13/11/2007
13/11/2007

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

STADTPLANUNG Die Stadt legt das geplante Einkaufszentrum am Bahnhof bis nach den Wahlen auf Eis: Zu heftig sind die Widerstände. Unterdessen schnappt der Speckgürtel Graz weitere Leitbetriebe weg.

Einige Leverkusener glaubten in den vergangenen Wochen nicht richtig zu sehen, als sie durch die Innenstadt flanierten: Erst schlugen Mitarbeiter einer Abrissfirma mit der Hand die Fenster des Stadthauses ein. Glasstücke flogen auf die Fußgängerzone. Einige Tage später schob sich während der Abbrucharbeiten ein Vier-Tonnen-Träger des Gebäudes in Richtung des benachbarten „Kinopolis“. Rat- und Stadthaus müssen nämlich weg, um einem Center des Shoppingmall-Giganten ECE Platz zu machen. Ganz oben, in einer Art UFO, darf dann der Oberbürgermeister thronen. Die Zwischenfälle ließen das Murren etlicher Leverkusener wieder lauter werden, die etwas dagegen haben, dass ihre alten Verwaltungssitze abgerissen werden.

Die zum Otto-Konzern gehörende Hamburger ECE Projektmanagement GmbH ist Europas Marktführerin bei innerstädtischen Einkaufszentren. Die meisten ihrer Konsumwelten pflanzt sie mitten in die Altstädte, kapert gar klassizistische Schlösser. Wo sie auftaucht, gibt es regelmäßig Zoff. Auch in Graz formiert sich Widerstand gegen die geplante „Stadtgalerie“, die ECE gemeinsam mit Leiner beim Hauptbahnhof aufsperren will. Die Volkspartei unter Bürgermeister Siegfried Nagl will sie unbedingt haben. Nun mucken aber nicht nur Anrainer, Teile der SPÖ und Grüne auf, sondern auch die ÖVP-eigene Klientel, die Wirtschaft. Den Termin der Gemeinderatswahlen im Jänner im Nacken, legen die Stadtväter das Projekt nun voraussichtlich bis nach dem Urnengang auf Eis. Es auf Teufel komm raus durchzudrücken hat schon deutsche Kommunalpolitiker Kopf und Kragen gekostet.

Was Bürgerinitiativen, Denkmalschützer, Innenstadthändler, Opposition und Medien der ECE vorwerfen: Sie zerstöre das Flair und die gewachsenen Strukturen der Citys und sauge den ansässigen Händlern den Lebenssaft aus. Und Politiker ließen sich von ihr als willfährige Marionetten missbrauchen. Der Shopping-Gigant kontert: Im Gegenteil, wir reanimieren die Zentren und bringen euch Kaufkraft zurück.

Genau darauf hofft auch die ÖVP: Mit Hilfe der 130 Geschäfte umfassenden Stadtgalerie will sie wenigstens einen Teil jenes Geldes in die Stadt leiten, das jetzt in das Center Seiersberg rinnt. Noch dazu, wo dort nun tatsächlich die Modekette Peek & Cloppenburg einziehen wird – wogegen Nagl Klagen überlegt. Aber P&C schaltete vergangenes Wochenende bereits Jobinserate.

Für das ECE-Center wollte ÖVP-Planungsstadtrat Gerhard Rüsch schon in der vergangenen Gemeinderatssitzung den Bebauungsplan durchwinken. Schließlich hatte die ECE schon Dampf gemacht: Beschließe die Stadt den Plan im September nicht endlich, wolle man die Investition nicht weiter verfolgen, schrieb Konzernchef Alexander Otto persönlich.

Nun aber sagt Rüsch plötzlich: Auf Wunsch der ECE gebe es eine weitere Anhörung zum Bebauungsplan. Und es sei „sehr fraglich, dass sich ein Beschluss noch vor der Wahl ausgeht“. ECE-Sprecher Robert Heinemann dagegen sagt: „Aus unserer Sicht wäre das noch machbar, wir hätten es gerne noch vor der Wahl.“ Die ÖVP traue sich das heiße Thema so kurz vor den Wahlen nicht mehr anzugreifen, vermutet nicht nur Grünen-Klubobfrau Sigi Binder, sondern auch Heinz Zavecz, Handels-Spartenobmann der Wirtschaftskammer, sowie Kastner&Öhler-Vorstand Martin Wäg.

Zu viele Punkte sind noch strittig. Einer der wesentlichsten: der Verkehr. Schon jetzt gehört der Bahnhofsgürtel zu den höchst belasteten Straßen in Graz. Ein Gutachten prognostizierte als Folge der Stadtgalerie und anderer Projekte ein weiteres Plus des Kfz-Verkehrs von bis zu einem Fünftel bis 2015. Sogar das Land schloss sich der Skepsis ob der Verkehrslage an. Die Politiker wollen nun einen schon seit langem angedachten großen Wurf umsetzen: eine „Nahverkehrsdrehscheibe“ am Bahnhof plus Tram-Tunnel bei der Kreuzung Bahnhofsgürtel (GAT berichtete; Anm.). Doch die Finanzierung und wie viel die ECE dazuzahlen wird, ist ungeklärt. Rüsch will ebenso wie SPÖ-Chef Walter Ferk, dass sich diese auch am Tunnel beteiligt, doch der Konzern äußert sich zurückhaltend. Obwohl Rüsch schon bis Oktober fertig verhandelt haben wollte, sagt Heinemann, die Stadt habe der ECE bis jetzt noch nicht einmal eine konkrete Forderung genannt. Weiterer Knackpunkt: Die Stadt wünscht sich einen Fassadenwettbewerb, Heinemann aber macht klar: „Wir halten das für nicht notwendig.“

Die Aussichten auf noch mehr Autolärm und weniger Parkplätze bringen das Blut der Anrainer in Wallung. Und wie bei ECE-Projekten in anderen Städten beklagen sie sich, schlecht informiert zu werden. Obwohl Rüsch zwecks besserer Bürgerbeteiligung die 600.000 Euro teure Planungswerkstatt ins Leben gerufen hat, hielt er in Sachen ECE bislang nur eine einzige Bürgerversammlung ab. An die 250 Leute kamen und luden teils aufgebrachte Wortmeldungen ab.

Um die Anrainer kümmern sich vor allem die Grünen, aber auch der SPÖ bereiten diese Sorgen: Die hauptbetroffenen Bezirke Gries und Lend sind Kerngebiete mit roten Bezirksvorstehern. Der SPÖ kommt es daher gelegen, wenn sie bis zur Wahl von der Causa verschont bleibt.

Aber auch die ÖVP selbst, vermutet SPÖ-Klubobmann Karl-Heinz Herper, habe Schiss vor Rache aus den eigenen Reihen. Im Wirtschaftsbund machten lokale Zampanos gegen das Projekt „Stimmung“.

Sehr agil ist Friedrich Poppmeier, Miteigentümer von Spar Österreich und des Citypark sowie von Nagl geehrter „Bürger“ der Stadt. Dem Citypark umd dem zur Spar-Gruppe gehörenden Murpark würde die Stadtgalerie besonders schaden. Der Citypark kaufte extra eine Immobilie neben dem Areal, um als Anrainer zu Insider-Informationen zu kommen. Erst vor wenigen Tagen ermahnte er die Stadtregierung, der Bebauungsplan dürfe sowohl aus Verkehrs- als auch aus rechtlichen Gründen nicht genehmigt werden. Kein Blatt vor den Mund nimmt sich Citypark-Geschäftsführer Waldemar Zelinka: „Das“, deutet er auf die ECE-Pläne, „ist so wichtig wie ein Kropf“.

„Gemischte Gefühle“ bei den Betrieben räumt Helmut Zaponig, Geschäftsführer der Sparte Handel in der Kammer, ein. Spartenobmann Zavecz begrüßt die Stadtgalerie – Hauptsache, es gehe „hinein in die Stadt“ –, zweifelt aber nicht daran, dass es die Innenstadt Umsatzeinbußen kosten und „für manche das Ende bedeuten wird“. Genau das befürchten auch City-Kaufleute wie Erwin Sacher vom Buchhandel Leykam und kleine Händler in der Annenstraße.

Unterdessen soll Leiner laut Herper bereits ungeduldig werden und in den Raum stellen, aus Graz abzuwandern, wenn bei der Stadtgalerie nicht bald etwas weitergeht. Leiner will „aus Sensibilitätsgründen“ nichts dazu sagen. Die ECE schafft derweil Tatsachen. Die benötigten Immobilien wurden bereits angekauft, und zwar zu stolzen Preisen, wie Heinemann bestätigt. Und die ECE fasst hier zu Lande bereits weiter Fuß: Sie wird das künftige Shoppingcenter am Wiener Westbahnhof betreiben. Ob auch jenes am bald nagelneuen Hauptbahnhof, ist noch auszuschnapsen.
Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.> > GAT BUCHTIPP:
Angriff auf die City
Brune, Walter/Junker, Rolf/Pump-Uhlmann, Holger (Hrsg.)
Kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten und nicht integrierten Shopping-Centern in zentralen Lagen
Droste Verlag (2006)
288 Seiten, zahlreiche Abbildungen, broschiert; EUR 16.00
ISBN 978-3-7700-1264-0

Verfasser/in:
Gerlinde Pölsler; erschienen im Falter Stmk. 45/2007
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