03/08/2008
03/08/2008

sonnTAG 238 (english/deutsch)

Foto: Emil Gruber

Foto: Emil Gruber

CONDO (*)

Von Kate Howlett-Jones

Through the window of her condo Annie sees men in white boilersuits spraying the lawn with pesticide. They come every three weeks in summer, and leave notices: Warning, Pesticide Treated Area. The grass is shockingly green: comfortingly sanitised, but so alien it might as well be on a TV screen.
Annie doesn’t like leaving the oatmeal cocoon of her condo except for the bus ride to the superstore to pick up her groceries. Especially in summer, when there’s nothing she can do to stop her thighs rubbing into angry welts, and her hair frizzing up into rusty wire wool that sticks to her forehead.
Ever since Donny left, she has been to the superstore every day. There are three Meijer’s on her route and sometimes she varies her schedule, calling at the Briarwood Meijer’s on Monday and leaving Pittsfield for Tuesday. In the beginning, browsing the cereal aisle, she was grateful for the distraction. Now it is necessary: there is only so much she can carry in one trip. Her sister Theresa nags her to learn to drive, but Annie never gets round to it and anyway she wouldn’t feel comfortable now, squeezed in there with her thighs pushed up against the steering wheel. Although her favourite Meijer’s is Pittsfield, where they lend out electric buggy cars if you want and she’s not exhausted by the time she reaches the checkout.
Beyond the lawn is a little patch of woodland the developers left, bang next to the mailboxes. Winter evenings, the same time as the Happy Days rerun over on the Comedy Channel, a flock of crows flies in from who knows where to roost in the empty branches, and she can hear their cawing even through double glazing and with the volume turned up.
Beyond the trees is the clubhouse. There’s rarely anyone by the pool, but sometimes, coming back from the bus stop, she catches the shine of a sleek bronze back or the plash of a seamless dive. Recently Dr. Young has been recommending swimming as a gentle, supportive form of exercise for the obese. She remembers a time before Donny went when she jogged round the block, getting soaked on the way by giant sprinklers spraying over the sidewalk. When she got back he’d asked if she changed her mind and went to the pool instead, and they’d laughed like crazy.
The pool is as remote to her as Dr. Young’s suggestion she try cycling. Most weekdays a student bikes in from somewhere then takes the bus downtown, throwing his metal skeleton up onto a rack, gulping water from a spout, reeking of sweat and pain. Annie always hopes he won’t try to sit down by her, but he never does.
Recently on the 9:22 bus there’s been a woman with a baby. Annie keeps herself to herself mostly, but this baby has a way of getting to you, a smile that reminds her how Donny once made her feel. She doesn’t get the 9:22 any more. She takes longer over breakfast, looks out at the lawn, gets the 9:52 instead.

CONDO

Durch das Fenster ihres Apartments kann Annie die Männer in weißen Overalls dabei beobachten, wie sie den Rasen mit Pestiziden besprühen. Alle drei Wochen im Sommer; sie stellen Warnschilder auf: Achtung Pestizide! Der Rasen ist giftgrün, extrem gepflegt und irgendwie unwirklich, wie ein Bild aus dem Fernsehen.
Annie verlässt ihren beigen Wohnungskokon in der Wohnanlage nicht gerne, nur für die Busfahrt zum großen Supermarkt, um ihre Einkäufe zu tätigen. Im Sommer ist es besonders schlimm, weil sich ihre Schenkel aneinander wund reiben und ihr Haar zu rostiger Drahtwolle wird, die auf der Stirn klebt, und sie kein Mittel dagegen hat.
Seit Donny sie verlassen hat, war sie jeden Tag im großen Supermarkt. Auf ihrem Weg gibt es drei Meijer’s Supermärkte, an manchen Tagen nimmt sie einen etwas anderen Weg. Montags den über Briarwood, Pittsfield behält sie sich für Dienstag. Am Anfang war das Stöbern im Gang mit den Teigwaren eine willkommene Abwechslung. Jetzt geht es nicht mehr ohne und sie kann nur eine bestimmte Menge pro Ausflug tragen. Theresa, ihre Schwester, bedrängt sie ständig, endlich fahren zu lernen, aber irgendwie kommt Annie nie dazu. Und jetzt möchte sie auch gar nicht mehr, so eingeklemmt wie sie hinter dem Lenkrad wäre, ohne Platz für ihre Schenkel. Naja, ihr Lieblings-Meijer’s ist allerdings der in Pittsfield; dort gibt es nämlich kleine Elektrobuggies für die Kunden und man ist nicht so erschöpft, wenn man zur Kasse kommt.
Hinter dem Rasen liegt ein kleines Stück Wald, das der Bauträger stehen gelassen hat, gleich neben den Postkästen. An den Winterabenden, immer zur gleichen Zeit, wenn „Happy Days“ auf dem Comedy Channel wiederholt wird, lässt sich ein Schwarm Krähen (von irgendwo) für die Nacht in den leeren Ästen nieder. Sie hört ihre heiseren Schreie trotz der hochgedrehten Lautstärke durch die doppelten Scheiben.
Hinter den Bäumen liegt das Clubhaus. Ganz selten ist jemand am Swimmingpool. Manchmal aber, wenn sie von der Bushaltestelle zurückkommt, fällt ihr Blick auf einen glänzend braunen Rücken, oder sie hört wie jemand mit einem perfekten Kopfsprung ins Wasser taucht. Dr. Young hat vor kurzem erst erwähnt, dass Schwimmen eine empfehlenswerte, weil schonende und wirksame Sportart für Übergewichtige sei. Bevor Donny wegging, war sie da nicht regelmäßig um den Block gelaufen? Oft war sie nass geworden, weil sie zu nah an den Wassersprengern vorbeilief. Donny fragte sie dann, ob sie statt zu laufen in den Pool gesprungen wäre, und sie lachten sich kaputt.
Der Pool ist so weit weg für sie wie Dr. Youngs Vorschlag, sie solle es mit dem Radfahren probieren. Unter der Woche radelt oft ein Student von irgendwoher bis zur Haltestelle und nimmt den Bus ins Zentrum. Er wirft das Metallgestell in den Halter, trinkt gierig Wasser und der Schweiß rinnt in Strömen vom geplagten Körper. Annie befürchtet, dass er sich einmal neben sie setzen könne, doch er tut es nie.
Seit kurzem steigt eine Frau mit einem Baby in den Bus um 9:22 Uhr. Annie konzentriert sich meist auf sich selbst. Aber dieses Baby hat etwas, das sie rührt. Ein Lächeln, das sie daran erinnert, wie sie sich mit Donny fühlte. Jetzt nimmt sie den um 9:22 nicht mehr. Sie dehnt das Frühstück aus, schaut auf den Rasen und nimmt den um 9:52.
(*) CONDO steht für Condominium, eine typische amerikanische Apartmentanlage mit Swimmingpool.

Kate Howlett-Jones ist 1971 in England geboren. Studium Französisch/Russisch an der Universität von Oxford. Wohnt in Graz, verheiratet, 2 Kinder. Sie arbeitet als Übersetzerin und Journalistin. Ihre Kurzgeschichte "Cataract" erscheint dieses Jahr bei Ziji Publishing. Howlett-Jones arbeitet momentan an einem Roman mit dem Titel "Slip Away".

Übersetzung: Susanne Baumann-Cox, Y plus

Verfasser/in:
Kate Howlett-Jones
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