16/07/2008
16/07/2008

Orientierungen West-Ost

Ein Prolog zur Ausstellung ORIENTIERUNGEN behandelt das klischeebehaftete europäische Bild des Orients im 19. Jahrhundert. Ein neuer Reiseboom und eine romantisierende Orientsehnsucht, bestärkt durch Reise- und erzählende Literatur, eröffneten für bildende Künstler ein Themenfeld, aus dem Bilder des Orients mit vornehmlich fantastisch fiktiven Szenen und Motiven hervorgingen, die bis heute unser Verständnis des Konstrukts „Orient“ prägen. Museale Exponate von Carl Leopold Müller, Alois Schönn, Anton Romako, Leo Diet und anderen – Leihgaben der Neuen Galerie Graz – sind auf einer Bilderwand (Ikonostase) versammelt.

Der überwiegende Teil der Ausstellung ORIENTIERUNGEN in der Kunsthalle Feldbach, der anliegenden Grenzlandhalle und im Gerberhaus Fehring zeigt in Medieninstallationen, Dokumentationen und ausgewählten Arbeiten der Gegenwartskunst inhaltliche und formale Überschneidungen kultureller Identitäten, die – anders als im oben genannten Prolog – heute nicht mehr von einem gegensätzlichen Begriffspaar Orient-Okzident bestimmt sind. Kuratorin Alexandra Riewe geht davon aus, dass der Begriff Grenze zunehmend einen Bedeutungswandel erfährt. Man kann nicht mehr von Trennlinien sprechen, vielmehr sind es Übergangs- oder Zwischenräume, in denen es zum Austausch kultureller Phänomene kommt. Solche Übergangsräume dokumentiert etwa eine Abteilung von aktuellen Reisebildern und Alltagsaufnahmen. Und in diesem Sinn werden auch Kunsthalle und Grenzlandhalle in einem Übergangsbereich für diese Ausstellung verbunden und sind aus beiden Richtungen kommend begehbar, vergleichbar wechselnder Leserichtungen.

Zu den eingeladenen KünstlerInnen zählen Gülsün Karamustafa aus Istanbul, die Grazer Kurt Stadler und Michael Schuster, die in Bosnien geborene Österreicherin Azra Akšamija, die aus der Türkei stammende und in Deutschland lebende Performancekünstlerin Nezaket Ekici und der ebenfalls aus der Türkei stammende Hüseyin Isik, Maler und Grafiker, der sich in seinen Arbeiten mit Fragen um das Prinzip der Grenze und kulturellen Identität auseinandersetzt.

Zwei 360°-Panorama-Fotografien präsentiert Michael Schuster, aufgenommen in Feldbach und in der Wüste Libyens. Eine Installation von Klaus Stadler trägt den Titel West-östlicher Diwan. Mit Unterstützung des Teppichhauses Adil Besim wird ein Teppich nach Stadlers Konzept gefertigt, auf dem zwei Weltsichten über die korrespondierenden Zeichen Lo-Shu und das Jupiterquadrat in Dürers Melencolia verknüpft erscheinen. Ein zweiter Teil des Formats ORIENTIERUNGEN handelt im Gerberhaus Fehring von Sprache, Fragen des Übersetzens und der Legendenbildung: Babylon – die Ruinen im heutigen Irak gelegen – ist Sinnbild der Sprachverwirrung. Sprache, als Instrument der Verständigung, kann auch Missverständnisse hervorrufen; nämlich als Medium der Integration, das zugleich Symbol kultureller Autonomie ist. Ton- und Sprachinstallationen von KünstlerInnen erläutern Facetten der sprachlichen Kommunikation: zum einen die Sprache in ihrer klanglichen Qualität, losgelöst von Bedeutung und Inhalt, zum anderen als Mechanismus der Veränderung, Verstümmelung, Verballhornung, wie wir sie aus dem Kinderspiel „Stille Post" kennen. Diese Form des „Weitersagens" – „Chinese whispers" im englischen Sprachraum, in Frankreich unter dem Namen „Téléphone arabe" bekannt – verdeutlicht einfacher als jede Sprachtheorie die Abhängigkeit von Sprache und Verstehen. Eine Dirndlmoschee von Azra Akšamija verbindet unterschiedliche kulturelle Traditionen von Kunst, Kleidung und Architektur. Im Projekt Rurban Legends dagegen übersetzt die Grazerin Edda Strobl regionale Legenden wie Vampirismus in das Medium der Comics.

Im Gerberhaus halten die an der Ausstellung beteiligten KünstlerInnen auch Workshops im Rahmen des Kinderprogramms Irgendwie Anders. Die entstehenden Arbeiten werden in die laufende Ausstellung integriert.

Die Ausstellung ORIENTIERUNGEN wurde am 5. Juli in der Kunsthalle Feldbach und im Gerberhaus Fehring eröffnet. Ausstellungsdauer 5. Juli – 13. September 2008.
ORIENTIERUNGEN
Ausstellung zeitgenössischer Kunst
Dauer: Bis 13.9.2008

Orte:
Kunsthalle Feldbach
Gerberhaus Fehring
Öffentlicher Raum

Öffnungszeiten: Di - So 11 - 18 Uhr
Führung (ab 6.7.2008): Fr 12 - 18 Uhr, Sa - So 10 - 18 Uhr, alle zwei Stunden
Anmeldung zur Führung: Festivalhotline T 0800/36 20 36, festivalzentrum@regionale08.at

Formatleitung, Kuratorin: Alexandra Riewe
Wissenschaftliche Mitarbeit, Produktion: Kirsten Patent
Technik / Ausstellungsaufbau: Mit Loidl oder Co. GmbH

Zugänglichkeit:
Dieser Ort bietet gute Zugänglichkeit für mobilitätseingeschränkte Personen. Entsprechende Toilettenanlage vorhanden.
Gebärdensprachenführung buchen unter 0800 362 036

Eintritt frei.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
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