02/04/2007
02/04/2007

"on movers and shapers". Foto: I. Schaber / J. Stollmann

Die Reihe “position: alltag“ erstreckt sich über zwei Jahre im HDA und der 3. Themenschwerpunkt „schützen“ fand im Haus in der Engelgasse am 28.03. seinen Auftakt.

Fünf Architekten bzw. Künstler präsentierten ihre Projekte, die vom Justizzentrum/Gefängnis Leoben (Arch. DI Josef Hohensinn, Graz) bis zur Analyse von Gated Communities ("on movers and shapers", Ines Schaber/Jörg Stollmann), von einem Frauenhaus in Kapfenberg (Arch. DI Uli Tischler, Graz) bis zur Polizeistation am Wiener Karlsplatz (Team Arquitectos, Wien) reichte. Anna Witt, hierzulande bekannt durch ihre Präsenz im Grazer Kunstverein (steirischer herbst 06) demonstrierte in einem Video die Körperhaltungen und Attitüden von Sicherheitskräften, die dann von „Observierten“ mit beeindruckendem Erfolg nachgespielt wurden.

Das Ziel von „position alltag“ wird im Aufspüren des imaginären Schnittpunktes einer Architektur des Schützens und einer zu schützenden Gesellschaft liegen. „schützen“ in seiner Grundbedeutung „schüt(e)“ bezieht sich auf Erdaufschüttung, „Schutz“ auf eine Umdämmung. Verbunden ist Schutz immer mit der Verminderung eines Risikos, intendiert ist Sicherheit. Spätestens seit Ulrich Becks „Die Risikogesellschaft“ wächst aber der Zweifel an einfachen Verursachungsketten, und in seiner jüngsten Veröffentlichung, die er schon „Die Weltrisikogesellschaft“ nennt, führt Beck aus, dass die hoch differenzierten Systeme der industriellen und postindustriellen Moderne sich nationalen bzw. physischen Regulierungen entziehen. Auf „schützen“ im HDA angelegt: Der Effekt der Sicherheitsarchitekturen schwindet, der Schutz wird fraglich. Dass New Orleans Dämme unter Auswirkungen von Katrina nachgaben, ist insofern beinahe tröstlich, als es sich „nur“ um die Folgen politischer Ignoranz handelte. Allgemein werden Sicherheitsarchitekturen ineffizienter oder durch gleichsam immaterielle Techniken und Strategien ersetzt. Die Berliner Mauer war effizienter, als die Grenzanlagen von Ceuta, und Benthams panoptisches Gefängnis wird durch eine omnipräsente Videoüberwachung übertrumpft. Die Bedienung der Kameras, die Archivierung und Analyse der Bilder werden weitgehend anonymisiert und aus dem aktuellen Zeitablauf herausgelöst - Entkörperlichung und Endzeitlichung. Einer immateriellen Überwachungs= Schutzarchitektur durch JPS-Systeme, elektronische Fußfesseln oder Selbstfesselung durch Handys entsprechen auf der anderen Seite schwer fassbare Phänomene wie Klimakatastrophen oder Terrorismus. Die Verlagerung der Zwangsapparaturen in ästhetischen Normen und das Verschwinden der schützenden Architektur demonstrierte Jörg Stollmann für die gated communities. Ein verbindliches Regelwerk die cc&r‚s (codes, covenants & restrictions), das sich auf die Oberflächen des Privat- und Gemeinschaftsbesitzes bezieht, verbietet beispielsweise das Parken von Autos v o r der Garage. Damit werden beispielsweise Mexikaner, die traditionellerweise mit Autos handeln (und diese vermutlich auch reparieren) ohne „politische Inkorrektheit“ ausgeschlossen. Und während die communities zuvor eingezäunt wurden, nützen sie doppelt jetzt die angrenzende Wüste: als privilegierten Blick in die Weite und als unsichtbaren Wall. Daraus ergeben sich (auch durchaus sinnvolle) Synergien mit der Bürokratie, die ja die Definition von Wüstenschutzgebieten oder Bauland bestimmt.

Ein Spruch der cinematografischen Sphinx Godard (der ihn vermutlich aus einer chinesischen Sammlung hat) trifft die Ambivalenz des Themas „schützen“: „Wir alle reden von der Gewalt des Stromes. Aber wer spricht von der Macht der Ufer, die ihn eindämmen?“ Die Referenten des Abends reagierten mit einem leichten Anflug von Frustration auf diese Ambivalenz. Uli Tischler zögerte dem Wunsch der Frauen nach Fenstergittern für ihr Frauenhaus nachzukommen. Josef Hohensinn reduzierte die visuelle Präsenz von Gittern, Absperrungen im Gefängnis von Leoben wo immer es möglich war. Auch die wohnliche, die Lebenswelt der Einsitzenden aufgreifende Einrichtung zielt vor allem auf Resozialisierung und weniger auf den Schutz der Gesellschaft „draußen“. Dass das Bauen für traditionell weniger interessante Bauherren dennoch zu ausgezeichneten Lösungen führen kann, bewies die in extrem ungünstiger Lage errichtete Polizeistation des Teams Arquitectos am Wiener Karlsplatz.
Weitere Veranstaltungen im Rahmen des 3. Themenschwerpunktes "schützen" der HDA-Reihe position: alltag:

_ Mittwoch, 18.04.2007, 19.00 Uhr
Werkvortrag Delugan Meissl, Wien
HDA Graz, Engelgasse 3-5

_ Mittwoch, 25.04.2007
16.00 Uhr: City Walk "Graz picturesque?"
Mit Nils Norman, Ute Angeringer und Wolfgang Reinisch. Treffpunkt: HDA Graz
19.00 Uhr: Vortrag von Nils Norman

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+