27/04/2008
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Lichtgestalten
Bilder einer Berlin Begehung. Teil 2

Von Emil Gruber

Im Anfange jonglierte ein recht experimentierfreudiges Wesen in seinem im Ausbau befindlichen Vorgarten mit Milliarden von äußerst nachhaltig brodelnden Feuerbällen.
„Es werde Licht“, war als Start von allem schwer in Ordnung und ein hundertprozentiges Ja, natürlich.
„Nicht hell genug“, meinten die Nachfahren zweier aufrecht gehender Prototypen, die das Wesen am Ende seines Kreativzyklus gebaut hatte. Anstatt Tag Tag und Nacht Nacht sein zu lassen, drängte der Mensch schnell nach selbst bestimmter Erleuchtung.
Er quetschte Pflanzen im noch bescheidenen Kampf ums erste Öl, presste Talg aus Tieren, es stank und es brannte und es wurde wieder Licht,
Zuerst begann es in den Höhlen zu flackern, später in den ersten Bauten.
Mit dem schwarzen Gold wurde das nächste Wundermittel entdeckt. Petroleum und Gas entdunkelten weiter die Nacht.
James Bowman Lindsay, ausgerechnet ein Schotte, warf 1835 das erste elektrifizierte Licht in den Raum.
Durch Thomas Edisons Strategie, Marketingkonzepten mindestens gleich viel Platz wie Erfindungsreichtum zu geben, leuchtete eine Glasbirne mit Kohlefaden das finstere Zeitalter knapp fünfzig Jahre später endgültig aus.
Und das Wesen, das ja seit dem siebten Tage ruht, sah, dass es gut war. Nun konnten die Menschen endlich arbeiten, solange sie wollten. Rund um die Uhr.

Der größte Berliner Zoo öffnet seine Menagerien erst nach Sonnenuntergang. Dort sitzen, stehen, lehnen oder brüten sie, manchmal in Gruppen, meistens alleine. Einige streifen unruhig hin und her, andere wirken erstarrt. Niemand schläft.
Die Käfige befinden sich häufig nicht auf Straßenniveau, keines der zwar dressierten aber wilden Arbeitstiere soll gestreichelt oder gefüttert werden, kein Vorgesetzter tollt monatelang mit einem Nachwuchsangestellten zur Belustigung unzähliger Zuschauer durchs Gehege, damit Aktien steigen.
Das sieht kein Firmenleitbild bei Einbruch der Dämmerung vor. Im Büroalltagsabend. Wenn die Leuchtstoffröhren zünden.
„Es werde Licht“ und solitäre Schatten, die sich bewegen, in den Fenstern.
Leidenschaft? Karriere? Erfolgsdruck? Angst? Probleme zuhause? Allein zuhause? Kein Zuhause?
Nur Vermutungen bleiben.
Im Anfange saßen wir nächtens in Höhlen und hüteten das Feuer – heute sitzen wir wieder und hüten die Arbeit.
Abends durch die Berliner Bürovierteln rund um den Potsdamer Platz zu wandern, löst Mitgefühl aus, mit den Peniblen und Tüftlern, den über die Schreibtische Gebeugten und den in Sitzungen Gestrandeten.
Dann tagträume ich vom totalem Stromausfall.
Kein Licht zu haben, könnte wahre Freiheit bedeuten.
(niedergeschrieben von Emil Gruber, am 24.04.2008, um 23 50 Uhr)

Die Aufnahmen sind Teil des Zyklus „Open Office Light“, Berlin 2006-2007.
Copyright: Emil Gruber

Emil Gruber
lebt in Graz, liebt Berlin.
Bildermacher, Schreiber, Spaziergänger
Kontakt: katmai@aon.at

Verfasser/in:
Emil Gruber
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