02/09/2007
02/09/2007

sonnTAG 190

Kinder der Kunstklasse bei meiner Ankunft zum Unterricht

Haarsalon in New Crossroads

Kind vor einem bunten Shack

Männer verarbeiten erstandene Holzteile zu neuen Häusern

Straßenszene im Township

Abb. 1

Abb. 2

Abb. 3

Abb. 4

Abb. 5

Abb. 6

Abb. 7

Ende August 2005 reiste Caroline Kleindienst, Absolventin der Akademie der bildenden Künste in Wien, nach Namibia, um an einer Schule in Otjikondo ein Jahr lang das dortige Kunstatelier zu betreuen. Sie hat den Aufenthalt im September 2005 vorzeitig abgebrochen (lesen Sie auch sonnTAG 110). Seit Mai 2006 arbeitet sie als Kunsterzieherin an der Nomlinganiselo Primary School in New Crossroads, einem Township vor den Toren Kapstadts.

"Townshipträume"

Caroline Kleindienst

Ein Dutzend Kinder steht vor der geschlossenen Tür der Nomlinganiselo Primary School in New Crossroads, als ich mit dem Wagen ankomme. New Crossroads ist ein Township vor den Toren Kapstadts, das in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Erweiterung des älteren Townships Crossroads entstand. Heute lebt eine halbe Million Menschen darin, manche von ihnen in „festen“, aus Ziegeln gebauten Häusern, viele von ihnen in den so genannten „Shacks“, Baracken, gebaut aus zusammengenagelten Überresten von Obst- und Gemüsesteigen oder Wellblechdächern, die von den Bewohnern auf Großmärkten gekauft werden.

Das größte Problem der Menschen hier ist, wie in allen anderen Townships, die hohe Arbeitslosigkeit, die in New Crossroads 45 Prozent beträgt. Es ist auffallend, wie viele Frauen und Männer tagsüber beschäftigungslos vor ihren Häusern sitzen. Die Folgen der Arbeitslosigkeit sind erhöhtes Gewaltpotential und Kriminalität. Vermeintliche Realitätsflucht durch Alkohol und Drogen verschärfen die Lage. Dabei sind Drogen, die billig hergestellt werden können und stark verunreinigt sind, oft mit Tick (Crystelmeth) als Ausgangsbasis, besonders beliebt. Beobachter erklären sich durch die sehr starke Wirkung auf den Benutzer viele Gewalttaten, die, von extremer Grausamkeit und Brutalität geprägt, schockieren.

Montag bis Donnerstag werde ich nachmittags mit anderen Lehrern zu den After School Care Programmen des Amy Biehl Foundation Trusts gebracht, wo als Erweiterung des Vormittagsunterrichtes verschiedene Fächer angeboten werden. Amy Biehl wurde 1993 im Township Gugulethu ermordet, als während der letzten Atemzüge der Apartheid eine politisch aufgebrachte Menge ein Aggressionsventil suchte und dieses in Person der engagierten 26-jährigen Amerikanerin fand. Nachdem im Zuge des „Truth and Reconciliation Process” die vier, für den Mord verantwortlichen Männer mit Unterstützung von Amy Biehls Eltern um Amnestie ersucht hatten, wurden sie aus dem Gefängnis entlassen und 1997 der Amy Biehl Foundation Trust in Südafrika gegründet. Hauptaufgabe des Foundation Trusts ist die Prävention von Gewalt in den Townships. Neben den After School Care Programmen werden HIV/AIDS Programme angeboten, sowie Darstellende Kunst, Musik, Sport, Leseprogramme für Kinder und Erwachsene und ein Greening Programm, das landwirtschaftliche Kenntnisse vermitteln soll. Täglich werden so über tausend Schüler von der Organisation erreicht.

Einer davon ist Mkululi. Er löst sich von der „Kindertraube“, als er den Wagen sieht, kommt mir entgegen und nimmt mir die Taschen mit dem Malmaterial ab, schleppt sie stolz, und würde es mir nicht erlauben, sie ihm für den kurzen Weg wieder abzunehmen. Mkululi ist elf Jahre alt und eines der talentiertesten Kinder der Kunstklasse. Er wohnt gleich gegenüber der Schule in einem „richtigen Haus“ und galt immer als ein sehr schüchternes Kind, bis er seine Begeisterung fürs Zeichnen entdeckte. In letzter Zeit wurde er etwas „lazy“, wie er selbst meint, und geht nachmittags immer öfter gerne auf den nahe gelegenen Fußballplatz, oder sitzt auf der Straße, anstatt am Programm teilzunehmen. Damit passt er genau in die Zielgruppe, die von den After School Care Programmen angesprochen werden soll, deren Aufgabe es ist, Kinder und Jugendliche von der Straße fernzuhalten, ihnen neuen „Input“ zu geben, die Möglichkeit ihre Talente zu entwickeln, oder auch solchen Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen, die vom Vormittagsunterricht ausgeschlossen sind. Nomlinganiselo ist an sich eine staatlich finanzierte Schule. Trotzdem können manche Kinder der gesetzlichen Schulpflicht nicht nachkommen, weil ihre Eltern das Schulgeld von 50 Rand pro Schuljahr, cirka 6 Euro, nicht bezahlen können oder nicht imstande sind, die Schuluniform oder simple Dinge des Schulalltags wie eine Lunchbox für ihr Kind zu erwerben. Viele Eltern denken deshalb, sie würden ihren Kindern die Demütigung gegenüber anderen Schulkindern ersparen, sowie sich selbst anderen Eltern gegenüber und entscheiden deshalb, die Kinder nicht in die Schule zu schicken.

Der Schulwart sperrt meinen Klassenraum auf, der durch Gitter gegen Einbrüche geschützt werden soll, und meine Schüler machen sich sofort an die Arbeit, beginnen neue Zeichnungen oder vervollständigen die vom letzten Mal, so wie Mkululi. Er bemalt den Hintergrund seiner Zeichnung vom Vortag. Manchmal hat Mkululi Alpträume, in denen jemand seinen Hund erschießt, sagt er mir. Das wäre das Schlimmste für ihn. Diesmal hat er eine Szene mit Menschen gezeichnet. „Bob wants to kill Lena“, nennt er sein Bild im Comicstil (Abbildung 1), auf dem ein Junge zu sehen ist, der einem Mädchen die Hand abschlägt. „Das ist nicht richtig“, sagt Mkululi, und Bob ist deshalb auch ein „Pig“, wie er es auf dessen Shirt festhält.
In den Schulen und auf den Straßen der Townships herrscht Krieg. Kinderkrieg. Banden von Kindern im Alter von zehn bis siebzehn Jahren, die die Ausweglosigkeit ihrer Zukunft realisieren, finden sich zusammen, nennen sich selbst oft Taliban oder Pakistani, sind bewaffnet und zögern bei Meinungsverschiedenheiten nicht, Mitglieder anderer Banden zu verletzen oder zu töten. Der vorläufige traurige Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen ereignete sich im August letzten Jahres, als neun Jugendliche von einer rivalisierenden Bande im Township Langa ermordet wurden.

Viele Kinder meiner Klasse haben Alpträume von solchen oder ähnlichen Situationen und versuchen, diese immer wieder zeichnerisch umzusetzen. Nathi (12) zum Beispiel, der auf einem mit Herzchen sorgfältig dekoriertem Bett schlafend von seiner eigenen Erschießung träumt. (Abbildung 2)

Mkululis Lieblingsbild ist das Bild mit dem Flamingo (Abbildung 3). Darauf ist auch sein zeichnerisches Talent gut erkennbar, sowie seine Präzision und Ausdauer. Anders als die anderen Kinder lässt er sich viel Zeit beim Zeichnen, arbeitet am selben Bild oft eine Woche oder länger und überlegt jedes Detail genau. Über der „Zierzeile“ von Häusern im unteren Bereich fliegt ein Spaceshuttle der United States, darüber, in der oberen, scheinbar unzusammenhängenden Szene, steht ein Flamingo im Wasser vor einem grünen Baum und neigt seinen Kopf zum daneben stehenden Auto. Obwohl die verschiedenen Komponenten des Bildes sehr liebevoll gezeichnet sind, wirken sie verloren, klappen fast auseinander. Der Flamingo im Zentrum des Bildes blickt zum fahrerlosen Wagen. Eine Metapher der Situation vieler Kinder.

Siphelo (9) hat sich besonders auf das Zeichnen von Häusern spezialisiert und lehnt, trotz einiger Versuche meinerseits, ihm ein anderes Thema schmackhaft zu machen, andere Motive ab. Immer wieder zeichnet er, in fast malerischem Duktus, die Behausung Nummer 1562 (Abbildung 4). So soll sein Haus aussehen, ein schönes, festes Haus. Ein buntes Haus. Kein „Shack“. Siphelo legt besonders auf die Farbgebung seiner Häuser wert und ist sehr kreativ im Finden von neuen, überraschenden Farbzusammenstellungen. Wie die anderen Kinder beim Zeichnen von Häusern, vergisst auch er nicht die Glühbirne im Inneren, die oft einzige, mittig von der Decke baumelnde Lichtquelle. Für Siphelo ist Licht, sind Farben sehr wichtig. Ab und zu beobachte ich ihn, wie er liebevoll über meine mitgebrachten Buntstifte streicht, sie ab und zu sogar küsst und immer besonders Wert darauf legt, dass nach der Stunde wieder alles ordentlich in meinen Taschen verschwindet. Nicht selten weist er die anderen Kinder für Unachtsamkeiten mit dem Zeichenmaterial zurecht. Solche Dinge sind für die Kinder großer Luxus und es ist nicht verwunderlich, dass der allgemeine Umgang mit Materialien jeglicher Art, sowie mit Essen besonders sorgfältig passiert, und auch ab und zu Kinder beim Stehlen einer abgebrochenen Ölkreide oder eines Stiftes erwischt werden.

Nach der Unterrichtsstunde gibt es für alle Kinder der verschiedenen Programme zu essen und zu trinken. Im Sommer werden Sandwiches, im Winter eine warme Suppe von einer von der Foundation dafür engagierten Köchin ausgeteilt, die die Kinder, in der Schlange wartend, entgegennehmen. Für einige von ihnen ist dies manchmal die einzige Mahlzeit des Tages. Die Armut und der Wunsch nach kleinen Luxusgütern, die in Fernsehwerbungen, auf Plakaten und im Radio für die Kinder allgegenwärtig sind, führen dazu, dass viele junge Mädchen ungeschützte sexuelle Beziehungen mit verheirateten Männern eingehen, im Austausch für Essen, schöne Geschenke und Kleidung. Die HIV-Programme der Amy Biehl Foundation versuchen hier nicht nur in den Schulen, sondern auch in Jugendgefängnissen Aufklärungsarbeit zu leisten. Die hohe HIV-Rate in Südafrika ist ja weitgehend bekannt.

Koko, sieben Jahre alt, zeichnet gerne mit Bleistift und fühlt sich mit kleinen Papierformaten wohler als mit den A4-Blättern. Seine Zeichnungen bestechen durch einen sehr sicheren Zeichenstil und Freude an Details. Auf dem Bild „The Car“ (Abbildung 5) lenkt er seinen Wagen mit Superantriebsmotor und vier Auspuffen, wie er meiner Assistentin auf Xhosa erklärt, die mir Gespräche mit jüngeren Kindern, die noch kein Englisch sprechen, ermöglicht. Koko zeigt mir auch wortlos seine Dankbarkeit für die Möglichkeit der Malstunden, umarmt mich öfter und küsst mir manchmal schnell die Hand, wenn ich ihm einen Bleistiftspitzer gebe. Gern sieht er sich auch den Wagen, der mich bringt und abholt, genauer an, betastet die Rücksitze und läuft beim Wegfahren winkend neben dem Auto auf der Straße her.

An heißen Tagen, oder wenn genug Material vorhanden ist, bringe ich den Kindern Wasserfarben. Das ist für die meisten ein besonderes Vergnügen. Ich erinnere mich daran, als ich ihnen erstmals den Umgang mit diesen Farben demonstrierte und alle fasziniert davon waren, mit dem Pinsel Farbe und Wasser zu verrühren und diese anfangs zögernd auf dem Papier zu verteilen. Nach kurzer Zeit fand ich mich jedoch inmitten von „Wasserfarbenprofis“ wieder.

Buyisiles (10) Arbeit „The Bird“ (Abbildung 6), die in einer dieser ersten Stunden entstand, fiel mir besonders auf. Der reduziert gemalte Vogel mit den um ihn platzierten kleinen grünen Farbpunkten erinnert mich an Bilder der international bekannten Xun und Khme San Art Künstler, wie etwa Katunga und Julietta Carimbwe.

Thabos (12) Vorliebe ist es, Porträts von Menschen zu zeichnen. Auf einer Kohlezeichnung (Abbildung 3) gibt er jedoch einen kleinen Einblick in die Mythologie der Xhosa Kultur. Dargestellt ist ein Tokoloshe, ein Fabelwesen, das auch von Eltern als Drohung gegen ihre Kinder eingesetzt wird. „Wenn du nicht folgst, holt dich der Tokoloshe“ oder „wenn du dort hingehst, wartet der Tokoloshe auf dich“, sagt seine Mutter manchmal zu ihm, erzählt Thabo. Der Tokoloshe ist ein bösartiges, cirka 1,20 Meter großes Wesen, das Unglück bringt und viele Alpträume und angeblich nur von Kindern gesehen werden kann, wie mir später bei der Heimfahrt im Wagen zögernd und unter Gekicher erklärt wird. Auch meine Xhosa KollegInnen denken, dass man diesen Namen lieber nicht allzu laut aussprechen soll. Thabo ist sich sicher, dieses Wesen einmal hinter seinem Haus gesehen zu haben. Ich frage ihn, ob er sich manchmal vor den älteren Jungs fürchtet oder vor Überfällen mit Waffen. „ Nein“, erwidert er, vor denen habe er keine Angst. Nur vor dem Tokoloshe. Vor dem schon.

Spendenkonto:
Entwicklungshilfe fuer Suedafrika/ Amy Biehl Foundation Trust
Emslaendische Volksbank
IBAN: DE 512 666 149 4072 1100 700
BIC CODE: GENO DEF 1MEP

Caroline Kleindienst, geboren 1976 in Feldbach, Österreich, ist Absolventin der Akademie der bildenen Künste, Wien. Sie lebt derzeit in Kapstadt, wo sie die Kunstklasse des Amy Biehl Foundation Trusts im Township New Crossroads betreut.

Verfasser/in:
Caroline Kleindienst
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