23/03/2008
23/03/2008

sonnTAG 219

Foto: Ute Angeringer-Mmadu

OSTERGESCHICHTE

Wilhelm Hengstler

Die Frühlingssonne schickte ihr Licht durch die Blätter des Kastanienbaumes und schräg in mein nach Westen liegendes Zimmer, wo ich über das Elend von Dauerschuldverhältnissen grübelte. Keine Angst, das ist eine richtige Ostergeschichte, auch wenn sie in einer Zeit spielt, als es noch keine Elektronik in Autos gab, und durchgebrannte Lichtmaschinen, statt einfach ausgetauscht zu werden, von Hand neu gewickelt wurden. Es läutete und meine Tante führte einen großen Kerl herein und nahm ihm den Hut ab.
Ob ich der Besitzer des Ford FK 1000 sei, der jetzt drüben bei dem Autohändler in der Lazarettgasse stünde, fragte der Mann mit heftigem Tiroler Dialekt.
War, sagte ich, war.
Meine Tante murmelte, dass ich besser für die Staatsprüfung lernen sollte und verließ das Zimmer. Wir haben ihn zu viert von einem Bäcker namens Ladenhauf gekauft. Vielleicht ist ihnen der Schriftzug unter dem Grau aufgefallen, das wir über die Karosserie gepinselt haben.
Ist der Wagen zuverlässig?, fragte der Tiroler, waren sie mit ihm zufrieden?
Für uns war entscheidend, dass der FK 1000 im Gegensatz zum VW-Bus eine durchgehende Ladefläche hatte. Unser Chefmechaniker war Bernd, ein kraushaariger Riese mit abfallenden Schultern und der unreinsten Haut, die man sich denken kann. Eigentlich hätte er für die Anatomieprüfung lernen müssen. Nach der Lichtmaschine mussten wir nur mehr das Lager des rechten Hinterrades austauschen, Fenster in die Karosserie einfügen, eine Sitzbank einbauen, den Laderaum mit Regalen versehen, neue Reifen aufziehen, und den LKW als PKW umtypisieren lassen - dann hatten wir fast ohne Aufwand den idealen Campingbus.
Sie hatten keine Probleme mit ihm?
Na ja, zu Ostern wollten wir weg, und vorher transportierten wir noch einen Schrank aus der Bergmanngasse zu Wolfgang, einem der Mitbesitzer. Bei der Hinfahrt kontrollierte gegenüber in der Feldgasse die Polizei. Wir passierten und schleppten den Schrank hinauf zu Wolfgangs Garconniere in der Kärntnerstraße. Bernd wollte eine andere Route zurück nehmen, aber mich ritt der Teufel. Und wie der Teufel will, fiel unser grauscheckiger Bus der Streife auf. Licht, Bremsen, Papiere, alles in Ordnung. Aber dann nahm einer der Polizisten neben Bernd Platz und sagte, fahren Sie auf die Plakatwand da zu, ich probier dann die Handbremse. Bernd schielte über die Schulter nach mir, der von der Rückbank aus die Entwicklung verfolgte. Er gab Gas, die Plakatwand mit der PEZ-Werbung ragte vor uns auf, und der Polizist zog die Handbremse. Er blickte entgeistert auf den Griff in seiner Hand, während das Lächeln des blonden PEZ-Girls auf der Plakatwand zersplitterte. Wir hatten uns noch keine Zeit genommen, das Zugseil der Handbremse, das erst nach der Typisierung gerissen war, auszutauschen. In die Bergmanngasse mussten wir dann zu Fuß weiter und meine Tollkühnheit kostete uns – für mich als Fahrzeughalter, für Bernd als Fahrer - ungefähr so viel, wie der Kaufpreis des Fords ausgemacht hatte.
Wie viel war das?
Wir haben 8000 Schilling für ihn ausgegeben. Die Geldstrafe saßen wir dann allerdings über Ostern im Gefängnis ab. Und ich kann Ihnen sagen, dass sich alles, was man an Negativem über das Polizeigefängnis in der Paulustorgasse hört, auf das Schlimmste bestätigt hat.

Meine Tante kam mit einer großen Vase voll Palmkätzchen herein, von deren Zweigen leer geblasene, schön bemalte Eier baumelten. Einige von ihnen waren mit Miniaturen von Verena, auch ein Mitbesitzer, bemalt. Was für die Inkas der Codex Argenteus oder für die Normannen der Teppich von Bayeux, wurden für uns diese bemalten Ostereier.
Da, schauen Sie. Bernd und ich sitzen hinter Gitter.
Aber der Ford hat an sich klaglos funktioniert?, fragte der Tiroler.
Wir sind dann erst die nächsten Ostern los. Für Bernds Eltern, beide Lehrer aus dem Sudetenland, die nun in Ligist unterrichteten, stellte das Medizinstudium ihres Sohnes eine Art Aussöhnung mit der Geschichte dar. Schon deshalb hassten sie den FK 1000, der soviel von der Zeit ihres Sohnes beanspruchte. Und mich hielten sie für den Drahtzieher des Unternehmens. Aber bevor wir von Ligist aus Richtung Pack und weiter nach Spanien aufbrachen, legten sie uns noch einen Sack Kartoffel und einen zweiten mit Zwiebeln als
Reiseproviant in den Wagen.
Und wie hat sich der Bus fahren lassen?
Es war ziemlich aufregend wie Bernd den Magirus-Deutz-Zweiachser vor der Passhöhe überholte. Vor allem, weil unser Motor während des Überholvorganges zu stottern begann, um dann, nachdem wir uns vor den LKW gesetzt hatten, völlig auszusetzen. In dem Augenblick schoss auch schon das heiße Wasser aus dem Kühler des Magirus. Bernd ließ unseren Ford verkehrt bergab und auf die andere Straßenseite rollen, eher er wieder einschlug. Der Wagen stand nun quer in Fahrtrichtung. Der LKW-Fahrer blickte herüber, schwankend zwischen dem Verlangen uns zu attackieren, oder sich um seinen zischenden Kühler zu kümmern. Wir sprangen heraus, stemmten uns gegen den Wagen und schoben ihn, während Bernd lenkte, über die Falllinie, bis er mit der Schnauze bergab stand. Auf der Fahrt nach unten sprang der Motor auch wieder an. Ich zeigte dem Tiroler das Ei mit dem LKW. Da, sehen Sie.
Aber der Ford ist weiter gefahren?
Es war noch ein bisschen früh, um Bernds Eltern den Triumph zu gönnen. Bernd vermutete, dass der Wagen zu wenig Benzin ansaugte oder irgendwie Luftblasen in den Treibstoff gerieten. Er zog einen U-Turn, klappte den Motordeckel zwischen den Vordersitzen hoch und wies mich an, den Luftfilter herunterzuziehen. Der Lärm war gewaltig, als wir es wieder den Pass hinauf versuchten.
Als wir den immer noch vor sich hin kochenden Magirus passierten, und unser FK 1000 wieder zu stottern begann, hielt Bernd den Handteller auf den Ansaugstutzen des Vergasers.
Mit dem solcherart aufgefetteten Benzin-Luftgemisch schafften wir es über die Pack. Es bedeutete allerdings, dass wir für den Rest dieser Osterfahrt an den Händen ziemlich stigmatisiert waren.
Die Reiseroute entwickelte sich ansonsten erfreulich. Der Wagen war noch nicht zum Stillstand gekommen, als Wolfgang und ich schon die Essenskiste heraushoben und den Kocher in Betrieb gesetzt hatten. Es handelte sich um unser bestes Stück, eine blaue 4 172-Liter-GAZ-Flasche. Ihren Verschluss durften wir allerdings ja nicht verlieren, weil die leere Flasche sonst nicht mehr gegen eine volle eingetauscht werden konnte. Sorgsam verstauten wir ihn in dem Falz, den das Wagendach innen mit den Seitenwänden bildete.
Aber der Ford ist von da klaglos gefahren?, fragte der Tiroler.
Überholen blieb immer problematisch. Als es im Süden immer heißer wurde, spezialisierten wir uns dann darauf, die unterdimensionierte Benzinpumpe zweimal täglich auszubauen und mit einer selbst geschnittenen Dichtung aus Löschpapier zu erneuern. An sich hätten wir ja viel schneller braun werden müssen, aber wir lagen ja dauernd unter dem Ford. Südlich von Perpignan waren die verbrannten Handflächen und die neue Benzinpumpendichtungen dann zu wenig. Wir besorgten uns also 15 Meter Plastikschlauch, den wir auf der Wagenunterseite verlegten, damit der Fahrtwind das Benzin auf seinem Weg vom Tank zur Pumpe kühlte…Da sehen Sie. Ich tippte eines der Eier an, aber der Tiroler war nicht an Kunst interessiert.
Aber dann habt ihr es bis nach Spanien geschafft?
An sich ja. Nur an der Grenze lachten sich die Zöllner halbtot, als sie auf unsere Zwiebeln stießen. Von nichts gäbe es in Spanien soviel wie von Zwiebeln. Und ausgerechnet die schleppten wir über tausende Kilometer mit!
Und der Wagen?
Bernd steuerte durch eines dieser engen Täler westlich von Roncesvalles und legte gerade für einen Schluck Rotwein den bastumwickelten Fünfliterballon über seinen rechten Ellenbogen, als Verena von der Hinterbank sagte: Bernd, mir kommt vor, ich sitz eigentlich neben Dir. Wolfgang, unser zweitbester Autofahrer, stimmte ihr zu. Mir scheint, dass wir auf einmal nicht zwei- sondern vierspurig fahren. Ich weiß, sagte Bernd, da ist es zu eng, aber am Dorfausgang bleib ich stehen.
Wir begaben uns also wieder einmal in den Schatten unseres zuverlässigen Fords und stellten fest, dass die oberste von 4 Schichten der Blattfeder links hinten gebrochen war. An ein Weiterfahren war nicht zu denken. Mit gewohnter Routine errichteten wir unser Camp und bauten die Blattfeder aus, was bedeutend mühsamer ist, als es sich hinschreibt.
Dann schulterte Bernd das über ein Meter lange Gerät, und wir machten uns auf den Weg zum nächsten Schmied. Die Blattfeder war alles andere als federleicht und bis wir endlich anlangten, kamen wir alle in den Genuss sie zu schleppen. Der Schmied teilte unseren Plan, die Feder mit zwei Bohrungen zu versehen, und sie dann mit Bolzen und Platten zu stabilisieren, allerdings nur so lange, bis er seinen Satz kostbarerer Bohrer ruiniert hatte und sich mit einem Schweißen der Bruchstelle zufrieden gab.
Auf einem der hohlen Eier zeigte ich dem Tiroler drei schmutzige Helden aus dem Norden mit ihrer Last. Auf einem anderen war Verena im Kreis von Kindern, die Sprechblasen produzierten: La chica rubia, mucho trabajo! Am nächsten Tag setzten wir die Reise fort.
Unglaublich robust dieser Ford!, stellte mein großer Besuch fest.
Allerdings brach nach ca. 14 Km die unelastische Schweißnaht wieder auseinander, erzählte ich weiter, und wir schlingerten wieder vierspurig durch das enge Tal. Mit einem zweiten Schmied ergab sich das exakt gleiche Szenario wie am Vortag. Nachmittags, alle 20 Km das Fahrgestell kontrollierend, kämpften wir uns schließlich weiter. Auf der einen Seite schwoll der Bach, auf der anderen Seite rasten die LKWs mörderisch schnell dahin, bis sich langsam vor uns Getreidefelder öffneten, in denen verstreut alte Olivenbäume standen. In der Abenddämmerung hielten wir über dem Atlantik und das Meerwasser brannte in den Malen auf unseren Handflächen und auf den schmerzenden Schultern.
Diesmal zwang ich den Tiroler, sich das Ei auf dem Strauch ganz genau anzusehen. Der FK 1000 stand auf der obersten Klippe, darunter unser GAZ-Kocher, dann waren die Schlafsäcke ausgerollt und ganz unten lagen die bunten Badetücher. Wir schauten auf das Meer, bis wir müde wurden und beschlossen, die Essenskiste mit dem Werkzeug und den Büchern nach Österreich zu schicken. Den anderen Krempel inklusive Ford wollten wir in den Atlantik hinein entsorgen.
Morgens, während meines Abwehrkampfes gegen die Sonne und die Fliegen (unter der Decke entweder die unerträgliche Hitze, oder abgedeckt die kitzelnden, beißenden Fliegen) hörte ich Bernd schon im Werkzeugkasten kramen. Fluchen, Stöhnen und zwei Stunden später lag die Blattfeder auf der Klippe. Bernd schob einen cirka 2 ½ Zentimeter breiten Stahlring – einen so genannten Lagerkäfig – auf die Blattfeder. Der Durchmesser des Ringes war gerade um so viel kleiner, als der Querschnitt der Feder, dass sich der Käfig langsam Richtung Bruchstelle treiben ließ. Bernd nahm dazu den schwersten Hammer und setzte sich eine Taucherbrille zum Schutz für die Augen auf. Nach Stunden, während denen die feinen Stahlsplitter in unsere Hände und Unterarme bissen, befand sich der Ring schließlich genau über dem Sprung. Wir sicherten den Lagerkäfig mit zwei Zeltheringen, die wir ihrerseits mit kleinen Expandern im Fahrgestell verspannten. Einen Tag später fuhren wir los – Richtung Süden.
Sie würden also sagen, dass der FK 1000 jetzt in Ordnung ist?
Immerhin steht er jetzt drüben in der Lazarettgasse, sagte ich, es gäbe aber noch einige Ostereier mit Miniaturen.
Na ja, sagte der Tiroler, der Autohändler wartet auf mich. Und ich bräuchte den Bus, um mein schweres Zeug von Tirol in die Steiermark zu liefern. Mein Zimmer füllte sich langsam mit Schatten.
Und warum nehmen sie sich nicht mehr Zeit fürs Suchen?, fragte ich.
Ich bin Kunstschmied, sagte er. Es geht in der Hauptsache um Kruzifixe für Ostern.
Meine Tante brachte ihm seinen Hut und schenkte ihm zwei Ostereier, die sich in seinen riesigen Händen wie Taubeneier ausnahmen.
Macht es ihnen was aus, sich den Ford noch mal mit mir anzusehen?
Die paar Schritte rüber zu dem Händler fiel mir auf, wie stark der Mann hinkte. Ich komm aus einem Fleischereibetrieb, sagte er, und die Rindviecher haben mir meine Füße völlig zertrampelt. Deswegen hab ich dann ja Schmied gelernt.
Die graue Lackierung des FK 1000 wurde nicht nur vom durchscheinenden, roten Schriftzug des Bäckers Ladenhauf gefleckt, sondern der Winter hatte die Karosserie auch mit einer Art Grünspan versehen.
Nach allem, was sie erzählt haben, müsste der Händler eigentlich von seinen 13.000 Schilling runtergehen, sagte der Kunstschmied.
Uns hat er nur 7000 gegeben.
Er muss zuverlässig sein, sagte der Mann, der mich um Haupteslänge überragte, bei dem schweren Zeug, das ich transportiere.
Der Händler machte argwöhnische Augen, erkannte mich aber erst, als ich dem Tiroler den Lagerkäfig zeigte, der noch immer unverrückt auf der Blattfeder saß. Ich öffnete die Hecktür und tastete in der Rinne unter dem Dach nach dem Verschluss der GAZ-Flasche. Genau da, wo ich ihn letzte Ostern vergessen hatte.

WILHELM HENGSTLER ist Filmregisseur und Autor, ausgezeichnet mit dem Manuskriptepreis 2004, lebt in Judendorf/Strassengel bei Graz.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler
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