09/03/2008
09/03/2008

sonnTAG 217

Llewelyn Moss in "No Country for Old Men" (USA, 2007)

ARCHITEKTUR DER GEWALT

„No Country for Old Man“

Das Räsonnieren über Gewalt im Film ist ein alter Hut. so alt, dass er bereits ziemlich „speckig“ ist. Gewalt und ihrer Zwillingsschwester Sexualität sind die klassischen Verkaufsargumente für das Massenmedium, Ingredienzien für das Vaudeville. Die Regie-Brüder Ethel und Nathan Coen haben dieses Jahr für ihren Film „No Country for Old Man“ neben den zwei Hauptpreisen „beste Regie“ und „bester Film“ auch den Oskar für die beste Bearbeitung eines Originalstoffes – das gleichnamige Buch von Cormac MacCarthy – und einen Oskar für die beste männliche Nebenrolle – Javier Badem als Killer Anton Chigurh“ - abgeräumt. Wenn dem Oskar-Gewinner also der Ruf besonderer Gewalttätigkeit vorauseilt, so what?

Aber möglicherweise hat sich die Akademie mit jener hellsichtigen Intuition, die man gelegentlich an Hollywood schätzen gelernt hat, für „No Country for Old Man“ entschieden, weil der Film tatsächlich eine „neue Qualität“ der Gewalt, wie der alte Terminus lautet, zeigt. Die düstere Arbeit der Coens zeigt diesmal eben keine durch „höhere Ziele“ gerechtfertigte Heldengewalt, kein Endlosfeuerwerk infantiler Lust, auch keine reinigende, will heißen Trieb abführende „Katharsis“. „No Country for Old Man“ legt eher eine unsichtbare Struktur der Gewalt aus. Die Frage ist, inwieweit sich in einem hoch gelobten, global wirkenden Kunst- und Industrieprodukt, wie es Film nun mal ist, die Struktur der Globalisierung überhaupt spiegeln kann… Globalisierung und Gewalt haben gemeinsam, dass sie weniger aus Dingen als aus Beziehungen, aus Spannungen, Entwicklungen und deren Opfern bestehen: unsichtbare Phänomene, deren Auswirkungen verheerend sind. Also doch, womöglich wider besseres Wissen, eine Altmännerargumentation für eine neue Qualität der Gewalt im Film?

Virulent ist das Thema spätestens seit 2005, als der elegante Gangsterfilm David Cronenbergs mit dem pompösen Titel „History of Violence“ Aufmerksamkeit erregte. Wie schon Gary Cooper 50 Jahre zuvor in Anthony Manns “Der Mann aus dem Westen“ lebt der wunderbare Viggo Mortensen in „History of Violence“ aber seinen amerikanischen Traum einfach weiter, nachdem er buchstäblich alle Menschen aus seiner Vergangenheit ausgelöscht hat. Aber dieser Traum – die Verfolgung des Glücks unter dem Dach von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ist in Zeiten der Globalisierung blass geworden. Umgedreht machte Cronenbergs Titel mehr Sinn: „Violence of History“. Dazu gehörten dann das Verschwinden der Friedensbewegung, die Aufrüstung Japans, Afghanistankrieg, Irakkrieg, Palästinakonflikt, der Kampf gegen den Terrorismus, die wachsende Ungleichheit in der ersten, aber auch zwischen den ersten und den übrigen Welten, die Gefängnisgesellschaft USA, die Unterdrückung der Frauen, Kindersoldaten, …usw.

Was spiegelt sich davon in einem Gangsterfilm der Coen-Brüder, der während der Achtzigerjahre im Südwesten der USA angesiedelt ist? Der Vietnam-Veteran Moss (Josh Brolin) stößt bei der Antilopenjagd auf den Schauplatz eines Massakers – verstreute Leichen, ein angeschossener, um Wasser bittender Mexikaner, zig Kilo Rauschgift und zwei Millionen Dollar. Moss schnappt sich den Geldkoffer, kehrt aber – großer Fehler - nächtens zurück, um dem Mexikaner Wasser zu bringen. Noch mehr mexikanische Gangster, sie nehmen Moss unter Feuer, er entkommt zwar, aber sein zurückgelassener Wagen verrät seine Identität…, abgesehen davon, dass zwischen den Banknoten sowieso ein Peilsender steckt. Moss schickt seine Frau Carla Jean zu ihrer Mutter, bevor er, die Mexikaner, das Syndikat in Gestalt von zwei konkurrierenden Killern, Carson und Anton Chigurh, am Hals, ziemlich vergeblich versucht, sich in tristen Motels zu verstecken. Irgendwann, nach vielen, vielen Leichen, entdeckt Moss den Peilsender, schießt Chigurh an und entkommt seinerseits schwer verwundet. Während Moss in einem mexikanischen Spital regeneriert, erschießt Chigurh seinen Konkurrenten Carson. Per Telefon verspricht er Moss, den er jedenfalls umbringen wird, auch seine Frau Carla Jean zu töten, sofern er die zwei Millionen nicht rausrückt. Moss will seine Frau von El Paso aus mit dem Geld in Sicherheit bringen und es dann mit Chigurh aufnehmen. Aber bevor Carla Jean in El Paso einlangt, erschießen die Mexikaner Moss. Der Sheriff kommt wieder mal zu spät. Chigurh hält sein Versprechen und tötet Carla Jean, inzwischen Moss Witwe.

Dazu fallen einem natürlich Don Siegels „Charly Varrick“ oder auch Peckinpahs „Getaway“ ein. Nur haben „Aufsteiger“ wie Walter Matthew oder Steve McQueen unter den Bedingungen einer Globalisierung, deren Prinzip hier der enigmatische Killer Anton Chigurh (Javier Bardem) verkörpert, eben keine Chance mehr. Bezeichnenderweise tötet Chigurh seine Opfer oft mit einem druckluftbetriebenen Schlachtschussapparat für Rinder. Augenscheinlicher lässt sich die Reduktion der Opfer auf das liebe Vieh nicht zeigen:
Stimmvieh oder Opfer der Weltbank und des IWF, deren Entscheidungen Sozial-, Gesundheits- und regionale Wirtschaftssysteme matt setzen. Auch die Unverhältnismäßigkeit der Mittel entspricht. Wenn Chigurh einen Wagen braucht, einen Nachportier passiert, oder einfach tankt, bringt er den Betreffenden einfach um, billiger geht es nicht. Das Stillhalten seiner wie hypnotisierten Opfer erinnert dabei an die bekannte Passivität gegenüber globalen Phänomenen.

“No Country for Old Man“ präsentiert eine Architektur geschichteter Gewalt. Die Basis bildet das vergleichsweise ineffiziente, staatliche Gewaltmonopol, repräsentiert in der Person des Sheriffs Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones). Immer zu spät kommend, trauert der Veteran, ehe er in Pension geht, dem alten Westen nach und beklagt eine gewalttätige Zivilisation, die vor die Hunde geht. Aber solche Haltungen sind obsolet. Der Western, als Inbegriff agrarischer, feudaler Strukturen, wurde nicht nur abgelöst vom urbanen Thriller, auch die an ihn gebundenen „Erzählungen“ verlieren ihre Bedeutung. Moss Entschluss, dem Mexikaner Wasser zu bringen, bringt ihn erst mal nur in Todesgefahr. In „Getaway“ schafft es das Ehepaar McQueen und Ali MacGraw noch über die Grenze nach Mexiko. Moss und Carla, Niemandspaar der Gegenwart hat keine Chance.

Effizienter als die Polizei ist da schon die rationale Gewalt des organisierten Verbrechens, dessen Exponent der Killer Carson geradezu manisch Details seiner Umgebung zählt und keine Daten vergisst. Die mexikanischen Drogentypen sind die irrationalere Variante dieser blutigen Erben des Fordismus. An nächster Stelle der Hierarchie rangiert der Todesengel Anton Chigurh, dem Geld gleichgültig ist, obwohl er das Prinzip der Globalisierung am reinsten verkörpert. Deren strukturelle, aber blinde Gewalt ist gewissermaßen seine Religion. Er lässt seine Opfer gottgleich Kopf oder Zahl um ihr Leben spielen und den Auftraggeber, der ihm Carson nachschickt, tötet er mit religiösem Furor.

Gefährlicher als Anton Chigurh ist nur noch der blinde, nackte Zufall. Im Cormac McCormans Buch wird Moss, der mögliche Held, aus reinem Zufall von einem unbeteiligten Junkie erschossen (im Film ist das etwas undeutlich). Und Anton Chigurhs Wagen wird, nachdem der Killer Carla Jean getötet hat, zufälligerweise von einem anderen Wagen gerammt. Der Todesengel entkommt dem Verkehrsunfall gerade noch schwer verletzt. Anton Chigurh wird als „verrückt“ aber auch nach eigenen Regeln handelnd beschrieben, als verletzbar aber – fürs erste jedenfalls – auch als unsterblich. Das alles erinnert sehr an Irrationalität, Verletzbarkeit und Unvermeidlichkeit von Finanzmärkten. Oder liegt da ein eklatanter Fall von Beziehungswahnsinn vor? Ein Merkmal der Gewalt sind ja schließlich diese Gewissheiten.

„No Country for Old Man“ (USA, 2007. Regie: Brüder Ethel und Nathan Coen), zu überprüfen im Filmzentrum im Rechbauerkino (09.03.–12.03.2008, 17.15 Uhr und 19.30 Uhr; Anm.) und in der UCI Kinowelt Annenhof (09.03.-13.03.2008, 18.10 Uhr und 20.30 Uhr; Anm.).

Filmzentrum im RECHBAUERKINO
Rechbauerstraße 6, A-8010 Graz
T 0316/83 05 08
filmzentrum@filmzentrum.com

UCI Kinowelt Annenhof
Annenstraße 29, 8020 Graz
T 0316/72 77

WILHELM HENGSTLER ist Filmregisseur und Autor, ausgezeichnet mit dem Manuskriptepreis 2004, lebt in Judendorf/Strassengel bei Graz.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler
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