30/12/2010
30/12/2010

Autobahnabschnitt in Essen / Foto: RUHR.2010/Matthias Duschner

Endgültige Eröffnung des Dortmunder U zum Finale der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 / Foto: Stadt Dortmund/Johanna Fischer

UNESCO Weltkulturerbe Zeche Zollverein, Foto: Reinicke/StandOut.de

Dortmunder U, Foto: Lutz Kampert

Landschaftspark-Nord Duisburg, Foto: Manfred Vollmer

RUHR 2010 – das Kulturhauptstadtjahr in der „Ruhrmetropole“ ist zu Ende. Aber auch im Nachhall vom Kulturhauptstadtjahr 2010 gibt es einiges Aktuelles im Ruhrgebiet zu entdecken.

Die Einwohnerzahlen schrumpfen, die Schwerindustrie hat sich schon lange verabschiedet, auch Bemühungen, neue Technologien in die Region zu holen und hier durch gut ausgebildete Facharbeiter zu halten, haben noch nicht ihre Auswirkungen gezeigt. Die das Gebiet überspannende, netzartige urbane Struktur, begründet durch die flächendeckende Ausbeutung der Kohleschicht, dünnt aus. Übrig bleibt die Hoffnung auf eine neue Identität für eine Region, die noch nicht so recht weiß, wie sie sich entwickeln soll.
Die Ruhrgebietler sind überzeugt von der Lebensqualität der Region, deren Industriebrachen sich in Parks und Kulturzentren verwandelt haben. Der Charme der Region liegt gerade im Verschwinden der Schwerindustrie, wodurch Grundstücke im Zentrum frei werden und riesige Hallen mit denkmalschützerischem Wert vor allem für die Kreativindustrie genutzt und Impulse gesetzt werden können. Der „Vibe“ des Ruhrgebiets ist dann spürbar, wenn die Maßnahmen fruchten und die Bewohner sich die ehemaligen „verbotenen Städte“ der Industrieanlagen aneignen.

Den Startpunkt dafür gab die IBA Emscher Park vor 20 Jahren, als ein Werkzeug, um die Region als einen Park mit einer neuen Form des Tourismus und der Lebensqualität zu verstehen. RUHR 2010 hat zusätzlich Geld in die Region gebracht, um einige große städtebauliche Maßnahmen zu finanzieren. Die Politik versucht zu zentralisieren, um den Ruhrgebietsstädten mit den ehemals verstreuten Industriestandorten und den umliegenden Siedlungen einen Kern zu geben, der auch nach dem bevorstehenden Rückgang der Einwohnerzahlen Bestand hat.

Der Landschaftspark Duisburg Nord, eines der Leitprojekte der IBA, ist bekannt durch die Integration des bereits Vorgefundenen in das Konzept eines postindustriellen Freizeitparks, der das Industrieerbe des ehemaligen Eisenhüttenwerks nicht versteckt, sondern inszeniert und durch Adaptierungen – indem das ehemalige Gasometer ein Tauchtank und der ehemalige Möllerbunker zum Klettergarten wird – einem neuen Nutzen zuführt. Der Park, der durch Mittel der IBA entstanden ist, ist identitätsstiftend, sehr viele Paare benutzen ihn als Kulisse für ihre Hochzeitsfotos.

Die Zeche Zollverein in Essen wurde als Weltkulturerbe deklariert und bildet einen Kunst- und Designschwerpunkt im Ruhrgebiet. Die von Rem Kolhaas/OMA umgebaute Kohlewäsche beherbergt das Ruhrmuseum – ein idealer Startpunkt, um die Geschichte des Ruhrgebiets und dessen Struktur zu begreifen.

Knapp zehn Jahre, nachdem der Betrieb des Stahlwerks 2001 in Dortmund-Hörde eingestellt und das Werk in den Osten Chinas transferiert wurde, entsteht auf demselben Gelände der „Phoenix-See" – ein See zur Freizeitnutzung. Die Entwicklungsgesellschaft schlug Einfamilienhäuser als Siedlungsstruktur an den Ufern des Phoenix-Sees vor, es gab dafür einen Architektenwettbewerb, dessen Ergebnisse als Grundlage für die „Villen am See" dienen sollen. Das städtebauliche Konzept einer Reihe von Einfamilienhäusern wurde oftmals kritisiert, soll jedoch den Abzug finanzstarker Dortmunder in das hügelige Umland verhindern.
Ursprünglich dachte man daran, die renaturierte Emscher als Zufluss für den See zu verwenden. Dies hätte jedoch den von der Industrie manipulierten Grundwasserspiegel zum Ansteigen gebracht und die Bausubstanz vieler Häuser in Hörde beeinträchtigt. Deswegen stammt das Wasser des Sees, der im Oktober 2010 geflutet wurde, nun aus der Leitung.

Die in unmittelbarer Nähe liegende Clarenbergsiedlung – eine Hochhaussiedlung, die Ende der Sechziger entstand und infolge Arbeitslosigkeit durch die Schließung des Stahlwerkes Phoenix-West ein sozialer Brennpunkt wurde – ist durch teilweisen Rückbau der Siedlung und gestalterisch-strukturelle Maßnahmen in ihrer Lebensqualität entscheidend verbessert worden.

In Essen wurde die Erweiterung des Folkwang Museums mit Anfang des Jahres fertiggestellt. David Chipperfields Museumsbau, der durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanziert wurde, lebt durch den erdgeschossigen Grundriss, dessen Gänge um Lichthöfe positioniert sind. Der Bau verführt dazu, ungerichtet durch seine Räume zu wandeln, da es an jedem Punkt des Museums möglich ist, seinen Standpunkt durch die nach außen gerichteten Lichthöfe innerhalb der Stadt und des Museums zu bestimmen. Die Fassade, die aus recyceltem Industrieglas besteht, reflektiert das Licht der oft trüben Ruhrgebietstage und lässt das Gebäude auch bei bedecktem Himmel strahlen. Ein absolutes Must-See ist die Architektur und die Sammlung Folkwang (Avantgardistische Malerei aus den Anfängen des Jahrhunderts).

Die ehemalige Unionsbrauerei Dortmund, genannt „Dortmunder U", im Stadtzentrum wird zum „Zentrum für Kunst und Kreativität“ umgewandelt. Die Räume enthalten einen Mix aus Museum, Universitätsinstituten und Kulturinstitutionen der Stadt Dortmund. Über eine neue „Krone“ – eine Medienfassade – korrespondiert und kommentiert der Filmemacher Adolf Winkelmann das aktuelle Geschehen der Stadt. Besucht man das „Dortmunder U", steht man nach wie vor auf einer Baustelle. Das Zentrum wurde bereits 2010 im Bauzustand eröffnet, die Fertigstellung verzögerte sich durch die alte Bausubstanz.

Die Thyssen Krupp Hauptverwaltung zog im Sommer von Düsseldorf auf die Gründe der ehemaligen Gussstahlfabrik der Familie Krupp in Essen. Die ehemals trennende Industriebrache wurde durch den Bau der Hauptverwaltung zu einem repräsentativen Gelände mit Stadtteilpark aufgewertet und verbindet den zuvor abseits gelegenen Stadtbezirk Altendorf mit dem Zentrum. Das Projekt war ein Joint Venture von Thyssen Krupp und der Stadt Essen.

Besonders interessant ist der Trend, dass die Einwanderer der letzten 40 Jahre gerade in jüngster Zeit neue sakrale Bauten im Ruhrgebiet bedingen. In mehreren Städten entstanden neue Synagogen (Duisburg, Bochum oder Gelsenkirchen) oder Moscheen (Witten, Duisburg), während viele Kirchen durch den Bevölkerungsrückgang nicht mehr erhaltbar sind.

Durch das Ruhrgebiet bewegt man sich am besten auf den 13 Autobahnen, die die Städte miteinander verbinden. Auf eine Autobahn kann man sich im Ruhrgebiet übrigens als ein verbindendes Element einigen: die A 40, die älteste Autobahn der Region mit dem Projekt „Stillleben Ruhrschnellweg". Die Autobahn wurde im Jahre 2010 einen Tag gesperrt, um sie für Fußgänger und Radfahrer freizugeben und um als Bühne für das Ruhrgebiet zu dienen.
Die Veranstaltung war mit über 3 Millionen Teilnehmern so erfolgreich, das es zu einer Wiederholung des Kulturfestes kommen soll – als Standortwerbung für ein Gebiet, das sein Gesicht erst (neu) erfindet.

Katharina Wyss (* 1977)
Studium der Architektur an der TU Graz, an den Universitäten in Oulu (Finnland) und Malta, Diplom für Architektur an der TU Graz; ist zurzeit im Ruhrgebiet in der Architekturvermittlung und im Planungsbereich tätig.

Verfasser/in:
Katharina Wyss, Bericht
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