27/01/2008
27/01/2008

Der Fluß „Ciliwung“ schlängelt sich durch den Kampung „Kalipasir“, rechts die „Jalan Kalipasir“, an der ich wohne - eine der wenigen asphaltieren Straßen dieser Siedlung

Der Eingang zu meinem Zuhause. Gerade bin ich mit dem Bajai nach Hause gekommen, einem dreirädrigen Moped, das für kürzere Strecken in der Innenstadt gut geeignet ist.

sonnTAG 211

Universität Trisakti in Jakarta, Indonesien

Arbeitsplätze der Lehrkräfte an der Architekturfakultät der Universität Trisakti

Der Kampung „Kalipasir“ mitten in Jakartas Regierungsviertel „Menteng“

Die Idylle im Hof unseres Hauses trügt. Hitze, Gestank und Lärm beeinträchtigen die Lebensqualität in allen Bereichen des Kampung.

Die Außenküche unseres Hauses

Meine Mitbewohnerinnen Devi, Vavi und Isah

Öffentliche Toiletten für die Bewohner des Kampung Kalipasir, deren Häuser über keine Sanitäreinrichtungen verfügen. Seit kurzem gibt es auch eine öffentliche Wasserstelle. Zuvor waren die Toiletten schwimmende Inseln auf dem Fluss. Auch wenn die massiven Häuschen am Ufer komfortabler sind, hat sich an den eigentlichen hygienischen Problemen durch den Neubau nichts geändert.

Abwasserkanäle laufen oberirdisch in den Straßen und münden in den Fluss „Ciliwung“, der sich durch unseren Kampung schlängelt. Sein Wasser ist hochgradig verseucht, was bei den regelmäßig auftretenden Überschwemmungen immer wieder zum Ausbruch von Epidemien führt. Dennoch spielen und baden die Kinder in ihm.

Die Einkommensstruktur der Bewohner ist heterogen, doch der Bezug zur Gemeinschaft ist so groß, dass die Familien bei einem sozialen Aufstieg den Kampung nicht unbedingt verlassen. Stattdessen werden wie hier Häuser aufgestockt und billigere Baumaterialien wie Holz oder Blech durch Ziegel und Beton ersetzt.

Im Vordergrund eine der einfachsten Behausungen direkt am Fluss gelegen. Dahinter bauliche Zeichen sozialen Aufstiegs durch Aufstockung und Massivbauweise. Im Hintergrund eine moderne Hochhausbebauung, die schon zum formellen Bereich des Regierungsviertels gehört.

„Hello Mister“, Kinder des Kampung

Im Hintergrund eine der zahlreichen kleinen Moscheen in unserem Kampung. Mit ca. 177 Millionen Muslimen ist Indonesien das Land mit der größten islamischen Bevölkerungsgruppe der Welt. Die Istiqlal Moschee in der Hauptstadt Jakarta ist die größte Moschee Südostasiens und fasst mehrere hunderttausend Besucher. Alle Fotos: Anke Strittmatter

Vom Leben in einem Kampung.

Ein Bericht vom Leben und Arbeiten einer deutschen Architektin in Jakarta.

Teil 1

Von Anke Strittmatter

Ich sitze an meinem Schreibtisch und muss die vielen neuen Eindrücke erst einmal verdauen. Laut meiner Computeruhr ist es bei uns zu Hause halb zwei Uhr in der Früh. Ich sitze in einem Großraumbüro und habe einen Platz direkt am Fenster - mit ziemlich spektakulärem Blick über die Stadt. Es sieht hier ein bisschen aus wie auf einer Polizeistation in amerikanischen Krimis aus den 70er Jahren. Allerdings geht es deutlich ruhiger zu – so früh morgens – um 7.30h.

Seit gestern bin ich in Jakarta, vorerst in einem Hotel in der Nähe der Universität Trisakti untergebracht, an der ich das kommende Semester als Gastdozentin für „Urban Design and Urban Planning“ unterrichten werde. Was mich im Einzelnen erwarten wird ist mir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht klar – weder was die Arbeit, noch was das Wohnen angeht.

Wie es zu dieser Anstellung kam ist schnell erzählt: Als Assistentin der Fachgruppe Stadt an der TU Darmstadt hatte ich Bekanntschaft gemacht mit dem Dekan der Architekturfakultät der Universität Trisakti in Jakarta. Eka Sediadi hatte selbst in Deutschland studiert und promoviert und lud mich ein, nach Ablauf meiner Tätigkeit in Darmstadt, für einige Zeit bei ihm zu unterrichten. Das kam mir wie gerufen, denn ich hatte schon länger vor, im Ausland - vorzugsweise in einer asiatischen Megacity - zu leben und zu arbeiten.

Zur Akklimatisierung hat mich der Dekan in meiner ersten Nacht in Jakarta in einem Hotel untergebracht. Mein eigentliches Zuhause soll „ein kleines Haus am Rande des Regierungsviertels“ sein. „In der weniger reichen Gegend“, so Hendrina, eine indonesische Kollegin aus Darmstadt, die mir ein Zimmer im Haus ihrer unverheirateten Tante vermittelt hat.

Wohnen im Kampung

Offen gesagt bin ich auf die tatsächlichen Gegebenheiten nicht wirklich vorbereitet. Nach einem langen Tag in Trisakti mache ich mich also zum ersten Mal auf den Weg zu meinem neuen Zuhause, einer Strecke, die ich in den kommenden Wochen täglich im Verkehrschaos hinter mich bringen werde – mal in 15 Minuten, mal in zweieinhalb Stunden. Ich denke noch, „der Fahrer nimmt aber eine abenteuerliche Abkürzung“, als er auch schon hält. Die Fahrt endet in einem waschechten Kampung. Winzige Häuser, ein- oder zweigeschossig, extrem schmale Gassen, die meisten viel zu schmal für Autos. Menschen und Mopeds versuchen aneinander vorbei zu kommen. In der Luft liegt eine Mischung aus Mopedabgasen und Kloake, dazu die feuchte Hitze und ein Höllenlärm. Das Haus befindet sich an einer der wenigen asphaltierten Straßen. Ich werde von unserem Hausmädchen Isah begrüßt, die kein Englisch versteht und mit meinen bescheidenen Indonesischkenntnissen bekomme ich gerade mal ein „Guten Tag“ heraus. Das schwere Metalltor schließt sich hinter uns, und ich stehe vor einem winzigen Haus mit Innenhof. Mein Zimmer ist klein, aber mit Airconditioning und nagelneuem Bett! An einem Mittelgang liegen 7 Zimmer, die ausschließlich von Frauen bewohnt werden. Sie sind wegen des Studiums oder eines Jobs nach Jakarta gekommen und haben hier keine Familie. Am Ende des schmalen Hauses befinden sich die Innen- und die Außenküche und der Sanitärbereich. Wie ich bald erfahren werde keine Selbstverständlichkeit in den Häusern eines Kampung.

Als Kampung werden auf Java informelle städtische Siedlungen bezeichnet, deren Strukturen sich aus traditionellen ländlichen Siedlungen entwickelt haben und die gut 70 Prozent der Stadtfläche Jakartas ausmachen. Ein Kampung kann nur bedingt mit einem „Slum“ oder einer „Squattersiedlung“ gleichgesetzt werden. Die Einkommensstruktur der Bewohner ist sehr heterogen, doch der Zusammenhalt in der Gemeinschaft ist so groß, dass die Familien bei einem sozialen Aufstieg ihren Kampung nicht unbedingt verlassen. So findet man Hütten ohne sanitäre Einrichtung neben durchaus passablen Wohnhäusern, wie dem, in dem ich untergekommen bin.

Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Infrastruktur katastrophal ist. Wo eine individuelle Wasserversorgung durch private Brunnen gegeben ist, ist die Qualität des Wassers so minderwertig, dass es nur bedingt zum Waschen verwendet werden kann, von Trinkwasserqualität, selbst nach Abkochen, kann gar keine Rede sein. Abwasserkanäle laufen oberirdisch in den Straßen und der Fluss „Ciliwung“, der sich durch unseren Kampung schlängelt, ist hochgradig verseucht, was bei den regelmäßig auftretenden Überschwemmungen immer wieder zum Ausbruch von Epidemien führt. Viele Kinder in der Nachbarschaft haben Hautausschläge vom Spielen in dieser Kloake.

Als einzige Europäerin im Kampung werde ich anfangs natürlich bestaunt und versuche mich, so gut es geht, in die Gemeinschaft einzupassen. Von den Kindern werde ich schon bald beim Überschreiten der „unsichtbaren“ Linie zwischen Kalipasir und dem Regierungsviertel laut mit „Hello Mister“ begrüßt. Überhaupt bin ich natürlich die Höflichkeit in Person, was zu großen Irritationen führt. Erst nach einiger Zeit geht mir auf, dass es beispielsweise absolut unpassend ist, meine muslimischen männlichen Nachbarn offensiv zu grüßen. Ich beginne also durch sie hindurch zu sehen und lediglich mit Kindern und Frauen Kontakt aufzunehmen, was deutlich besser ankommt. Doch das ist natürlich nur eines von zahlreichen Fettnäpfchen, die für mich bereit stehen.

Wie die informellen Strukturen im Kampung tatsächlich funktionieren, insbesondere wie streng hierarchisch und hochkomplex das Sozialwesen aufgebaut ist, sollte ich im Einzelnen noch kennen lernen. Doch dazu mehr im zweiten Teil, am kommenden Sonntag auf www.gat.st...

ANKE STRITTMATTER (* 1965), Architektin, seit 1997 eigenes Studio für Architektur und Städtebau, Mitglied von osa_office for subversive architecture, Mitglied von f.o.g._forum öffentlicher gegenwartskultur, derzeit Lehrbeauftragte am Fachbereich Architektur der TU Graz, Hauptbetätigungsfelder: Architektur und Stadtentwicklung, perfomative Architektur im (öffentlichen) Raum, interdisziplinäre und internationale Lehrprojekte an der Schnittstelle von Architektur, Städtebau und Kunst.
www.osa-online.net

Verfasser/in:
Anke Strittmatter
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