11/03/2007
11/03/2007

sonnTAG 167

Die Kulturforscherin Petra Reinhart will Demokratie authentisch und ohne Maulkorb leben dürfen.

Wolfgang Wagner von der Bürgerinitiative „Lebendiger Stadtpark“ befürchtet einen möglichen Blueprint für die Zukunft des Grazer Alleenbestandes.

Montclair Allee im Grazer Stadtpark: Laut einem Gutachten hätte der Großteil der Bäume bei fachgerechter Pflege noch 20 – 25 Jahre stehen können.

Gewachsene Alleen wurden zu "ordentlichen" Minialleen umgewandelt. Fotos: gk

"Die Frau mit dem Pflanzverbot" - von Gerlinde Knaus

Die GrazerInnen lieben ihre Bäume und Grünflächen. Sie wollen keinen Kahlschlag im Stadtpark. Der Protest verlief bislang lautstark und mitunter auch erstaunlich kreativ.
Dennoch: Mit dem Abholzen wird im gesamten Stadtgebiet unbeirrt fortgefahren. Politik heißt hier auch, dabei etwas gegen den Willen der BürgerInnen durchzusetzen.

Die Kreuzgasse befindet sich am Fuße des Rosenhains, einem der schönsten und ruhigsten Plätze der steirischen Stadt Graz. Der Weg zur „Kulturforscherin“ und Baumschützerin Petra Reinhart führt an der Privatklinik der Kreuzschwestern, an noblen Villen und schmucken Vorgärten vorbei. Fast am Ende der Straße angelangt, erreicht man schließlich die besagte Adresse. Die Tiefparterrewohnung mit Grünanteil erinnert eher an ein Bauernhaus als an eine Stadtwohnung. Ein Holzofen sorgt für behagliche Wärme, eine Tür führt in den Garten hinaus. Das, was sofort auffällt, ist ein kleines Bäumchen vor dem Fenster. Eine Trauerweide, wie Petra Reinhart selbst sagt, mit einer erstaunlichen Geschichte. Es handelte sich dabei um jenes Bäumchen mit dem Namen „Belili, das sie vor zwei Jahren zu Ehren von Susanne Wenger im Grazer Rößmühlpark rituell gepflanzt hat.

Pflanzen verboten
Mit erheblichem Rechercheaufwand habe sie das Bäumchen, das ein Jahr später ausgegraben und auf den Müll geworfen wurde, in einem erbärmlichen Zustand auf einem Anwesen der Grazer Wirtschaftsbetriebe gefunden und es quasi in letzter Minute gerettet. „Bäume sind gleich berechtigte Lebewesen!", sagt die Aktivistin, die eine Menge solcher Geschichten auf Lager hat. Die skurrilste Story: Sie stand wegen Beamtenbeleidigung vor Gericht, weil sie gegen die Baumfällungen im Stadtpark per E-Mail an mehr als 200 Adressaten protestiert hat. Dabei soll sie vier Beamte aus dem Grünraumamt und der Naturschutzbehörde durch Wortspiele mit deren Namen verspottet haben. Sie beteuerte vor Gericht, dass es ihr sicherlich nicht um private Angriffe gehe, sondern vielmehr um das Recht, Demokratie authentisch und ohne Maulkorb leben zu dürfen. Daraufhin wurde der Prozess eingestellt. Seither habe sie in der Stadt Graz „Pflanzverbot“ im Rahmen von rituellen „Kultur-Aktionen“ im öffentlichen Raum. Konkret bedeutete dies, das vorläufige Aus des bereits vom Kulturamt der Stadt Graz subventionierten Projektes „Spira“ mit 17 Baum-Therapie-Stationen in den Grazer Bezirken. Inzwischen sieht sie die Sache gelassen und sie spricht bereits voller Begeisterung davon, dass sie gerade dabei ist, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Naturschutz und dem Naturschutzbund den Rahmen für das nächste Projekt abzustecken. Reinhart will auf den Rosenhain am Stadtrand ein Projekt wieder aufnehmen, das bereits 2003 als „Hain der Sieben Heiligen Bäume“ und 2004 als „Avalon - Apfelhain mit acht Bäumen“ initiiert wurde. „Wir wollen Orte schaffen, die es erlauben, ungestört multidimensional mit der Natur in Kontakt zu kommen.“

Acht Männer und keine einzige Frau
Petra Reinhart sieht in einem „lebendigen kommunikativen Austausch mit der Natur“ ein „weibliches Konzept der Baumpflege. Auffällig war, ihrer Meinung nach, dass vor einem Jahr beim Stadtparkgipfel der Stadt Graz acht Männer am Podium saßen und keine einzige Frau. Zeichneten sich hier ein typisches männliches und typisches weibliches Handlungs- und Kommunikationsmuster und bestimmte gesellschaftliche Vorstellungen und Erwartungen ab? Stereotype, wie typisch rational und typisch emotional? Allein die Zahlen und Bilder sprechen für sich. Mehr als die Hälfte der Personen in der Bürgerinitiative sind weiblich. Die Aktivistinnen verhielten sich – ohne die sachliche Argumentation zu vernachlässigen - auffallend emotional, während sich die zuständigen PolitikerInnen und ausführenden Organe den Vorwurf gefallen lassen mussten, über die Anliegen der Bevölkerung „undemokratisch über die Anliegen der Bevölkerung d’rüberzufahren“. Zum Beispiel gab es eine junge Frau, welche kurz vor den Schlägerungen die Hände vor der inzwischen weggeputzten Allee ausbreitet. Bei Betrachtung der letzten Bilder der Allee: „Alles wirkt noch sehr friedlich. Kaum zu glauben, dass die Allee wenige Tage danach ‚verschwunden’ ist, sagt Wolfgang Wagner von der Bürgerinitiative Lebendiger Stadtpark. „Es gibt ausreichend Bildmaterial, um aufzuzeigen, was hier zerstört wurde.“

Fast 200 Bäume wurden schon geschlägert
Ende Jänner wurde der nächste Abschnitt der Montclair-Allee geschlägert. Innerhalb kürzester Zeit waren alle Bäume weg geputzt, erzählten PassantInnen. Mit den Baumfällungen im Stadtpark wurden unter großem Protest der StadtbewohnerInnen im Vorjahr begonnen. Damals schlägerte man aus den historischen Kastanien-Alleen 86 Bäume. Von den Stadträten Rüsch (ÖVP) und Monogioudis(KPÖ) wird als Grund der schlechte Zustand und die fragliche Verkehrssicherheit der Bäume angeführt. „Damit wurde das Gutachten des Sachverständigen Kost, das vom Umweltreferenten der Stadt Graz in Auftrag gegeben wurde, völlig ignoriert“, so Wagner. Dieses Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass diese Bäume bei fachgerechter Pflege mindestens 20-25 Jahre noch verkehrssicher stehen. „Das Argument der fraglichen Verkehrssicherheit der Bäume hat sich bereits bei der ersten Fällungswelle vor einem Jahr ad absurdum geführt, da die Zuständigen damals bereits zugeben mussten, dass mehr als ein Drittel der Bäume absolut gesund waren,“ berichtet Eva Klepp Afritsch von der Bürgerinitiative „Lebendiger Stadtpark“. Kurz die Vorgeschichte: Die Alleen sind aufgrund von Altersschäden, massiven Austrieben durch Kronenkappungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren und daraus resultierende Stammfäulnis sanierungsbedürftig. Als Argument für die Fällungen wurde auch der Denkmalschutzaspekt vorgebracht. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die Erhaltung des einheitlichen Charakters der Alleen und deshalb sollten alle nachgepflanzten Bäume gleich groß sein. Alternative Sanierungskonzepte, wie jenes von Baumexperten Franz Wolkinger, verschwanden wohl vorläufig in der Schublade.

Blueprint für die Zukunft?
Was passiert, wenn Baumpflege zum Sachzwang wird, bei dem Sozial- und Bedürfnisorientierung der Menschen außer Acht gelassen werden? Beispiele dafür gibt es im gesamten Stadtgebiet: Bei den geplanten Fällungen beim Altersheim Rosenhain hat sich eine alte Dame besonders eingesetzt. Die Fällungen wurden abgesagt, aber genau die Bäume vor dem Fenster der alten Dame als einzige gefällt. „Habe lange mit Eva Klepp darüber und über das "Typische" an diesem Vorgehen gesprochen - ein Element, das an gezielte Brutalität denken lässt. Wie dem auch sei, die alte Frau war untröstlich und hat viel geweint, “ erzählt Wolfgang Wagner von der Bürgerinitiative Lebendiger Stadtpark. Er befürchtet in diesem „technokratischen Vorgehen einen neuen Ausdruck des Militarismus. „Wenn wir auf die ‚Bäumchenallee’ blicken, sehen wir einen möglichen Blueprint für die Zukunft des Grazer Alleebestands.“ Deshalb müsse es den GrazerInnen unbedingt gelingen, dieses Modell als Fehlentwicklung abzulehnen. Damit habe er nichts gegen die Neuanlage von Alleen an alleefreien Straßenzügen. „Zu diskutieren wäre, ob die militärisch anmutende Pflanzungsform, wie sie in der Montclair Allee vorexerziert wird, an solchen Plätzen angemessen ist.“ Die tatsächliche und konkrete Gefahr sieht Wagner aber in der Vernichtung von weiteren gewachsenen Alleen (z.B. Jahnallee/nördliche Gagernallee), um sie zu "ordentlichen" Minialleen umzuwandeln.

Geht der Stadt Graz bald die Luft zum Atmen aus?
Geht der Stadt Graz bald die Luft zum Atmen aus? Wolfgang Wagner von der Bürgerinitiative zeigt sich besorgt, denn mit den Baumschlägerungen wird im ganzen Stadtgebiet unbeirrt fortfahren, während sich die Feinstaubproblematik weiter verschärft. Fragt sich nur, wie lange sich die GrazerInnen diese Vorgangsweise noch gefallen lassen. Die Baumfällungen im Stadtgebiet und das Verschwinden des Grünraumes durch die Verbauung der Innenhöfe sind wohl auch als typische und folgenschwere Beispiele für die Entfremdung der Menschen zur Natur zu sehen.
KURZBIOGRAFIE DER AUTORIN:
Mag.a Gerlinde Knaus ist freiberufliche Journalistin und verfasst Beiträge für verschiedene Zeitschriften in den Bereichen Gesellschaft, Politik, Bildung und auch über Lokales. Sie schrieb für den Zeitschriftenverlag Korso, den Falter Steiermark und Wien. Derzeit arbeitet die Journalistin für den Industriemagazin-Verlag.
KONTAKT: gerlinde.knaus@factorynet.at

Verfasser/in:
Gerlinde Knaus
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