26/08/2007
26/08/2007

Forstseekraftwerk

Identität gestrichen

Haus Klützke

Villa Gessenharter

Hotel Carinthia

Haus Baumgartner

In dubio per ars, nicht für Kärnten

Villa Stelzer

Künstlerhaus Klagenfurt

Franz Baumgartner (1876-1946)

Zu verkaufen

sonnTAG 189

Roy Blacks Stele, im Hintergrund die Dorfkirche

Baumgartner baute schließlich doch eine Kirche

Ehrengrab Helene und Franz Baumgartner, die Inschrift nennt zuerst den Architekten

Wörter-Seefahrer III - Landgang

Von Wenzel Mraček

Im Winter ist der See schwarz, die Seeleute sind depressiv oder reisen als Vertreter für Piz Buin nach Lech, St. Anton oder Ischgl. Oder sie geben vor, als Vertreter für Piz Buin zu reisen, während sie in Wirklichkeit als Abwäscher in Lech, St. Anton oder Ischgl beschäftigt sind. Oder sie betreiben in Anstellung als Saisoniers hoteleigene Schneebars und bedienen als zertifizierte Motorenwärter die hoteleigenen Schneefräsen, nutzen ihr für die Seefahrt wichtiges handwerkliches Geschick und montieren Schibindungen in den hoteleigenen Schiverleihen – in Lech, St. Anton oder Ischgl.

„Sie haben einen schönen Beruf“, sagen die meisten Touristen, wenn sie mit mir, im Sommer bei Schönwetter, im Boot über den See fahren. Ich antworte dann mit „Ahoi“ oder „Aye“, wie man es von mir erwartet, während Aufmerksamkeitsinterjektionen dieser Art von den Passagieren selbst besser nicht gebraucht werden sollten. Wir Seefahrer verstehen das als Anmaßung. „Und im Winter sind Sie wohl Schilehrer?“ Meine Antwort wird im Allgemeinen vom Motorgeräusch übertönt oder klingt in Modulation mit diesem wie „Gunsthysteriker“, ist aber im Übrigen nicht von Belang.

Damit sich auf dem See eine kompakte Eisdecke bildet, heißt es, muss es noch vor Weihnachten stark schneien. Man weiß also zu Weihnachten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu sagen, ob der See bis Mitte Jänner zufrieren wird. Gesetzt den Fall, werden die winters geschlossenen Tourismusbüros wieder eingeheizt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden aus Lech, St. Anton oder Ischgl zurückbeordert und man setzt sich flugs mit Reisebüros in Verbindung, die wiederum Buchungen mit holländischen Eisläuferinnen und Eisläufern abschließen, worauf die Dorfhoteliers kurzfristig Personal aus ihren weitverzweigten Familien rekrutieren, ihre Hotels behelfsmäßig mit Gaskanonen beheizen und für die nicht planmäßige und improvisierte Wintersaison eröffnen. Den zuhause verbliebenen Seefahrern kommt die Eiseskälte zupass. Von ihren Depressionen befreit eröffnen sie mit den aus Lech, St. Anton oder Ischgl zurückgekehrten Saisoniers Eisbars auf dem See und schenken an die Eisläuferinnnen und Eisläufer aus Holland Glühwein, Schnaps, Bier und picksüßes Spezi aus der Limonadenfabrik Pippan aus.

In der Dorfchronik ist unter dem Jahr 1932 vermerkt: „Johann Wrodnik jun. hatte im Winter unter eigener Lebensgefahr den beim Eislaufen im See eingebrochenen Prof. Franz Baumgartner vom Tod durch Ertrinken gerettet.“ Baumgartner stand im 57. Lebensjahr und hatte eine nachgerade phänomenal zu nennende Karriere in der Provinz hingelegt. 1876 in Wien geboren, studierte er an der Akademie der bildenden Künste bei Viktor Luntz Architektur, der neben der damals fortschrittlichen Wagner-Schule noch ganz dem Historismus verhaftet war. Neben seinem Studium praktizierte Baumgartner bei den Architekten Fellner und Helmer um nach sechs Semestern, nämlich 1901, von Luntz das wenig erbauende Austrittszeugnis zu erhalten:
„Derselbe hat nach mehreren Studien über romanische und gothische Formen, sowie Auftragen einer alten Kirche nach Maßaufnahmen ein Theater mit gothischem Detail zu entwerfen versucht und das Projekt für eine Dorfkirche nebst Pfarr- und Schulhaus ausgeführt, dessen Erfolg ein hinlänglicher zu nennen ist.“
Aus heutiger Sicht sollte dieses Zeugnis dem Architekten jedenfalls nicht zum Nachteil gereichen und gerade am Beispiel einer Dorfkirche war ihm später ein Schaustück gelungen, das hier in der Provinz – wie auch andernorts – als bisher unbekanntes (!) beschrieben wird und also erst nach Baumgartner zum gängigen Prinzip erhoben worden sein soll: Wie erhält man einen Bauauftrag, obwohl man in der Entscheidung um den Entwurf nur an dritter Stelle gereiht ist …
Von der k. k. Staatsgewerbeschule Wien I kam Baumgartner 1906 als Fachlehrer an die k. k. Staatsgewerbeschule Klagenfurt, die unsichtbare Stadt in der Provinz. Hier unterrichtete er Projektions-, Entwurf- und Freihandzeichnen, baugewerbliches Fachzeichnen und Gebäudekunde. Schon 1908 legte er einen Entwurf „im leichten Barockstil“ für das Stadttheater vor, wurde in den Bauausschuss zum Theaterbau bestellt und zum Mitglied des Gemeinderates. Das Theater wurde allerdings zwischen 1908 und 1910 nach Plänen von Fellner und Helmer errichtet. „Sicherlich“, schreibt Ulrich Harb in seinem Essay zum Wirken Baumgartners, „bestand ein Zusammenhang zwischen der Planvorlage und den beiden anderen Funktionen, dieser kann jedoch heute nicht mehr nachgezeichnet werden“. Ein Erstentwurf für das Künstlerhaus Klagenfurt stammt aber aus dem Jahr 1908, das nach Baumgartners Plänen von 1913/14 im Auftrag des Kunstvereins für Kärnten ausgeführt wurde. Harb beschreibt den Bau als einen der „schönsten spätsecessionistischen Bauten Kärntens“. Tatsächlich erinnern Raumaufteilung und Lichtführung an jene der Wiener Secession, wenngleich die Fassade nach Harbs Beschreibung eine „Synthese“ zwischen „Jugendstil“ und „regionalromantischer Heimatschutzbewegung“ eingegangen ist – „ohne jedoch ins Provinzielle abzusinken“.
Wie immer Harbs formale Beschreibung einzuschätzen ist, es besteht in diesem Land – damals wie heute – ganz offensichtlich ein merkwürdiges und eigenartiges Schutzbedürfnis gegenüber äußeren und inneren Einflüssen – ausgenommen von jeher die Einflüsse in Form von Einnahmen aus dem Fremdenverkehr. Besonders schützt der erste Schutzbeauftragte dieses Landes, das er „regiert“ (Zitat vom 21. 01. 2001 „Seit ich Kärnten regiere …“), seine Untertanen vor Künstlern. Valentin Oman legte er nahe, das Land doch zu verlassen, Cornelius Kolig wurde infolge der Restaurierung der Fresken seines Großvaters Anton und Neugestaltung des Landhaussaales diffamiert, Turrini, Jelinek und Bernhard waren zuvor schon im Wahlkampf als „sozialistische Staatskünstler“ angeprangert worden. Seit seiner Errichtung ist das Künstlerhaus Sitz des „Kunstvereins für Kärnten“, worauf ein Schriftzug in plastischen Lettern über dem Portal hinweist. Infolge der Kalamitäten mit dem Schutzbeauftragten, der zugleich Kulturreferent des Landes ist, hat vor wenigen Jahren der Künstler Roland Kollnitz in einer mit dem Kunstverein akkordierten Aktion das „für“ mit einem aufsteigenden, blauen Balken durchgestrichen. Auch der Verein heißt seither „Kunstverein Kärnten“. – Aber zurück zu Franz Baumgartner.
1909 wird ihm der Titel Professor verliehen und „wie mit einem Paukenschlag“, schreibt Harb, gehen erste Großaufträge an Baumgartner. 1909 und 1910 werden nach seinen Entwürfen das Stauder- und das Gutenberghaus in Klagenfurt errichtet. Beide stellen formal eine „romantische Beziehung zur deutschen Renaissance her“, wie Friedrich Achleitner (zit. nach Harb) die Wohn- und Geschäftshäuser beschreibt.
Über Baumgartners Privatleben ist seltsamerweise kaum etwas bekannt. Gut, er hat als Eisläufer dilettiert. 1911 wurde die Staatsgewerbeschule nach Villach verlegt, wohin auch Baumgartner übersiedelte und noch vor dem Ersten Weltkrieg entstehen die ersten Seevillen. Jedenfalls dürfte er schon vor 1909 mit dem in fine laci, im Dorf an der Westbucht, lebenden Baumeister Anton Bulfon bekannt geworden sein. Erzählte hier nicht Sindbad, ein Seefahrer, diese Geschichten von den Seeleuten, sondern, sagen wir, es wäre Klaus Theweleit, so hätte der Baumgartner und Bulfon wohl als male couple bezeichnet, als politisches und ökonomisches Strategenduo, dem sichtlich kaum Paroli zu bieten war. Oder hätte Bourdieu die beiden gekannt, er hätte sie vielleicht als Paradebeispiel einer Seilschaft beschrieben. Im besagten Ausstellungskatalog zähle ich – und habe mich sicher verzählt – also etwa 165 Entwürfe für Geschäfts-, Wohn- und Hotelbauten. Der weitaus überwiegende Teil wurde bis 1939 auch ausgeführt, seit 1909, bis auf wenige Ausnahmen, von Baumeister Anton Bulfon; zudem sorgte Baumgartner für Innenausbauten und entwarf Möblierungen. In Form einer Aufzählung will ich also versuchen, das Dorf am Ende des Sees als ein Ensemble von Objekten zu beschreiben, wie es aus der Zusammenarbeit des male couples BB entstanden ist. Die Aufzählung bleibt unvollständig, weil mein analytisches Vermögen als Seefahrer in jedem bisher angestellten Versuch zu einem anderen Ergebnis geführt hat. Nennen wir den folgenden Teil des Seestücks „Wie man ein Dorf errichtet“ und bewegen wir uns im bedächtig schwankenden Schritt des Seefahrers zulande erst auf einer West-Ost-Achse von der Rosentaler in die Klagenfurter Straße, entsprechend einer per pedes leicht zu bewältigenden Strecke von etwa 1500 Metern:
Villa Knappitsch (1927), Hotel Bacherlwirt (1930, angeschlossen war die Limonadenfabrik Pippan, die picksüßes Spezi herstellte), Spritzenhaus Feuerwache (1926), Volksschule Materialdepot (1942), Hauptschule (1939), Villa Nowak (1909), Villa Gelbmann (1926), Villa Stelzer (1928), Haus Klützke (1930), Villa Gessenharter (1931), Hotel Carinthia (1924, auf dem Karawankenplatz im Schnittpunkt der folgenden Süd-Nord-Achse unserer Tour), Umbau des Gemeindeamtes (1939, existiert nicht mehr, die Planzeichnung zeigt Reichsadler und Swastika unter dem Giebel der Fassade), Apotheke (1935), Hotel Kointsch (1909), Theresienstöckl (1927), Mößlacherhaus (1909), Hotel Mößlacher (1912), Anbau an Wirtschaftsgebäude Mößlacher (1927), Schweinestall Mößlacher (1928, zit. n. Harb), Aufstockung und Dachausbau am Wirtschaftsgebäude Mößlacher (1929, Mößlachers prosperierten wie man sieht und Ulf M. war ein bekannter Kunstflieger im Doppeldecker, der hin und wieder Hotelgäste zum Kunstflug einludt, diese auch, wie erzählt wird, durch Ohrfeigen während des Fluges zur Raison brachte, da sie drohten in Panik zu geraten, Ulfs Flugkünste zu behindern und damit Material und Leben gefährdeten), Sprungturm im Strandbad Bulfon (1924, mit dem Baumeister verwandt; der Sprungturm existiert nicht mehr, zu sehen ist er im Film „Der Herr Kanzleirat“, 1948, Regie: Hubert Marischka; mit Hans Moser als „gar arger Weiberfeind“ (Wikipedia) Leopold Bachmayer), Strandcafe Bulfon (1930), Fleischhauerei G. (1929, ich erzählte im ersten Teil von jenem australischen Reiseführer für Hitchhiker), Kino (1935), Hubertushof (1910), Zentralgarage Winz (1927), Wohnhaus Baumgartner (1928, Baumgartner dürfte hier nur im Sommer gewohnt haben, ist doch sein eigenes, nicht mehr existentes Haus denkbar nah am Wasser erbaut und im letzten Teil des Seestückes habe ich den unzuträglichen Einfluss kalter Herbstnebel bereits erwähnt; dass auch Baumgartner an Rachitis litt, ist indessen nicht bekannt; jedenfalls wird er hier seine Eislaufschuhe deponiert haben), Villa Memle (1931), Wohnhaus Pfeifer (1932), Villa Maire (1920, später Posterholungsheim, in dem, wie er mir erzählte, auch der Grazer Schriftsteller Günter Eichberger in jungen Jahren zumindest eine Sommerfrische verbrachte), Landhaus Dr. Hofmann (1929), Villa Giebelhaus (Pension Frank 1919), Villa Tischer (1930). Setzten wir diesen Weg nun noch um weitere 1500 Meter fort, gelangten wir an das 1925 erbaute Forstseekraftwerk, das heute nur mehr der Ansicht und dem Betrieb eines Cafés dient.

Gehen wir bedächtig zurück, um die Süd-Nord-Achse abzuhandeln und beginnen wir im südwestlich gelegenen Teil der Bucht:
Haus Seeblick(1934), Kurpark mit Musikpavillon (1926, die Situation direkt vor dem Schloss ist heute völlig umgestaltet, ebenso das gesamte Schlossareal, das von einer Bank mit Appartementbauten bestückt wurde, die vielleicht auf Käufer und Mieter aus Russland warten, nachdem es in Österreich nur wenige Menschen gibt, die, entsprechend finanzkräftig, hier auch wohnen möchten; immerhin besteht die Gefahr, sich eine veritable Rachitis zuzuziehen; die Seeleute und Dorfbewohner sind übrigens nach anfänglicher Euphorie inzwischen nicht sehr gut auf die Investoren zu sprechen, nachdem man bei der Begutachtung der Baupläne vor zwei Jahren übersehen hatte, dass ein Vordach des Neubaues den Wappenfries am alten Schlosstor und damit einen patriotischen Identifikationspunkt förmlich durchstreicht), diverse Um- und Ausbauten des Schlosshotels (zwischen 1919 und 1930, darunter Seerestaurant, Bar, Schlosskino), Wohn- und Geschäftshaus Kretschmann (1928), es folgt unser Schnittpunkt mit Apotheke und Carinthia, wir hasten über den Karawankenplatz, vorbei am Hotel Kointsch, Villa Sophie (1911, Mößlacherhaus II, wie gesagt, Mößlachers prosperierten), Gartenhaus der Villa Sophie (1926), Villa Golker (1928), Wohnhaus Kallan (1929), Villa Sintschnig (1930), Villa Mischitz (1929), Mößlacher Garage und Personalwohnung (1938, Mößlachers prosperierten …), Bauhof des Dorfes (1941), Haus Thaler (1909), Hotel Scholz (1914) und wir beschließen unsere Tour bei einer Dollfußgedächtnisstätte, die heute besser als Kalvarienberg funktioniert, nachdem sich mit den Zeichen auch die Inhalte ändern lassen (1936, am Fuß des Kalvarienbergs ist noch eine Stele erhalten, auf der sich bis vor einigen Jahren eine Bronzebüste mit dem Konterfei des verehrten Schausängers Roy Black befand, der sich heute sicher Crooner nennen würde, was dasselbe bedeutet, aber weit mehr nach Las Vegas klingt; Las Vegas, nebenbei erwähnt, ist in diesem Dorf auch vertreten und kann als Etablissement sublimiert werden; der inzwischen pensionierte Betreiber hat in Graz einen Casinojackpott geknackt und sieht wie der ehemalige Präsident eines Grazer Fußballvereines aus, trägt Hawaiihemden, fährt Rolls Royce und raucht Zigarren – wie in Neuplatonismus und Alchimie ist’s oben stets wie unten, das Große im Kleinen und im Dorf wie in der Stadt – aber ich schweife ab: eines Nachts, während Rachitis verursachende Nebel ein Übriges taten, war die 70 Kilo schwere Büste von Roy Black plötzlich verschwunden und wurde im Rahmen einer österreichweiten Suchaktion der Dorfgendarmerie auch nicht mehr gefunden; wir Seefahrer dagegen vermuten, dass sie seither wohl am Grund des Sees ruht, mehr noch, in manchen feuchten Nächten vermeinen wir Seefahrer, die bekannten Chants vom Grund des Sees hören zu können; zeihen Sie mich nun der Absurdität, ich weiß, wovon ich erzähle und bitte Sie wieder, mir zwar kein Wort, aber alles andere zu glauben).
Dann ist da noch die Dorfkirche, die 1938 erbaut worden war. Dem Bau ging ein Wettbewerb voraus, den Walter G. Mayer gewonnen hatte – schon wieder eine nur scheinbare Koinzidenz, über die ich Sie bitte, im Stillen zu sinieren. Nach ihm waren Adolf Schmid-Schmidsfelden und erst an dritter Stelle Franz Baumgartner gereiht. Letzterer hatte drei verschiedene Pläne unter drei Kennworten eingereicht – „sehr ungewöhnlich“, wie Harb bemerkt. Aber Baumgartner wurde mit dem Kirchenbau beauftragt, den Anton Bulfon ausführte. – So geht das!

Und Baumgartner ist auch bei uns geblieben – in einem Ehrengrab.

Wenzel Mraček, geb. 1962 in Klagenfurt, Kunsthistoriker, Kulturredakteur, Autor, Seefahrer, lebt in Graz.
Literatur: W.M., Simulierte Körper. Vom künstlichen zum virtuellen Menschen. Wien, Köln, Weimar 2004 (Böhlau, www.boehlau.at).

Verfasser/in:
Von Wenzel Mracek
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