sonnTAG 209
Es ist über mich gekommen. Über die Haut. Die Haut merkt sich ja alles. Sie hat ein Gedächtnis, sagen sie. Der ganze Sonnenbrand, das hat sie sich gemerkt. Die ganzen Sonnenbrände im Bad. Wie ich ein Kind war. Und die anderen. Die ganze Angeberei. Das hat die Haut nicht vergessen. Und dann geht es wie bei den Schafen in Australien. Die werden blind. Von der Sonne. Ich nicht. Ich bin krank geworden.
Blindheit ist ja keine Krankheit. Es ist eine Behinderung. Weil man nichts sehen kann. Die Krankheit hindert einen am Leben. Das ist ein Unterschied. Und da kann man nichts machen. Oft gar nichts. Auch nicht gegen die Krankheit. Obwohl die Medizin fortschreitet. Fortschritte macht. Da fällt einem dann ein, was man falsch gemacht hat. Wenn man krank ist. Das ist die Tradition von der Kirche. Die Moral. Der Moralische. Wenn man schwach ist.
Wenn man wieder gesund ist, macht man weiter. Das ist die Tradition von der Wirtschaft. Und von der Politik. Da ist man dann wieder Gesindel. Der Vorteil, der eigene. Das treibt einen an. Da ist man dann gleich wieder normal, wenn man wieder gesund ist. Da geht es lustig weiter. Mich treibt nichts mehr an. Ich mach auch nicht mehr weiter. Weil es kein Weiter mehr gibt. Warum auch. Immer weiter führt auch nirgendwo hin. Nur weiter weg. Von dem, wo ich schon war. Oder sein werde. Weiter weg. Das ist so.
Ich werd immer schneller müde. Oft von gar nichts. Ich habe gar nichts gemacht, aber müde bin ich. Eigentlich die ganze Zeit. Immer müde. Aber richtig schlafen kann ich auch nicht. Es kommt ja dauernd wer herein. Es ist nie eine Ruhe. Und Besuch kommt auch noch. Obwohl ich gar nichts zum Reden weiß. Nicht mehr. Früher hab ich viel geredet. Dauernd. Und lustig war ich. Jetzt ist nur mehr Galgenhumor. Aber das ist schlechter Humor. Weil das Lachen stecken bleibt. Nicht im Hals. Das steckt im Kopf. Dort bleibt es stecken. Weil es nicht lustig ist, wenn es einem so geht.
So viel zum Denken ist noch. Und so wenig Zeit. Aber schneller denken geht nicht. Alles kann man sich eh nicht denken. Das ist hoffnungslos. Und mit den Medikamenten geht es sowieso nicht richtig. Weil man sich nicht konzentrieren kann. Wenn man hinten fertig ist, weiß man gar nicht mehr, wo man vorne angefangen hat. Wo es herkommt. Kein Anfang. Und das Ende weiß man auch gleich nicht mehr. Alles trüb. Und dann weg. Wie früher mit den Träumen. Nach dem Aufwachen alles weg. Das war selten, dass ich mir da was gemerkt hab. Außer die Wiederholungen. Das ist schon gegangen. Da hab ich gewusst, das kenn ich. Was man kennt, kann man sich ja leicht merken. Das Neue nicht. Das muss man lernen. Wiederholen. Bis es sitzt. Dann hat man es sich gemerkt. Wie die Haut.
Das Adrenalin werd ich vermissen. Jeden Tag ein Achterl. Oder mehr. Den Kick. Wenn man den Vorteil findet, wo eigentlich keiner ist. Wenn man schneller ist. Geschickter. Oder härter. Das Leben kann ja hart sein. Und da ist es schon besser, wenn es einen anderen trifft. Mich muss es nicht unbedingt treffen. Da heißt es aufpassen. Ständig. Das ist spannend, dass man nicht unter die Räder kommt. Dass man oben sitzt und lenkt. Das Schicksal selber bestimmen. Schneller sein. Geschickter. Härter. Dass man den Vorteil hat. Nicht wie jetzt. Jetzt kann ich selber nichts mehr machen. Gar nichts. Und kein Adrenalin. Das ist ja kein Leben, wenn nur die Hoffnung bleibt. Von der Hoffnung hab ich nichts.
Aufstehen kann ich noch. Und herumgehen. Manchmal rauch ich eine. Draußen. Herinnen darf man nicht. Es ist ein Krankenhaus. Schmecken tut es nicht, aber die Zeit vergeht. Und man hat etwas zu tun, was man kennt. Das beruhigt. Weil man eh ständig mit was herum tut, was man nicht kennt. Im Kopf. Das hört nie auf. Das geht herum. Im Kopf halt. Das ist was Neues. Aber das kann man nicht lernen. Und merken kann man sich das auch nicht. Weil es nichts zum Merken ist. Es ist was Finales. Ein Schluss. Kein logischer. Meiner. Es geht dem Ende zu. Das hab ich oft gehört. Gesagt hab ich es selten. Ich hab es selten sagen können. Müssen. Obwohl ich viel fertig gemacht hab. Viele.
Die Tage werden wieder länger. Mehr Licht. Länger. Wenn die Sonne scheint, kann ich länger denken. Mir etwas merken. Es verschwindet später. Dann geht es mir besser. Und ich hab wieder eine Hoffnung. Ich weiß, dass das normal ist. Das ist bekannt. Lichte Momente. Wenn die Krankheit Pause macht. Dann ist eine Pause. Bis es wieder weiter geht. Tabletten, Spritzen, Infusionen. Das weiß ich alles. Das hab ich alles nachgelesen. Wie es angefangen hat. Und dann trotzdem noch ein Tag. Und noch einer.
Aus dem Fenster schauen. In den Fernseher. Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte. Hab ich nicht. Eine Ordnung war sowieso immer in meinem Leben. Ganze Ordner voll Ordnung. Rechnungen. Dokumente. Und die Bank. Das Geld. Immer eine Ordnung. Die Schulden auch. Alles abgeheftet. Abgelegt. Da brauch ich nichts mehr tun. Das ist getan.
Vom Tod weiß ich nichts. Und vom Sterben auch nicht viel. Das große Sterben hab ich nie erleben müssen. Und für das kleine war ich immer zu feig. Da bin ich nicht dabei gesessen und habe zugeschaut wie sie gegangen sind. Manche kämpfen. Das hab ich hier erfahren. Das Stöhnen. Das Luftholen. Dann die lange Pause. Dann wieder. Und immer wieder. Und dann nicht mehr. Das will ich nicht. Aber das weiß man vorher nicht. Interessieren tut es mich schon. Ob dann ein Licht ist hinten. Wenn die Dunkelheit kommt. Obwohl man sich das nur so vorstellt. Denke ich. Aber das weiß man auch nicht. Keine Schmerzen. Das ist wichtig. Ruhig gehen.
Heute scheint die Sonne. Es ist still im Haus. Das kann sein. Sonntag vielleicht. Sie haben gesagt, dass man am Schluss nicht mehr viel hört. Das kann auch sein. Dass es das ist. Die Medikamente. Die Einkehr. Mit den Drogen. Zeit zum Denken. Oder delirieren. Schreiben werd ich nichts mehr. Das kann man eh nicht schreiben. Dass das nicht geht. Gehen. Ohne die Träume in der Wirklichkeit. Das wahr machen. Wo man geglaubt hat, es ist noch Zeit. Aber Zeit ist nicht.
Das Presshaus wär noch schön gewesen. Ein kleines Paradies schaffen. Einmal noch. Ein gutes Haus baut man ja zwei Mal. Beim zweiten Mal dann richtig. Weil man beim ersten Mal nichts weiß. Gar nichts. Von der Schönheit. Und der Ruhe. Wie es sein könnte. Das weiß man nicht beim ersten Mal.