06/01/2008
06/01/2008

sonnTAG 208

Ernot Auffer:
Do ut des

Zwischenmenschliche sind Handelsbeziehungen. Die nüchternen Römer fassten den Bereich zusammen unter „do ut des“ – ich gebe, damit du gibst.

Alle idealistischen, uneigennützigen, selbstlosen, barmherzigen, gutgläubigen Mitmenschen werden sofort aufschreien angesichts dieses proklamierten Beziehungsmaterialismus. Aber schon an ganz kleinen Kindern in der Sandkiste kann man das beobachten, wenn unterschiedliche „Konstruktionen“ aus Anlage und Erziehung aufeinander kommen und ihre Bedürfnisse durchzusetzen versuchen. Gewisse Lustbarkeiten ergeben sich nur aus einer Kooperation, da muss sich ein Kind in einem zurückhalten, um das andere zu bekommen. Es tauscht partielle Nachgiebigkeit für ein erstrebtes Gut. Leih ich dir das Schauferl, leihst du mir das Küberl.

Alle Lebewesen sind Ego-Maschinen, sonst würden sie nicht überleben. Wenn das Futter knapp wird, fliegt das Schwächste aus dem Nest, von den Geschwistern expediert, von den Eltern exekutiert. Wir Menschen sind auch nicht viel anders, nur etwas komplexer, anpassungsfähiger. Schnell kriegt ein Kleinkind heraus, wie es zu Lustbarkeiten kommt, durch Terror oder durch Friedfertigkeit, durch Schreien oder Lächeln. Übertreibt es in seinem Streben nach immer mehr und sind die Lieferanten an ihren Grenzen, lernt es sich zu bescheiden, es „schenkt“ ihnen Ruhe z. B.

Früh übt das Kind die Formen SEINER Handelsbeziehungen ein, lernt, wie Geben und Nehmen funktioniert. Eines Manchen Ankunft war einfach ein Glück, und so wird er ein Leben lang ein Glücksbringer sein, und man wird bereit sein, allein seine Anwesenheit zu belohnen. Der braucht keine besondere Aufwendung zu erbringen, um sich die Menschen zu „erwerben“, zumindest deren Gesellschaft. Er tauscht die Annehmlichkeit seiner Anwesenheit mit der Zuwendung der durch ihn Beglückten.

Schöne (junge) Frauen genießen einen ähnlichen Handelsvorteil, ihre Schönheit macht sie als mögliches Vermehrungsmittel so begehrenswert, wenn sie in die Jahre kommen, nimmt ihr „Handelswert“ beträchtlich ab, und so manche, die nur mit den Pfunden der Äußerlichkeit gewuchert hatte, versteht mit einem Mal die Welt nicht mehr. Klug die, die sich ein zweites Standbein aufgebaut hatte wie Vermögen, Bildung, Herzensadel, auf das sie umsteigen kann und damit als Handelspartner attraktiv bleibt.

Frauen als sexuelle Wesen sind mit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit der Kern jeder Gesellschaft. Sie wählen den Mann aus, sie gebären die Kinder, sie ziehen sie auf, sie erziehen sie, sie vermitteln die grundlegenden Werte, sie schaffen die familiären Bedingungen, sie pflegen die Kranken und die Alten, und sie sind als Mütter ihrer Töchter eine unverzichtbare Stütze bei der Aufzucht der Enkel.

Oberflächlich gesehen bieten sie also sexuelle und damit gesellschaftliche Attraktion, die sie zu tauschen trachten gegen einen genetisch interessanten Befruchter und gegen einen „Kümmerer“ und das möglichst in einer Person. Die Präferenz gilt allerdings der Sicherheit, deswegen sind angesehene und reiche Männer so sexy. Oft wurde, ist die Versorgung erst einmal gesichert, nach dem besten Genträger Ausschau gehalten, so dass bis zu 20% aller ehelich Geborenen den Ernährer nicht als Erzeuger hatten, damals, als die Pille und die neuen Moralstandards noch nicht alles durcheinander gebracht hatten.

Die offene Gesellschaft ist ein Markt, auf dem jede/r selbst schauen muss, wie er/sie über die Runden kommt. Man trägt sich zu Markte, bietet seine (sexuelle) Attraktivität an, führt Charme und Überredungskunst ins Treffen, macht Geschenke, lässt sich beschenken oder bittet um Gefälligkeiten, für die man sich beizeiten zu revanchieren verspricht.

Manche sind so liebenswert, die können immer konsumieren, ohne reale Gegenleistung, und manche/r kriegt trotz aufwändiger Werbegeschenke nichts. Der/die ist einfach nicht erstrebenswert. Der/die fällt durch die Maschen des gesellschaftlichen Netzes, das das Treiben immer noch zusammenhält. Der/die ist einfach unattraktiv, eine Nervensäge, eine Landplage. Wenn es um Prestige und Nerven geht, da sind wir unerbittlich. Wir haben schließlich auch nur ein Leben und weder Zeit noch Nervenkraft zu verschenken. Es sei denn …

Es sei denn, wir sind von der karitativen Fraktion und finden unsere Befriedigung darin, den Ausgestoßenen, Bresthaften, Verrückten, Asozialen, Alkoholikern und anderen Abweichlern zu helfen. Das Helferleinsyndrom ist auch eine Handelsbeziehung, die aus einer gegenseitigen Bedingtheit existiert, die vielleicht im Hier und Jetzt erfüllend, bestätigend, ja erhebend ist, vielleicht aber auch erst in der Aussicht auf ewigen Lohn im Jenseits.

Und schließlich jene, die mit dem nagenden Gewissenswurm gesegnet sind, den sie ruhig stellen müssen, und das geht nun einmal nicht ohne die gute Tat. Man ist sie sich einfach schuldig, die milde Gabe, die Nachsicht, die Großzügigkeit. Den Anspruch auf einen gewissen Stil, auf den entsprechenden Auftritt in der 'Gesellschaft' muss man sich schon etwas kosten lassen, das weiß jede Firma, die Imagepflege betreibt. Eine Firma sieht den Erfolg ihrer Bemühungen vor allem am Verkaufserfolg, für sie ist es schließlich nicht damit getan, „glänzend“ dazustehen, die Leute müssen auch dazu gebracht werden, die Produkte zu kaufen, notfalls gedrängt, aufgedrängt. Aber nicht zu stark, nicht zu viel, da kann das Wohlwollen leicht kippen, und manchmal kann auch die Verknappung des Angebots sehr animierend sein.

So operieren nicht nur die Firmen mit Angebot und Nachfrage, arbeiten mit Dumping und Sonderangeboten, leiden unter Ladenhütern und Schmutzkonkurrenz und schlagen sich herum mit alteingesessenen und neuen Konkurrenten. Plötzlich ändert sich der Trend, und „todsichere“ Produkte sind nicht mehr gefragt – die neue Generation hat einen anderen Geschmack und kauft lieber bei Ihresgleichen. Glücklich der, der eine treue Stammkundschaft hat, die das Bewährte dem Neuen vorzieht, die treue Ehefrau, die alten Freunde, das gewohnte Milieu. Die verharren in den alten Gewohnheiten, in einem Ghetto gleichsam, bis dieses ausgestorben ist. Selten nur, dass diese alten Angebote eine „Wiedergeburt“ erleben durch Nostalgiker, durch Fährtensucher. Dann erleben diese 'Händler' auf dem Abstellgleis noch einmal eine Nachfrage, einen kleinen Boom, bevor sie in die ewigen Jagdgründe wechseln, Jopie Heesters als Beispiel. Sie sind die letzten Zeugen einer untergegangenen Zeit, für deren Angebot sich zu ihren späten Lebzeiten keiner mehr interessiert hatte wie beispielsweise für gewisse Erzählungen aus dem schrecklichen, dem 20. Jahrhundert. Und erst, wenn der Letzte taub, verblödet oder tot ist, kommt ihre Wiederauferstehung, da kommen sog. Wissenschaftler, sog. Zeitgeschichtler, und die rekonstruieren schlecht aus den Hinterlassenschaften, was sie vorher gut weil unmittelbar erfahren hätten können.
Wie das halt so ist mit dem Handelsangebot: Wenn etwas reichlich vorhanden ist, wohlfeil oder sogar geschenkt, ist es nichts wert, erst die knappe Ware ist wertvoll, egal ob es Brot ist oder es Geschichten aus dem gelebten Leben sind.

ernot auffer, * 1942 kitzbühel, kindergarten zell am see, volksschule graz/huben/graz/huben/graz/huben/graz/huben in osttirol, realgymnasium innsbruck, architektur th graz, seither immer und wieder dies und das in graz.

Verfasser/in:
Ernot Auffer
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