vorbeizuführen scheint, sinnvoll gestalten?

A.L.: Über Qualifikationsnachweise, je länger man diese dehnen kann, desto besser – ein bis zwei Semester wären wünschenswert. Was mir aus der Sicht des praktizierenden Architekten nicht gut gefällt, ist, dass sehr viele Leute von der Uni mit relativ wenig Büropraxis kommen. Ein verpflichtendes Semester Büropraxis wie in Holland erscheint mir sinnvoll, weil dadurch ein Blick darauf geworfen wird, wie der Büroalltag aussieht. Studierende kommen zu uns ins Büro und wollen entwerfen. Entwerfen beträgt 2 bis 3 % des Büroalltages. Es gibt immer noch die Zielvorstellung, der große Künstler zu sein, wenn man von der Uni kommt. Es scheint mir wichtig, Leute auszubilden, die auch in die Politik und zu den Bauträgern gehen, wo Architekten bislang wenig Lobby haben. Studierende müssen lernen, hartnäckig an einem Thema zu bleiben, auch wenn es unspektakulär erscheint.

GAT: Wie erklärt man Leuten, dass das immer noch propagierte Einfamilienhaus nicht der Weisheit letzter Schluss ist?

A.L.: Das ist ein Forschungsthema, an dem wir arbeiten, ich werde mich dabei nicht auf eine Geschmacksdiskussion oder moralisierende Diskussion einlassen. Wir werden die Kosten aufgliedern und zusammentragen, was es tatsächlich kostet, wenn die Leute im Speckgürtel oder in peripheren Gegenden wohnen, was die Republik zahlen muss, damit ein abgelegener Baugrund aufgeschlossen und betrieben werden kann, inklusive dem individuellen Transport und der Wartung dieser Infrastruktur. Da wird man auf Preise kommen, die höher liegen als in der Innenstadt. Wir werden das herunterbrechen auf einen Preis pro m² Eigenheim im Speckgürtel.

GAT: Haben Sie schon einmal ein Einfamilienhaus gebaut?

A.L.: Wir bauen keine Einfamilienhäuser!

GAT: Danke für das Gespräch!

KURZBIOGRAFIE
Andreas Lichtblau (* 1961)
Architekturstudium an den Technischen Universitäten Wien und Graz, Diplom 1989
1990-94 Assistent an der TU-Graz, Institut für Gebäudelehre und Wohnbau
1991 Lehrauftrag an der TU-Graz
Seit 1987 Architekturbüro lichtblau.wagner architekten, gemeinsam mit Susanna Wagner.
Seit 2011 Professor für Wohnbau an der TU Graz

Susanna Wagner (* 1966)
Architekturstudium an der Technischen Universität Wien, Diplom 1993
Seit 1987 gemeinsames Büro mit Andreas Lichtblau
Seit 2007 Mitglied des Gestaltungsbeirates Niederösterreich
Nominierungen und Auszeichnungen:
_ European Mies van der Rohe Award 2011, Nominierung Gesundheits- und Krankenpflegeschule, Wien
_ Piranesi Award 2010, Nominierung für Gesundheits- und Krankenpflegeschule, Wien
_ Faith & Form 2006 Honour Award, The American Institute of Architecture, Washington DC, USA, Pfarrzentrum Podersdorf
_ Faith & Form 2006 Merit Award, The American Institute of Architecture, Washington DC, USA, Innenausstattung Dom Eisenstadt
_ 2006 International Architecture Award, The Chicago Athenaeum, Pfarrzentrum Podersdorf
_ Auszeichnung Best of Europe, Colour 2004, Köln, stadt.raum dom eisenstadt
_ Architekturpreis des Landes Burgenland 2004, Pfarrzentrum Podersdorf
_ Auszeichnung für vorbildliche Planung, Landesregierung Niederösterreich 2003, Fachhochschule IMC, Piaristen Krems
_ European Mies van der Rohe Award 2003, Nominierung für Pfarrzentrum Podersdorf
_ Preis für ausgezeichnete Unternehmenskultur, Wien 2000, büro.haus gleisdorf
_ Architekturpreis des Landes Steiermark 1998, büro.haus gleisdorf

Verfasser/in:
Ute Angeringer-Mmadu, Gespräch
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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