20/06/2004
20/06/2004

Auf den Punkt gekommen
Ein Einwurf – von Wolfgang Freitag

Irgendwann in den Siebzigern ist er in mein (gerade noch) gymnasiales Leben getreten. Fett, rund, ultimativ. Der Punkt. Nicht dass ich ihm davor nicht begegnet wäre, dort, wo er meiner schlichten Schülerweisheit nach zu stehen hatte, an Satzenden vorzüglicherweise. Aber jetzt war er plötzlich auch an einem Ort, wo er nach keiner Lehrervorschrift nötig schien. Volkswagen führte das Nachfolgemodell des One-and-only-Sellers Käfer ein, der hieß in Plakat- und sonstigen Kampagnen nicht einfach „Golf“ oder meinethalben „Der Golf“, er wurde „Der Golf Punkt“ genannt. Also: „Der Golf.“ Sonst nicht gerade automobiler Euphorie verdächtig, schlug mich die einschlägige Werbung sofort in ihren Bann. Der Golf Punkt, das signalisierte, dass man’s hier nicht mit irgendeinem Auto zu tun hatte, sondern mit dem Auto. Und Schluss. Ein kleiner Tupfer Druckerfarbe machte aus noch einem Mittelklassewagen, der sich vordergründig in bemerkenswert wenig von den anderen Neuheiten der jeweiligen Saisonen unterschied (die auffallende Skepsis der sonst so leicht in Emphase zu versetzenden motorjournalistischen Zeitgenossen ausgenommen), das automobile A und O seiner Tage.
Der Golf. Punkt. Mehr braucht’s nicht.

Seit dieser Zeit verfolge ich die weitläufige Karriere des Punctum absolutum mit reger Aufmerksamkeit. Und der hat’s ja mittlerweile von der wohlfeilen Sprache der Werbewirtschaft bis in die weniger merkantil eingeschätzten Sphären der Literatur geschafft. „Jessica, 30.“ hat Marlene Streeruwitz beispielsweise ihr jüngstes Prosawerk betitelt. Und in Unkenntnis seines Inhalts weiß man nicht recht: Hat man’s hier mit einem Punkt der Affirmation zu tun oder mit einem der Endgültigkeit?

Ganz anders liegen die Dinge, wo es um die neuerdings grassierende Verpunktung der hiesigen Architektenschaft geht. Wie Masern breiten sie sich aus, epidemisch klemmen sie sich zwischen Namen von Gruppen und Teams, und ein Auslaufen der Seuche ist vorerst nicht abzusehen. Wenn Frau Meier mit Herrn Müller ein Architekturbüro eröffnet, dann hört es also nicht mehr auf ein schlichtes und eingängiges „Meier & Müller“ oder (einfach, genial - und eben deshalb nicht übertragbar!) auf „Meier oder Müller“, da muss schon ein „meier.müller.architekten“ her. Schließlich: Wir leben im Zeitalter von E-Mail und Internet, da gehören die abstands- und anstandslos zwischen Worte und Namensteile sich drängenden Interpunktionen zum comme il faut. Woran sich schon der gravierende Unterschied zum Golf-Punkt von ehedem ablesen lässt: Hier geht es nicht mehr um Betonung, um Verstärkung, um Alleinstellung des vor dem Punkt Geschriebenen, hier haben wir’s mit formalem Schnickschnack zu tun, der nicht mehr und nicht weniger als Selbstverständliches beweist: He, auch wir sind Kinder der WWWPunkt-Generation! Toll. Dass im Übrigen die entsprechenden Namen mit den tatsächlichen Internetadressen der jeweiligen Büros in aller Regel rein gar nichts zu tun haben, verwundert nicht weiter. Form follows function? Ach wo.

Mittlerweile ist es längst nicht mehr der Punkt allein, der all die Franziskas und Ottos, Unterhubers und Oberbauers auseinander spreizt. Der große Katalog sogenannter „Sonderzeichen“ hält ja auch noch einiges bereit, was manchen zum Aufmotzen allzu bieder scheinender Eigennamen taugt. Um nur die Beliebtesten zu nennen: den Unterstrich, „_“, das Grad-Kringerl, „°“, das hochgestellte Sternderl, „*“, oder darf’s vielleicht ein senkrechtes Stricherl, „|“, sein? Schon möglich, dass das die nächsten beiden Jahre unheimlich hip wirkt. Und dann?

Halten wir fest: Kein Architekt ist wegen seines Namens oder wegen des Namens seines Büros in die Geschichte eingegangen. Und wer glaubt, sich mit optisch-formalen Mätzchen in der Namensgebung ein gewisses Maß an medialer Auffälligkeit zu sichern, wird bald feststellen, dass dort, wo alle mit denselben oberflächlichen Mitteln aufzufallen suchen, der Einzelne in einem Meer allseitiger Auffälligkeiten untergeht. Was einem auf diesem Wege schon vom ersten Tag an freilich gewiss ist: der inbrünstige Unwille jener Redakteure, die all die Kringerln, Sternderln, Stricherln, so überhaupt im Redaktionssystem vorrätig, in ihre Architekturtexte fügen müssen. Und nicht selten alsbald ein redaktionelles Achselzucken oder gar Draufpfeifen. Womit ich, was die schrecklichen Qualen meiner eigenen Profession angeht, für diesmal auf den Punkt gekommen wäre.

Wolfgang Freitag, Wiener, Jahrgang 1958, ist Redakteur des „Spectrum“ der „Presse“.

Verfasser/in:
ausgewählt von Karin Tschavgova
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