22/04/2007
22/04/2007

sonnTAG 172

Peter Hellweger (re) im Gespräch mit Volker Giencke.

Im Jahr 1999 plante der Grazer Architekt Peter Hellweger das neue Ortszentrum in Kaindorf an der Sulm, mit dessen Umsetzung er auch betraut wurde.

Hellwegers handschriftlicher Text zum Werk ist auch in der Randspalte (re) abgebildet. Die Seiten 1 - 3 können durch Anklicken vergrößert und gelesen werden. Bildmaterial zum Projekt finden Sie unter "best-practice - Ortserneuerung in der Steiermark" (folgen Sie dem Link am Ende dieser Seite).

"ORTSZENTRUM KAINDORF AN DER SULM
(Planung 1999 – Fertigstellung 2000)"

3 Versammlungsorte liegen in einem neuen Park mitten in der Marktgemeinde, die kein Zentrum hatte, nichts Historisches, nichts Gewachsenes (Bürgermeister bitte weghören). Die Orte, der Park, das Gartenparterre mit Springbrunnen und Becken vor dem Gemeindehaus sollen das leisten. Sie tun es. Die Orte verdichten, wecken Neugierde und Spannung – die Stätte selbst ohne Aufgeregtheit leistest fast …… nichts. Ruhe, die von Rasenstücken, Bäumen und nachgiebigen (sich krümmenden) Gartenmauern kommt, von Sitzbänken mal hier und da im Angenehmen „dösend“ – Schönen entgegenschläfernd. Wo bleibt der Hammer? Kein Wechselbad von Gefühlen und Schauern? Könnte sein; jedoch: dass Orte sind, wird geschuldet. Orte bilden ist riskant. Zuerst zum Geschuldet:

1) einer Christenkapelle: Ort der Versammlung im Geiste von Leben und Tod: „Der Tod bringt uns nahe zu Gott. Das wahre Leben, das wir erhoffen, kommt.“ Hoffen mit Trost und Bitten. Wo ein Altar, da ein Priester. Wir sprechen nach vorne, mit unserem Gesicht geben wir „Richtung“ aber auch er. Menschliche Gerichtetheit, in Wahrheit müssten wir allhin sprechen. Hier ein Kompromiss: Hinter uns, hinterm Altar hat das Gespräch kein Ende. Das große Glas witterungsbedingt. Und: das „Draußen“ wird getilgt. Aber noch ist es nicht gleich dem „Innen“. – „Er“ predigte am Wasser, in der Wüste. „Er“ brauchte keine räumlichen Spannungskurven. Kirchen brauchen wir Armen im Geiste.

2) einem Ort des Gedenkens der Toten und Vermissten in den beiden Weltkriegen. Versammlung im Bewusstsein jenen zu schulden, die wir überlebt haben, die ein Menschenverhängnis in den Tod getrieben hat. Von den Toten spricht es uns an: „’Wir lassen euch nicht. Unser Trost: Unser Nachleben fällt mit euch.“ Wir hören es und sprechen vor ihnen.

3) einem Festplatz: Versammeln nur, weil man es gerne um sich hat, weil man gerne um andere ist. „Fest“ ist nur die Ankündigung, was in uns schon ohne zum Fest will. Guter Gemeindewunsch.

Vom Risiko, solche Orte zu bauen: Es ist das Risiko, Symbole zu bauen. Es drängt zu negativer Meinung: Kein Geschrei, kein hartes Pathos, autonome Kunst? Konstruktionswunder? Symbole vertreten was. Bedeuten was. Sind vielfach mit dem, was sie vertreten, verschlungen. Es gibt bei guten Werken immer noch ein Ab-/Hineinlesen, ein Lesen ganz nach Auffassungsgabe, Wissen und Witz.

Zu 1)
Erlauben Sie: dagegen ist die Kapelle ein Simpel. Aber ein raffinierter. Ein gutes Dach, gute Wände bedeuten unter Schirm und Schutz stehen (diese gegen Wetter, Dämonen, Feinde…das kommt von früher her. Es wirkt noch nach: Obwohl und schon sehr alt: die letztmögliche Auflösung der Wand – die Heiligung des Lichts ist in der Moderne verweltlicht, heißt: „Lichtarchitektur“. Corbusiers Ronchamp will wieder zurück – will dicke Wände (täuscht er vor durch sehr schräge Leibungsschnitte und wahre Lichtschießscharten nach innen: Scheinwerferlicht tastet in Höhle, auf Bühne. Eigenartig: Das Licht, das Heil, ist draußen und will fast gewaltsam herein – zu den Eingeschlossenen. Versteckt wie Adam nach dem Sündenfall? Oder wie 1918: Sturmangriff auf Schützengräben?).
Aber Dach und Wand kommen im Simpel nicht zusammen. Doch keine „feste Burg“? Ja, kein Abschließen, Ausschließen, Absondern. ‚Die Architektur suchend angelegt – nicht als Endende. Schon die Lage des Bauwerks muss da mit. Aber aus der Gleichung „Das Eine ist das Viele, das Viele ist das Eine“ ist noch die Wurzel zu ziehen. Das Unsichtbare sichtbar machen (Maler Margritte war hart dran - die Amerikaner zu sehr alttestamentarisch …., wenn sie sagen: die Malerei stellt nicht etwas dar), es ist durch Sichtbares verstellt. Glauben Sie mir, Schwerarbeit, und plötzlich ist es da – nur für kurz. Solche Kunstwerke versagen es sich, herumzusinnen. Für die Architektur sind solche Sätze nicht ohne Probe, ohne Beweis. Sie sind gegen R. Schwarz, den Kirchenbauer (Prof. Dr.-Ing. Rudolf Schwarz, Architekt in Frankfurt a. M. und Köln, 1914-60; Anm. d. Red.). Unser Glaube hat ein Konstituens gewonnen – den Unglauben, unser Unglaube – den Glauben. Da spiegelt sich was (Fuzzy –Logik?).

Zu 2)
Ordnung von Flächen, Raum, Menschengruppe. Ordnung steht für Würde. In Würde eine Näherung vollziehen. Am Ende war der Name. Letztes, einziges, das wir haben. Alles sonst bereits vergessen. Diese Toten bleiben jung. Hingegen wir? Das erhöht sie und nährt ein Sehnen. Ich dachte mir Abfolge der Näherung aus: Prozessionsweg, Versammlungshof (wo die Masse der Überlebenden der Masse der Toten gegenübertritt und ihr Anspruch auf unsere Anrufung trifft) und die Namenstafeln, das Innerste (wo wir Kränze opfern, Licht spenden). Wie am altgriechischen Altar. Wovon was auf die Architektur überging.

Zu 3)
Nur ein Geviert in der Wiese, geziegelt, unter freiem Himmel. Und eine Budenstraße als Zuweg zum Anheizen. Wenn die Musi spielt. Zum Festlichen muss das Herum als Rahmung immer schon bereit sein. Also keine Zutaten. Wem´s zuviel wird mit dem Anheizen, dem Tanz und Spiel, kann auf die Empore gehen (siehe unter Park) und Überschau halten.

Der Park
Im Gras: als Blumen gibt´s nur wilden Mohn und Pilze, und worin Bäume stehen, schwingen, schlängeln und umkreisen Wege. Wissbegierig bleibt man mal bei Bäumen stehen und liest, lateinisch klingt’s wissenschaftlicher und heißt dann „Arboretum“ - bei unseren Gärtnern - „Mailieschen“ ist mir lieber. Ruckerlberg, ah! Das lange, geschweifte Ziegelband vor der Abmauerung zum Wirtschaftshof im Westen (wenn nur diese unsäglichen Blechtonnendächer nicht wären; aufgestelzt, aufgerichtet, bereit, Mist, Unrat, Grasschnitt zu verschlingen. Der Gemeindeverwaltung macht’s keinen Kummer. Denn der Architekt muss leiden, irgendwo). macht eine Empore. Ein sehr eleganter, geschuppter Panzer - vom Glücksdrachen - taucht aus der Tiefe. Der Gehstreifen erhöht und erhöhend und unter einer Weinlaube (Uhudler) macht sich. Königsweg. Wo sich die Kapelle dem Mauerwurm gegenübertritt, fließt es für die Verdurstenden aus einem Wandbrunnen. Schließlich hat der Raum Leibnitz die meisten Sonnentage.

Das Gartenparterre vorm Amtshaus:
Ja, heiß ist es hier schon. Aber: Wasser strömt und plätschert. Man sitzt um die Becken herum, lässt alles hängen. Dagegen gibt sich das Pflanzenparterre sehr diszipliniert. Richtet auf. Die Gärten der Alhambra zu Besuch in Kaindorf. Denkvorschlag

Und das Baumaterial ist keineswegs beliebig:
Es ist eine Ziegelgegend, Steinplatten kommen aus Indien, die Brocken aus einem Steinbruch der Sobother Gegend.

Bei 1) und 2):
Naturstein und Beton – möglichst monolithisch wirkend, heißt unzerlegbar. Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Gesundheit, Wahrheit, zeitlos. Es wird ernst. Der Unglaube ruht nicht, flüstert: Muss es?

Bei 3) und 4)
Rote Klinkerziegel. Was Eines ist eine Vielheit von Einheiten, die zu unendlich vielen Einen zusammengesetzt werden können. Nach dem Kriege: die Trümmerziegel-Gewinnung z.B.
Zeitweiligkeit, Wandel, Entbundenheit, Spiel, das Jetzt. Es wird menschliche Komödie. Wer flüstert da: Muss es?
PETER HELLWEGER (* 1941 in Leoben) studierte Architektur an der Technischen Universität Graz. Mitarbeit in Büros in München und Wien. 1982-92 war er Assistent bei Günther Domenig am Institut für Gebäudelehre der TU Graz. Hellweger lebt und arbeitet in Graz.

ZUR INFORMATION:
„Ortserneuerung Steiermark 1986 – 2006 / best-practice / Die besten Projekte der letzten 20 Jahre“ (zu finden unter http://www.raumplanung.steiermark.at; siehe LINK am Ende dieser Seite) bietet mit 36 ausgewählten Projekten von Admont bis Wildon einen Überblick über eine positive Auseinandersetzung mit dem Thema Ortserneuerung. Darunter findet sich auch das Ortszentrum Kaindorf an der Sulm von Arch. DI Peter Hellweger.

Verfasser/in:
Von Peter Hellweger
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