24/06/2007
24/06/2007

sonnTAG 180

Architekt DI Bernhard Hafner lebt und arbeitet in Graz.

Abb. 1: Bernhard Hafner, Wettbewerb STEWEAG 1996, Draufsicht

"Urbanismus Wachstum, Flexibilität Demokratie: Mein Gott, was soll das?"

Bernhard Hafner zum Vortrag von Lucius Burckhardt, Teil 1.

Auch in diesem Text - und das zeugt von der Breite der Diskussion über Architektur im Kontext der Stadt in den 60iger Jahren – wird weniger über Baumassen, Kompostion oder einander (mangelhaft) ergänzende Verkehrssysteme gesprochen, sondern über Architektur und Stadt unter dem Einfluß der Demokratie als Wirkungsfeld des Einzelnen und seinen Gewinn an Wahlfreiheit. Damit über ein Thema, mit dem man dem in der Architektur zu begegnen hoffte: Variabilität und Flexibilität. Sie waren große Themen zwischen 1955 und 1970. Man hoffte durch sie dem geänderten Zeitrhythmus und der gesteigerten Wahlfreiheit baulich begegnen zu können. Während sich die Variabilität hauptsächlich auf städtebauliche Architektur bezog, war die Flexibilität ein Thema der Objekt-/Individualarchitektur: Konrad Wachsmann leitete ab 1956 die Salzburger Sommerakademie, an der Architekten wie Peichl, Hollein, Spalt, Kurrent, Uhl und Gsteu teilnahmen. Ich selbst tat es 1962 unter Roland Rainer und wurde 1966 von Bakema zu einer Präsentation eingeladen, als Gerngroß, Frey, Murauer und Prix teilnahmen.
Wenn wir die Standortunabhängigkeit der Stadt von der Nähe von Produktion, der Erzeugung von Strom oder Gas und die Regionen übergreifenden Kommunikationsmöglichkeiten mittels Telefon, Auto, Autobahnen und Flugzeug von 1960 mit heute vergleichen, so vergleichen wir eine regionale Erweiterung des städtischen Feldes mit der Globalisierung. Dazu kommt der gesteigerte Wohlstand gegenüber einer Zeit, in der immer noch Wiederaufbau betrieben wurde. „Der Mensch ist durch die ihm gebotenen Freiheiten noch nicht überfordert“, sagt Burckhardt. Er ist es auch heute trotz der enorm verbesserten Wahlfreiheit durch Mobiltelefonie, Internet samt Herunterladen von Audios und Videos und des Selbstbewusstseins eines alles in Anspruch nehmenden Konsumenten nicht. An Burckhardts Einschätzung hat sich nichts geändert. Der Mensch genießt und Geiz ist geil, so, wie für Banken in jeder Beziehung die Menschen zählen.

Sehen wir uns die Folgen für die Gesellschaft an. „Die Tatsache, dass jeder Städter auf den drei Gebieten des Arbeitens, Wohnens und des Freizeitverkehrs sein Tun optimalisiert …, maximalisiert auch den Gesamtnutzen. Mit anderen Worten: die moderne Großstadt ist ein rentables Gefüge“, und „bedenklich ist diese Art der freien Nutzung der Stadt nur für den Planer. Der hohe Grad an individueller Wahlfreiheit droht seine Prognose zu erschüttern“, heißt es da. Tut es das nur für den Planer?

Konsequent weitergedacht hätte man vorausschauend sagen können, den Planer, der der Stadt Gestalt gibt, würde es nicht mehr geben. Seine Rolle werde auf das Verwalten, die Anpassung des Spiels wirtschaftlicher Interessen der Bewohner, Unternehmen und Konzerne an örtliche Gegebenheiten beschränkt sein. Er würde den Initiativen anderer hinterherhinken. Er arbeitet mit beschränkten Mitteln, sowohl was seine Ausbildung als auch das ihm von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellte Budget betrifft. Auch wenn das anders wäre: könnte die Stadt tatsächlich (noch) ein rentables Gefüge sein - ein soziales und ökonomisch rentables, versteht sich, wie Burckhardt meint?

Im Ist-Zustand aber ist sie es nicht. Die Situation ist nicht nur für den Planer bedenklich, sondern auch für die Politik. Die Stadt funktioniert durch Beharrungsvermögen noch einigermaßen, weil so viel Energie in ihre Entstehung investiert wurde und weil so viele Ressourcen an sie gebunden sind. Sie funktioniert in Teilbereichen nicht besser als vor 200 Jahren, nur schneller, beispielsweise konnte mit dem Fuhrwerk die (kleinere) Stadt in der gleichen Zeit durchquert werden wie heute (die gewachsene) mit dem Lastwagen. Die Wahlfreiheit – sagen wir ruhig: die Demokratie – ist eine Herausforderung für das Management der Stadt. Darum geht es eigentlich: Die Stadt ist in gewisser Hinsicht eine Art Konzern und müsste administrativ als solcher nach sozialen, ökonomischen und räumlichen Gesichtspunkten so geführt werden, dass die wirtschaftliche Belastung für den Bürger dem Ergebnis entspricht. Das ist nicht der Fall. Phrasendrescher oder Frontmen werden Bürgermeister, Mitläufer, Gemeinderäte und die dritte Garnitur von Hochschulabgängern werden öffentlich Bedienstete. Wenn Burckhardt 1964 von der Stadt als einem rentablen Gefüge spricht, verstellt er sich die Sicht auf eine absehbare Zukunft.

Die Demokratie macht der Stadt (und dem Staat) Schwierigkeiten. Zum einen läuft die Optimierung der „Bedürfnisbefriedigung des Bewohners“ nicht konfliktlos ab. Survival of the fittest, der erfolgreiche Einsatz von Ellenbogen und Seilschaft gilt auch hier. Zum anderen ist die Stadt auch als System nicht nur die Überlagerung der Verhaltensmuster und Wirkungsbereiche der Bewohner und Unternehmen. Sie ist nicht nur Feld des Beobachtens und Reagierens, sie bedarf vorausschauenden Handelns, wofür sie eine Art von Managementstruktur hat, die von den Bürgern bezahlt wird. Das Management aber agiert nicht viel anders als zuvor auch, so aus dem Bauch heraus.

Wissenschaftliche Einsicht in das ökonomische Funktionieren - Standorttheorie, Erreichbarkeit, Transport und soziales Verhalten - sind „draußen vor“; dafür ist kein Geld vorhanden, da die Kosten eines überforderten Personals zu decken sind. Alles war vor der Industrialisierung weniger problematisch, wie die großartigen Städte dieser Zeit zeigen: jene, die auch heute noch „die Stadt“ sind, die Stadt in der Stadt. Alle Systeme: Beziehungen und Konstrukte, die mit Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Versorgung zusammenhängen, waren überschaubar und wesentlich weniger komplex. Die Segnungen der Demokratie mit ihrer peripheren Beschlussfassung und Dezentralisation bedeuten die Demontage planerischen Handels für alle, nicht nur für Teilinteressen. Dafür ist Gestaltungswille der Gesellschaft notwendig, Einsicht und Geld. Es bedeutet nicht das Aneinander- oder Nebeneinanderreihen von Bruchstücken, deren jedes ein Spektrum des Ganzen befriedigt.

Das bedeutet auch, wie Burckhardt schreibt, das Ende der Stadt als Komposition. Wie nannte Woods den Städtebau der Zeit? “Flower arrangement as practiced by the Japanese”.
Hier gilt die Einschränkung, dass – abgesehen von den Entwürfen für Chandigarh und Brasilia - zwar das Ende der Stadt als Komposition gekommen ist, aber die „städtebauliche Seite des Problems“ auch bedauerlicherweise schon längst nicht mehr die Stadt selbst betrifft, sie als Ganzes nämlich. Welcher Architekt oder sich Stadtplaner nennender Dienstleister entwirft, gestaltet schon die Stadt architektonisch? Hier wird ein Kind mit dem Badewasser ausgegossen. Architekten befassen sich vielfach im Rahmen von städtebaulichen oder Wohnbauwettbewerben mit Teilen der Stadt, wenn auch nicht mit dem Ganzen. Das ist zwar kein Ersatz, aber es ist etwas. Sie werden auf einem Maßstab abgewickelt, auf dem die Komposition von Baumassen ein geeigneteres Mittel ist als beispielsweise „individuellem Gestaltungswillen“ entspringende Willkür (obwohl beides meist auf das gleiche hinausläuft). Und sie kann sich auf das Begrenzte des Planungsgebietes beschränken. Das andere Mittel, das Woods vorschlug und ich im Laufe meines Lebens in Variationen perfektionierte, das Strukturieren nämlich, setzt immer ein Wollen voraus, über ein begrenztes Planungsgebiet hinauszugehen. Es bedarf großräumigeren Wirkens, da es Verhaltensmuster der Bewohner durch bauliche Maßnahmen berücksichtigt. Die Baumassen von Strukturen sind nicht ästhetische Kompositionen sondern Niederschlag von Verhaltensmustern und Beziehungen. Die Komposition genügt sich selbst, ist sich selbst ruhender Pol auf der Basis anerkannter, ästhetischer Regeln.

Verantwortungsbewusst und qualitätvoll ausgeübt und in Rücksichtnahme auf Nachbarschaft bedacht, so dass auf diese geantwortet wird und diese in Zukunft antworten kann, kann auch mit der Komposition mehr gestaltet werden als die eigentliche Aufgabe vorgibt: eine Komposition mit dem Potential des Teiles einer übergeordneten Komposition. Sie wird wohl weniger geschlossen und einheitlich sein, weniger wie aus einem Guss, als wäre sie selbst als ganzheitliche Komposition gestaltet worden, wird aber mehr Vielfalt, Brüchigkeit und damit Abwechslung haben. Und das kann mehr Wert sein als versuchte Harmonie (in die ohnehin utilitär eingegriffen wird). Sie wird einem strukturalen Entwurf unterlegen sein, aber dafür gibt es ja gar keine Chance in dem geistigen Niemandsland, in das städtebauliche Architektur abgeglitten ist.

Was sich anbietet – aufgepasst, wir sprechen immer noch von Planung als Teilplanung – ist die „strukturale Komposition“, eine Koppelung von Komposition und Struktur. Für mich ergab sich dies ohne direktes Wollen in einem Entwurfsprozess, bei dem ich strukturell begann und mit einer Komposition (auf strukturaler Basis) endete. Es handelte sich um ein Stadtentwicklungsprojekt auf dem STEWEAG Gelände in völlig nichtssagendem, städtebaulich-architektonischem Umfeld, einem Wettbewerb 1996 (Abb.1).

Im allgemeinen ist Städtebau zu einem beziehungslosen Nebeneinander von mehr oder weniger gelungenen Einzelprojekten verkommen. Die Stadt wird durch beziehungslose Koppelung von Teilen nicht gestaltbar. Ein Bildungserlebnis für mich war die Publikation der Bebauung der Region Parisienne um etwa 1961 in L’Architecture d’aujourd’hui. Ich suchte darin auf einer großen Frankreichreise mit Freunden in Meaux in der Nähe von Paris nach der Unité von Le Corbusier. Sie war nicht gebaut worden und wir waren in einem formlosen Gebilde von Vorstadt gestrandet, wie es typisch für die Region war.

Wie verzweifelt die Lage ist – oder handelt es sich nur um eine Resignation in die Hoffnungslosigkeit? – zeigt der Bedeutungswandel des Begriffes Urban Design. Als ich 1966 in die USA ging, um dies zu studieren und zu unterrichten, befasste sich Urban Design mit städtebaulicher Architektur. Heute bedeutet es weitgehend Stadtmöblierung, Bodenbelagsplanung von Plätzen, Bepflanzungen und ganz allgemein „Verschönerungen“ eines baulichen Bestandes. Dies nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Lehre.
> > VORSCHAU 01. Juli 2007:
sonnTAG 181 "Utopien: Mein Gott, was ist das?" - Bernhard Hafner. Zum Vortrag von Lucius Burckhardt, Teil 2.

BERNHARD HAFNER wurde 1940 in Graz geboren. Er studierte an der Technischen Universität Graz und an der Harvard University. Hafner war Professor und Gastprofessor an der University of California, Los Angeles (bis 1974), Cornell University (1974), University of Texas, Arlington (UTA, 1977-79) und am New Jersey Institute of Technology (2000, 2005). Er ist seit 1976 als freischaffender Architekt tätig und betreibt seit 1980 ein Architekturbüro in Graz. Außerdem ist er Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten und theoretischer Texte zur Architektur.

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