02/03/2008
02/03/2008

sonnTAG 216

Impulsvortrag von Dr. Holger Pump-Uhlmann, den er am 09.01.2008, auf Einladung der Grazer Grünen, im Rahmen der Podiumsdiskussion „Einkaufszentrum in der City. Belebung oder Verdrängung?“, im Volksgartenpavillon Graz gehalten hat.

Vorweg ein Auszug aus der Einführung von Siegi Binder (Grazer Grüne):

"Eine Stadt steht zur Disposition, eigentlich die Räume einer Stadt.
Wie geht die Stadt, wie geht die Politik einer Stadt mit den öffentlichen Räumen um?
Wie definiert sie öffentliche Räume?
Welchen Stellenwert in dieser Auseinandersetzung haben Bürgerinnen und Bürger, welchen die InvestorInnen?

Der Schwerpunkt dieser Veranstaltung ist der Bau eines Einkauszentrums (EKZ), aber nicht auf der grünen Wiese, sondern in der Stadt. Das scheint eine Trendumkehr zu markieren. Seit Jahren läuft eine Diskussion bei uns in Graz. Am Bahnhofsgürtel, dort, wo Leiner und C&A positioniert sind, will der größte europäische Betreiber, der Otto-Konzern, ein riesiges EKZ errichten. Ein EKZ, das fast die Größe des gesamten Innenstadthandels hat. Etwa 55.000 m2 sollen hier verbaut werden. Eine Kapitale für KonsumentInnen soll hier entstehen. Das scheidet die Geister in vielerlei Hinsicht: Einerseits stellt sich die Frage: Wie verkraftet eine Mittelstadt wie Graz mit 250.000 EinwohnerInnen und einer florierenden Handelsstruktur, nicht in der Innenstadt und der Annenstraße, die dahindarbt, für die es zwar Konzepte gibt, wobei die Politik aber nicht reagiert, ein weiteres EKZ dieser Größenordnung. Die dafür verantwortlichen Politiker haben ursprünglich argumentiert: Wir brauchen, um die Wirtschaft zu stärken und um auch unsere Altstadt zu stärken, und um die Annenstraße neu zu beleben, dieses EKZ. Das soll die Antwort auf die EKZ auf der grünen Wiese sein. Wir beschäftigen uns heute mit genau dieser Frage: Ist das tatsächlich die Antwort auf die EKZ auf der grünen Wiese? Wie wirkt sich dieses EKZ auf die Wirtschaftskraft, auf den Stadtkern aus? Welche verkehrstechnischen Folgen hat der Bau dieses EKZ?....."

"....Dr. Holger Pump-Uhlmann kommt aus Braunschweig. Er ist Autor und Hsg. des Buches „Angriff auf die City“. Herr Pump-Uhlmann ist freiberuflich tätig, lehrt aber auch an der TU Delft. Sein Zugang zum Thema ist der eines betroffenen Bürgers in Braunschweig, wo der Otto-Konzern ein EKZ baute..."

> Impulsreferat von Dr. Holger Pump-Uhlmann:

„Ich war und bin interessierter Bürger einer Stadt, in der ein solches großes innerstädtisches EKZ gebaut wurde. Mir wollte an der Argumentation der Stadtoberen einiges nicht einleuchten. Ich habe so manches hinterfragt und mich informiert, mich berufsbedingt mit einigen Kollegen in anderen Städten, an anderen Orten und in anderen Professionen kurz geschlossen. Da merkte ich, dass ich in Braunschweig nicht auf einer einsamen Insel lebe, sondern dieses Problem viele Städte betrifft und, dass es eine große Problematik nicht nur in Deutschland sondern in vielen europäischen Ländern darstellt. Warum dies so ist, möchte ich Ihnen gleich darstellen:

Mit den innerstädtischen großen EKZ hat man eine dritte architektonische Revolution des Einzelhandels. Im 19. Jahrhundert hatte man die Passagen, im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert die großen Warenhäuser, das, was wir jetzt erleben, den Einzug der großen innerstädtischen Shoppingcenter, bringt eine neue Dimension in die Städte und unterscheidet sich auch von den Vorgängertypen. Warum solche EKZ geplant werden, ist klar. Einerseits möchte man dieses Center von der grünen Wiese in die Innenstädte holen, weil man sich dadurch eine Belebung der Innenstädte verspricht, andererseits möchte man verloren gegangene Kaufkraft zurückholen.

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, und einiges werde ich dazu heute auch noch sagen können. Wissenschaftliche Untersuchungen zu den Wirkungsweisen solcher EKZ werden von den politischen Entscheidungsträgern geflissentlich komplett ignoriert. Vor 15 Jahren sagte schon ein wichtiger Städteplaner in Deutschland: "Die Mall genügt sich selbst, sie braucht kein Umfeld, in das sie sich einbettet, sie braucht gerade den Kontrast, das Strukturlose. Und das gilt nicht nur für die grüne Wiese, sondern auch für das Innerstädtische". Nach den mittlerweile gemachten Erfahrungen mit den innerstädtischen EKZ wurde ganz schnell deutlich, dass damit auch erhebliche Risiken für die Städte verbunden sind. Darauf werde ich später noch eingehen. Ich werde dieses Kurzreferat in zwei Teile gliedern, in Daten und Fakten, die ich für unerlässlich halte, einerseits und Wirkungsweisen andererseits.

Bevor man sich mit den Problemen und Wirkungsweisen innerstädtischer EKZ auseinandersetzt, lohnt sich ein Blick auf die Daten und Fakten von Shoppingcentern, um die Frage zu beantworten, warum sie so erfolgreich sind, was sie kennzeichnet, wie sie funktionieren. Ich beziehe mich dabei in erster Linie auf Deutschland, ich konnte die Zahlen für Österreich auf die Schnelle nicht ermitteln, denke aber, dass sie ähnlich sind wie in Deutschland.

Die Entwicklung von Shoppingcentern von 1965 bis heute verlief rasant, insbesondere in den 1990er Jahren. In Deutschland stieg die Zahl der Shoppingcenter von 2 auf 372 im Jahr 2006, dadurch wurden in dieser Betriebsform über 12,2 Mio m² Verkaufsfläche erzeugt. Gegenwärtig sind in Deutschland nochmals 80 Center mit mehr als 2,2 Mio m² Verkaufsfläche in Bau oder in Planung. In anderen europäischen Nachbarländern ist diese Entwicklung sehr ähnlich, etwas moderater, aber bezogen auf die jeweilige Bevölkerungsstruktur sehr ähnlich.

Ein wichtiger Aspekt in Zusammenhang mit der Verkaufsflächenexplosion ist die Frage der Sättigung der Verkaufsflächen, bezogen auf die Bevölkerungszahl. Das ist interessant: Im europäischen Vergleich hat Österreich mit ca. 1,9 m² Verkaufsfläche im Einzelhandel pro EinwohnerIn mit der Schweiz europaweit den höchsten Wert. In Deutschland beträgt dieser Wert 1,3 m², in Großbritannien lediglich 0,7 m². Österreich hat 2,5 Mal so viel m² Verkaufsfläche pro Einwohner.

Shoppingcenter sind eine äußerst erfolgreiche Einzelhandelsbetriebsform, wie ein Vergleich der Umsatzentwicklung der ECE-Gruppe im Vergleich zum gesamten Einzelhandel in Deutschland veranschaulicht. Während die gesamte Einzelhandelsbranche in Deutschland zwischen 1994 und 2005 fast nur Krisenjahre mit schwindenden Umsätzen zu verzeichnen hatte, schrieb die Hamburger ECE bis auf 2002 und 2003, da war die Euro-Umstellung, deutlich schwarze Zahlen. Dieser wirtschaftliche Erfolg ist der Grund dafür, dass diese Betriebsform ihren Siegeszug fortsetzt, ja, sie als Heilbringer für den krisengeschüttelten Einzelhandel angesehen wird. ECE hatte in diesem Zeitraum zwischen 5% und 2% Gewinne pro Jahr zu verzeichnen, in Deutschland hatte der Einzelhandel generell Umsatzrückgänge zu verzeichnen (-4,5 – 0%).

Der räumliche Aufbau eines Shoppingcenters erfolgt nach international erprobten Standards. Je nach Ausbildung meist als so genannter Hanteltyp oder Knochentyp verfügt das nach außen geschlossene Center über zwei bis vier Eingänge. An den Enden der überdachten Laufwege, diese Laufwege werden Malls genannt, sind die so genannten Verkaufsmagneten oder Anchorstores, wo sie die Topfilialisten, Elektromärkte oder Bekleidungsmärkte wie H & M finden. Dazwischen reihen sich unterschiedlich große Shops, deren Sortiment und Lage nach verkaufspsychologischen Kriterien angelegt sind. In den Knotenpunkten der Malls befindet sich meist ein so genanntes Forum mit vorwiegend gastronomischer Nutzung. Die Größe der Baustrukturen im Vergleich zu den vorhandenen Strukturen der gewachsenen Städte ist beachtlich, sie stellen in der Regel einen Maßstabssprung dar, da die Shoppingcenter keine Rücksicht auf die vorhergehende Parzellenstruktur nehmen und sich in aller Regel nicht in Blockstrukturen einbinden lassen.

Die Shoppingcenter erweitern die vorhandenen Laufwege der innerstädtischen Fußgängerbereiche oder Hauptgeschäftsbereiche erheblich. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen zum Kaufverhalten zeigt sich bei vielen Probanden eine Ermüdung nach ca. 1,2 km zurückgelegter Fußwegstrecke. Wenn nun ein innerstädtisches Shoppingcenter mit ca. 30.000 m² den vorhandenen Fußgängerbereich dort um ca. 1 km Laufweg in den Verkaufsetagen verlängert, so kann das nicht ohne drastische Auswirkung auf die Passantenfrequenz der vorhandenen Einkaufsbereiche der Innenstadt bleiben. Wenn wir 55.000 m² Verkaufsfläche haben, dann werden bei vielen KonsumentInnen die gesamten Laufwege natürlich deutlich noch über diesem einen Kilometer liegen. Das heißt, wenn man in der Tat dort ein Vollsortimentvorfindet, deshalb hinfährt und sich in dieser Einkaufsmall aufhält, wird man danach wenig Kraft oder Lust oder Interesse haben, in die benachbarten Einkaufsbereiche zu gehen. Dieser psychologische Effekt ist ungeheuer wichtig und wird gern übersehen. Also auch hierin, nicht nur in der architektonischen Ausprägung, ist eine Autarkie des Zentrums zu verzeichnen, weshalb das einen großen Nachteil ausmacht.

Die Architekturen der Center unterscheiden sich kaum in ihrem äußeren Erscheinungsbild. Die Investoren bedienen sich sehr häufig eines standardisierten Repertoires, das ihrer Corporate Identity entspricht. Im Gegensatz zur Inszenierung der Eingänge werden die restlichen Fassaden als überproportionale Werbeträger ausgebildet, die sich sehr negativ auf das Stadtbild auswirken. Wie keine andere Einzelhandelsarchitektur zuvor macht das innerstädtische EKZ die sich seit dem 19. Jahrhundert abzeichnende Tendenz zu immer größeren Einzelhandelsagglomerationen deutlich. Während das Kaufhaus oder die Passage noch der Stadt ihr Gesicht zuwandten, wenden sich innerstädtische Shoppingcenter von ihrem städtischen Umfeld ab, kehren ihnen lediglich ihre Rückseite zu. Auch wenn diese Tendenz schon in den Kaufhäusern der 1960er Jahre zu beobachten war, ist sie doch mittlerweile derartig ausgeprägt, dass sie eine ernstzunehmende Gefahr für gewachsene Stadtstrukturen darstellt. Gleiche Marken und gleiche Filialisten sowie das einheitliche Gewand des jeweiligen Centerentwicklers sorgen für ein allerorten gleiches Erscheinungsbild.

Ich fasse nochmals die wesentlichen Daten und Fakten zusammen:
- Einzelhandelsverkaufsflächen im Shoppingcenter boomen.
- Allen demographischen Zukunftsprognosen zum Trotz gibt es in Deutschland eine Shoppingcenterexplosion. Vielleicht ist es hier in Österreich ähnlich.
- Die Shoppingcenter erstreben Autarkie, sind baulich auf sich selbst bezogen. Ihre ausgedehnten Flächenansprüche bestimmen die Standortwahl. Dabei wird auf den Mainstream im Einzelhandel gezielt, d.h. auf ein Markenbewusstsein, d.h. dass überall die gleichen Filialisten als Mieter gesucht werden. Dadurch und durch die wirtschaftliche Vorgabe der Investoren weisen sie ein ähnliches Erscheinungsbild auf. Böse Zungen sagen, wer eines kennt, kennt alle.

Nun komme ich zu dem zweiten Komplex, zu den Wirkungen von innerstädtischen Shoppingcentern.

Wirkungen von Einkaufszentren insbesondere in zentralen Lagen können sich auf dreierlei Weise bemerkbar machen:
1. in absatzwirtschaftlicher Hinsicht. Das heißt, das Einzugsgebiet ist zu untersuchen, in dem die Kaufkraft gewonnen wird, die Veränderung der Kaufkraftziffern, Zentralität, Umsatzkennziffern sind relevant.
2. Daneben gilt es natürlich zu berücksichtigen die räumlich-funktionale Veränderung z.B. der Lagequalitäten, der Passantenfrequenzen, der Boden- und Mietpreise, der Nutzungsintensität und Art von Läden.
3. Und schließlich gibt es baustrukturelle Veränderungen. Eingriffe in das historische Innenstadtgefüge sind zu verzeichnen, architektonische Ausdrucksweisen und deren Auswirkungen müssten berücksichtigt werden, ebenso Fragen des Denkmalschutzes und natürlich der Stadtbildpflege. Entsprechend gilt es bei der Ansiedelung diese Arten von Wirkung mit Hilfe von unabhängigen, von Seiten der Kommune zu beauftragenden und zu zahlenden Gutachten einzuschätzen. In Deutschland gibt es in vielen Fällen das negative Beispiel, dass solche Gutachten zwar von der Kommune beauftragt, aber vom Investor bezahlt wurden. Sie können sich vorstellen, was dann bei diesen Gutachten herauskam.

Auf Grund der langen Erfahrung können generell folgende Aussagen getroffen werden:
1. Die Größe und die Struktur der Einrichtungen bedingen im Wesentlichen die Umsatzverteilung im bestehenden Einzelhandel.
2. Die Lage gibt wichtige Hinweise auf die Möglichkeiten der räumlichen Integration.
3. Die bauliche Struktur und Offenheit bestimmt das Maß der funktionalen und gestalterischen Bezugnahme auf die Stadt.

Konsequenzen für das betroffene Zentrum bzw. die historisch gewachsene Innenstadt, gibt es je nach Lage am Standort: Unmittelbar neben der bestehenden Hauptgeschäftlage verdichtet es das bestehende Zentrum, ein Standort am Rand der Geschäftslage erweitert diese, ein von der Hauptgeschäftslage abgesetzter entwickelt ein eigenständiges Zentrum.

Zu den absatzwirtschaftlichen und räumlich-funktionalen Auswirkungen:
Wenn eine Kommune sich zur Ansiedelung eines Shoppingcenters entschließt oder von den Investoren dazu überreden lässt, denn so ist es heute, so verbirgt sich auf deren Seite meist die Hoffnung dahinter, dass sich die Einzelhandelszentralität der Kommune im interkommunalen Wettbewerb deutlich erhöht und verlorene Kaufkraft zurück gewonnen werden kann bzw. ortsgebunden bleibt. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass in vielen Fällen bei der Neuansiedlung eines Shoppingcenters tatsächlich eine Erhöhung der Zentralitätskennziffer zu verzeichnen ist, dass es aber genauso häufig Fälle gibt, in denen die Zentralität nach dem Bau eines Centers weiter stagnierte oder gar weiter zurückging.

Forschungsergebnisse der diplomierten Hamburger Ökonomin Monika Walter von der Uni Hamburg ergeben, dass der Bau eines Centers kein Garant für eine steigende Einzelhandelszentralität ist. Bei 30 Städten mit Centern, die sie untersuchte, stellte sie einen marginalen Anstieg der Zentralitätsentwicklung von 1,2 % fest, bei 40 Städten ohne Center einen Rückgang von 0,7%. Ebenso bemerkenswert ist dabei, dass es gleichermaßen Gewinner und Verlierer bei Städten mit und ohne Center gibt. Das heißt, der Bau eines Shoppingcenters ist kein Garant dafür, dass Kaufkraft zurück gewonnen werden kann.

Ein anderer Aspekt, der indirekt den Erhalt vorhandener Stadtstrukturen negativ beeinflusst, betrifft die Leerstände gewerblicher Flächen in traditionellen Verkaufszonen der Innenstädte und damit der historische Bausubstanz. Ich denke, das ist in einer Stadt wie Graz ein ganz wesentlicher Aspekt.

In den in der Studie der Uni Hamburg untersuchten Städte mit Centern war der Rückgang der Mieten in 1A-Lagen im Zeitraum 1994 – 2006 deutlich stärker als in Städten ohne Center. Mit den Mietrückgängen bzw. Leerständen sind in Folge weniger Investitionen in den Erhalt vorhandener Bausubstanz verbunden. So gingen bspw. in der Stadt Siegen zwischen 1997 und 2002 die Mieten in der dortigen Altstadt, der Oberstadt, um 38% zurück. In den schlimmsten Fällen werden in den in ihrer Lagequalität deutlich zurückgestuften Bereichen Trading-down-Prozesse eingeleitet, d.h. es setzt eine Abwärtsentwicklung ein, die vom Fachgeschäft über Billigfilialisten, 1€-Shops und Versicherungsagenturen über Piercingstudios bis zum Leerstand führt. Diese Abwärtsspirale kennt man aus vielen Städten und sie verläuft überall gleich.

Zu den Auswirkungen auf die Baustruktur und das Stadtbild:
In Folge der Neuansiedlung werden in aller Regel die städtebaulichen Maßstäbe gravierend verändert. Großflächige Baustrukturen lösen kleinteilige ab, geschlossene Fassaden treten an die Stelle konventioneller Fassaden. Der Typus des klassischen hohen Geschäftshauses wird von dem nach innen orientierten Center verdrängt. Die Attraktivität des öffentlichen Raumes nimmt im Verhältnis zur Gestaltung der Einkaufswelten ab, kann nicht mehr mit diesen konkurrieren. Ein neues Stadtverständnis tritt in Konkurrenz zu dem vorhandenen. Durch den Einzug neuer Großbauten wird nicht nur der Maßstab verändert, auch das Stadtbild erfährt einen Wandel. Mit der Entwicklung neuer Verkaufsflächen ist naturgemäß auch das Absterben bereits vorhandener Einkaufsbereiche verbunden. In Städten mit einem großen Bestand an historischen Bauten kann das dazu führen, dass Baudenkmäler von ihren privaten Besitzern nicht mehr unterhalten werden können, weil ihre wichtigsten Mieter, nämlich die Einzelhändler, abhanden kommen. In Städten wie Schwerin, einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern mit sehr hohem Denkmalbestand bspw. wurden Investoren zur Sanierung historischer Bausubstanz mit der Bekanntgabe des Baus eines Einkaufszentrums regelrecht abgewürgt. Mit fatalen Auswirkungen auf den Bestand der dortigen Baudenkmäler. Zum Teil entstehen völlig veränderte Stadtbilder, die rücksichtslos mit den vorhandenen Blickbeziehungen oder der Silhouette der Stadt umgehen. Während in den Fußgängerzonen die Werbetafeln der Geschäfte den Wettkampf untereinander mit der vorhandenen Differenziertheit der Hausfassaden aufzunehmen versuchen, dienen die Fassaden vieler Setter den Marken ihrer Mieter als großflächige Werbeträger. Auch dieses Branding hat eher etwas mit peripheren Gewerbeansiedlungen zu tun, denn mit einer Anlehnung an traditionell geprägte Stadtbilder. Ein auf Grund standardisierter Details ähnliches Erscheinungsbild von EKZ trägt darüber hinaus ganz wesentlich zu einer Uniformität des Stadtbildes bei. Der mit der Ausbildung eines Corporate Designs verbundene Verlust an urbaner Identität kann auf Dauer weder dem Center noch der Stadt nützen.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der positive Ansatz, den innerstädtischen Handel durch großflächigen Einzelhandel in den Innenstädten zu beleben, nur in den seltensten Fällen mit den vorhandenen Stadtbildern historisch gewachsener Städte in Einklang zu bringen ist. Der Typus eines Shoppingcenters entspricht einem gänzlich anderen Stadtverständnis als unserem traditionellen Verständnis von der europäischen Stadt mit seinem differenzierten Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Es kann nicht im Interesse unserer Innenstädte sein, diese ausgerechnet mit dem Stadtbild zu transformieren, das sich durch introvertierte Einkaufswelten ausgebreitet hat. Die Folge wird ein schleichender Identitätsverlust der Innenstädte sein.

Die Frage nach der Ansiedlung eines innerstädtischen EKZ wird zurzeit von einem rein ökonomischen Denken dominiert. Von Seiten der Entwickler mag dieses ja verständlich erscheinen, das ist ihre Aufgabe, das ist ihr Geschäft. Die Tatsache aber, dass sich die Lokalpolitik das zweckrationale Denken der Entwickler zu Eigen macht, stimmt bedenklich. Wenn die politische Interessenvertretung der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt nicht begreift, dass es in erster Linie eine baukulturelle Frage ist, ob und wie großflächiger Einzelhandel in unsere Innenstädte zu integrieren ist oder weiteren Einzug erhält und welche Folgen damit verbunden sind, dann werden unsere Städte einem dramatischen Wandlungsprozess unterzogen, der zu einer irreversiblen Transformation ihres Erscheinungsbildes führt.“

> BUCHTIPP

Angriff auf die City
von Walter Brune, Rolf Junker, Holger Pump-Uhlmann (Hsg.)

Kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten und nicht integrierten Shopping-Centern in zentralen Lagen. Gegen die Verödung der Innenstädte durch Einkaufszentren.

2006, Droste Verlag

ISBN-10: 377001264X
ISBN-13: 978-3770012640

EUR 16,00

Verfasser/in:
Dr. Holger Pump-Uhlmann
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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