13/08/2018

Seit 2003 ist GAT online. Tausende von Artikeln haben sich im (virtuellen) Archiv angesammelt. Informatives, Kritisches und Unterhaltsames. In erster Linie Themen zur Architektur natürlich, aber vieles führt auch zu den Rändern und darüber hinaus zu anderen Disziplinen. GAT ist nicht nur von ArchitektInnen für ArchitektInnen gemacht.

Aus dem GAT-Fundus für die Sommerreprise 2018 geholt:

Aufbruch zu neuen Ufern
Innerstädtische Uferzonen, heiß begehrt.

Anne Isopp, 2006, für den
sonnTAG 127

Die Autorin hat am Inn, der Mur und an der Donau nachgefragt.

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13/08/2018

Murinsel in Graz (2003) von Vito Acconci, nach einer Idee des Grazers Robert Punkenhofer

©: Angelo Kaunat

Lange vernachlässigt und nun: Die innerstädtischen Uferzonen. Auch in Österreichs Städten entstehen entlang den Flüssen begehrte Wohnstandorte und Erholungsgebiete.

Der hölzerne Steg führt hinaus aufs Wasser. Ein junger, muskulöser Mann setzt zum Sprung ins kühle Blau an. Das Bild eines großformatigen Werbeplakates, auf dem in weißen Lettern zu lesen ist: Das Ziel ist klar. Eine Szene an einem österreichischen Badesee? Eine Tourismuswerbung? Weit gefehlt. Es ist eine Imagekampagne der Hamburger Stadtentwässerung (HSE). Im Hintergrund sind keine Berge sondern das Hamburger Rathaus zu sehen. Die HSE hat richtig erkannt: Der Wohn- und Freizeitwert von Wasser erfährt zunehmender Wertschätzung – auch in Großstädten. Auf der ganzen Welt werden obsolete Hafenanlagen und vernachlässigte Uferzonen zu Wohn- und Erholungsgebieten transformiert. Auch in Österreich entdecken die Städte zunehmend ihre Adressen am Wasser. Ein internationaler Trend der Stadtplanung – die Entwicklung der sogenannten Wasserfronten – ist auch hierzulande angekommen. Für Architekt Boris Podrecca eine logische Konsequenz unserer ökologischen Zeit: „Die Stadt sehnt sich nach einer Purifizierung durch das Wasser.“
„Man lässt sich wieder auf das Leben am Wasser ein“, meint auch Arno Ritter, Leiter des Architekturforum AUT in Innsbruck. Erst vor kurzem habe er Projekte aus den sechziger, siebziger Jahren entdeckt: „Die wollten den Inn zumachen. Eine Platte drübertun für Parkplätze und um den Fluss unsichtbar zu machen.“ Inzwischen aber habe der Fluss seine alte Bedeutung wieder gefunden, sagt er. Die Tiroler Architekten Helmut Reitter, Peter Lorenz und Christoph Langhof legten Ende der 90er Jahre der Stadtplanung eine Studie vor, in der sie aufzeigten wie man den durch die Stadt fließenden Inn zugänglicher und erlebbarer machen kann: Diese Maßnahmen reichen von neuen Gebäuden an der Uferkante mit flussseitigen Arkaden bis hin zu einer großzügigen Uferpromenade. Innsbruck an den Inn ist für Ritter ein Versuch, den „Rücken, den die Stadt ihrem Fluss zeigt, wieder umzudrehen.“ Der städtebauliche Rahmenplan ist noch nicht verpflichtend, die Stadtplanung hält sich aber bereits teilweise daran. Riccione Architekten haben die erste Wohnbebauung am Inn auf Grundlage dieses Bebauungsplanes im Jahr 2003 errichtet. Eigentumswohnungen, die in kürzester Zeit verkauft waren.

Ähnlich wie der Inn ist auch die Mur ein Gebirgsfluss. Das Wasser fließt hier ebenfalls in einem so tiefen Flussbett, dass man es vom Stadtniveau aus kaum wahrnehmen kann. „Ich habe mich jedes Mal geärgert, wenn ich über die Mur zur Uni gefahren bin, dass man nicht zum Wasser runterkommt“, erinnert sich Robert Punkenhofer. Wie an der Seine in Paris oder am East River in New York hätte er gerne am Ufer gesessen und einen Cafe getrunken. Als dann der Aufruf zu Projektvorschlägen für das Kulturhauptstadtjahr 2003 kam, musste der inzwischen als Galerist und als Projektentwickler tätige Punkenhofer nicht lange überlegen. Er reichte seine Idee einer künstlichen Insel auf der Mur ein und hatte damit den Nerv der Zeit getroffen. Die Revitalisierung des Murufers war schon seit 1992 Thema der Grazer Stadtplanung. Man habe sich bis dahin nur noch nicht darüber getraut, sagt Klemens Klinar von der Grazer Stadtplanung, aus Angst vor den Gefahren des Wassers und dem begrenzten Platzangebot: „Die Mur fließt ja 6 Meter unter der Stadt. Der Platz entlang des Flusses ist sehr beschränkt. Deshalb hat man sich das Projekt nie vorstellen können.“
 Die vom New Yorker Künstler Vito Acconci entworfene Murinsel, die Murpromenade und die Sanierung des Flussbettes wurden dann gemeinsam für 2003 realisiert. Neue Schwellen sorgen nun für einen gleichmäßigeren Flusslauf und ermöglichen in diesen Bereichen sogar das Kajakfahren. „Im Nachhinein kann man sagen, dass es eines der am besten angenommenen Projekte im öffentlichen Raum der letzten zehn bis fünfzehn Jahre ist“, sagt Klinar. Wie eine überdimensionale Muschel schwimmt die Murinsel nun vorerst für zehn Jahre auf dem Wasser – so lange reicht die wasserrechtliche Bewilligung. Über gelenkig gelagerte Stege ist sie von beiden Uferseiten aus zugänglich und beherbergt in ihrem Inneren ein Cafe'.

Linz ist 2009 europäische Kulturhauptstadt. Bis dahin will man auch hier die innerstädtischen Donau-Uferbereiche attraktiver gestalten. Das neue Kunstmuseum Lentos hat es bereits vorgemacht: Der schlanke, lang gestreckte Baukörper zelebriert seine unmittelbare Nähe zum Wasser. Ein 60 Meter langer Freiraum ist aus dem Kubus ausgeschnitten. Wie ein Panoramafenster lenkt dieser den Blick auf die vorbeifließende Donau und die gegenüberliegende Stadtsilhouette. Gegenüber vom Lentos, ebenfalls unmittelbar am Ufer gelegen, soll bis 2009 das Ars Electronica Center um einen Neubau erweitert werden. Den Architektenwettbewerbe hierfür konnte vor kurzem Architekt Andreas Treusch für sich entscheiden.
 „Hochwasserverschärfend wirkt das nicht“, sagt Hans-Peter Nachtnebel, Professor am Institut für Wasserwirtschaft, Hydrologie und Konstruktiven Wasserbau der Wiener Universität für Bodenkultur. Die zunehmende Tendenz, am Wasser zu bauen, sei aber schadensvergrößernd, „da einfach mehr Werte exponierter da stehen. Wenn sie nicht entsprechend geschützt werden, ist das Schadenspotenzial viel, viel höher.“ In Linz setzt man im Innenstadtbereich zum Schutz vor Hochwasser mobile Dämme ein – flussauf- und flussabwärts kommen auch feste Schutzdämme zum Einsatz. „Die Hochwasserwelle hat früher, um 1950, von Ybss nach Wien 50 bis 60 Stunden gebraucht“, sagt Nachtnebel. „Heute dauert dies ungefähr 16-20 Stunden.“ Schuld daran sei die durchgehende Staukette an der Donau. Viele Retentionsräume, Flächen, wo das Wasser bei hohem Pegelstand stehen kann und dann langsam wieder wegfließen kann, sind weggefallen.

Für den Wiener Donaukanal ist Hochwasser kein Thema. Die Nussdorfer Schleuse regelt den Zufluss und stellt sicher, dass das Wasser selbst bei einem Jahrhundertereignis nicht über die Kaimauer geht. Es sei ein künstlicher Flusslauf mitten in der Stadt und solle dementsprechend auch gestaltet werden, fordert Elisabeth Licka, Professorin für Landschaftsarchitektur an der Wiener Universität für Bodenkultur. Die Versuche das jetzt naturräumlich zu behübschen seien widersprüchlich. „Ob man das nun kulturell nennen kann, bei dem was da jetzt passiert? Für mich ist das eher ein Erlebnis-Strip.“ Seit letztem Sommer können die Wiener gleich an zwei Sandstränden Erholung suchen. Ein wenig Sand, Liegestühle und Cocktails und schon ist eine Erfolg versprechende Sommeroase entstanden. In Paris, Berlin oder Hamburg gibt es diese Stadtstrände bereits seit ein paar Jahren. Es war also nur eine Frage der Zeit bis sie auch in Wien Einzug halten.
„Früher war der Donaukanal eine toter Raum“, erinnert sich der Wiener Unternehmer Michael Satke. „Da war einfach nichts.“ Erst Mitte der 90er Jahre sei der Kanal erwacht – mit dem Flex und der Summerstage. Gemeinsam mit dem Architekten Gregor Eichinger hat Satke nun eine Brücke entwickelt, mit der er die gegenüberliegenden Stadtteile und die tieferliegenden Uferzonen stärker miteinander verknüpfen und eine neue Signalwirkung für den Donaukanal schaffen will. Vorbilder sind die Rialtobrücke in Venedig und die dreiteilige Brücke in Ljubljana von Jose Plecnik. Im Bereich des Schwedenplatzes sollen sich mehrere miteinander verflochtene Brücken über den Donaukanal spannen. Die Trialto-Brücke ist dem venezianischen Beispiel entsprechend nicht nur Wegeverbindung sondern auch Unterhaltung: Lokale und Geschäfte werden in Glaskuben auf der Brücke untergebracht. Ein markantes Dach aus einer transparenten Membran überspannt das Brückengeflecht und schützt die Passanten vor Regen. Es sei keine Überplattung des Flusses, betont Architekt Eichinger. Vielmehr will er den Fluss zelebrieren: Man wird von vielen Stellen – am Rand sowie an den Kreuzungspunkten – auf das Wasser hinunterschauen können und leichter Zugang zum Ufer finden. Der überdachte Bereich unter der Brücke soll für Veranstaltungen genutzt werden. Anhand einer Machbarkeitsstudie werden derzeit die Errichtungskosten des Trialto-Projektes bestimmt.
 Für die Wiener Stadtplanung ist der Donaukanal einer von dreizehn „Hot Spots“ der Stadtentwicklung. Man will private Investoren gewinnen, die das Freizeitangebot für die Bevölkerung erweitern, während die Stadt die Infrastruktur – barrierefreie Zugänge und Beleuchtung verbessert.
Die Ende letzten Jahres fertig gestellte Wohnbebauung Spittelau steht am Anfang dieser Revitalisierungsbemühungen: Auf einem schmalen, länglichen Grundstück zwischen der Uferpromenade des Donaukanals und der U-Bahnlinie 4 steht ein strahlend weißer, expressiv gezackter Neubau. Nach der Sprungschanze Bergisel in Innsbruck der zweite Bau der international renommierten Architektin Zaha Hadid in Österreich. Der dreiteilige Baukörper windet sich wie ein Zick-Zack-Band über ein stillgelegtes, unter Denkmalschutz stehendes Viadukt von Otto Wagner. Erdgeschoßig sind Lokale, darüber Wohnungen, die nach dem Prinzip des Boardinghauses – als temporär vermietete Wohnungen – genutzt werden. Um den Gastbetrieb durch den hier vorbeiführenden Radweg Treppelweg nicht zu stören, wurde dieser unterhalb der Donaukanalterrassen verschwenkt. Ein Projekt, das von dem ersten Entwurf bis zur Realisierung über zehn Jahre in Anspruch nahm. Die Folgeprojekte entlang des Kanals bis hinauf zur Urania dürften aber nun schneller umgesetzt werden. Hierzu zählen eine schwimmende Kulturplattform, ein Golfplatz, die Revitalisierung des Otto Wagner Schützenhauses, ein Wellness- und ein Badeschiff sowie die Anlegestation des Schnellbootes Wien – Bratislava. „Es fehlt ein Gesamtbild, eine Vision des Donaukanals“, kritisiert der Wiener Architekt Boris Podrecca die Donaukanalpläne der Stadt. Bernhard Engleder, Donaukanalkoordinator der Stadt Wien kontert: „Vision kann man das nicht mehr nennen. Das ist eine nicht mehr so ferne Realität.“ Schon diesen Sommer werden das Badeschiff und der Schiffverkehr Wien-Bratislava in Betrieb genommen. Podrecca hat nicht nur den Wettbewerb für das Wellness-Schiff gewonnen, sondern auch für die Umgestaltung des Donaukanals. „Ich habe diese Prämissen aufgestellt und angeblich gelten, die auch noch“, sagt Podrecca. Trotzdem befürchtet er, dass das Ganze in kleine Teile zerfällt. „Das könnte ein Juwel, das Collier der Stadt sein. Es scheitert nur an den immer kleiner werdenden Visionen.“

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