28/11/2010
28/11/2010

Hans Fraeulin nach einer durchwachten Nacht im Zug Graz - Zürichsee (Videoclip siehe LINK). Foto: Hans Fraeulin

Während das Bundesbahnamt der Deutschen Bahn den Bau der Entlastungsschnellstrecke Stuttgart – Ulm verbietet und damit dem Basistunnel-Paradoxon Rechnung trägt, haut die österreichische Verkehrsministerin die nächste Milliarde für den Koralmtunnel drauf, dessen Widersinn beiderseits der Grenze von Genie und Wahnsinn mehr und mehr erkannt wird.

Die heimische Presse nimmt jeden Rülpser aus italienischen Bordellen sorgfältig wahr, der Brennerbasistunnel sei so gut wie bezahlt. Ein einsamer Emeritus empfiehlt dem akademischen Nachwuchs, nicht am Ring spazieren zu gehen, sondern sich das Geld für die Unis an den Tunnelportalen abzuholen. Besorgte Bürgerinitiativler vom Semmering bitten den Finanzminister gegen den Investitionskaufrausch einzuschreiten und erhalten als schlampige Weisheit aus der Klippschulpädagogik, was man einmal angefangen habe, müsse man auch zu Ende bringen.

Jeder Geschäftsführer einer Bank oder Aktiengesellschaft, jeder ordentliche Kaufmann hat von Gesetzes wegen ein Projekt sofort zu stoppen, wenn er erfährt, dass es sich in absehbarer Zeit nicht rentieren wird. Längst wissen wir alle, es wird sich nie rentieren. Frau Bures und Herr Pröll führen die Republik geradeaus in die Pleite. Sie landen nicht im Gefängnis, sondern werden abgewählt. Das kann dauern. Wer in prekären Verhältnissen lebt, leert schon mal die Häferln in der Kredenz von der Oma und richtet sich auf harte Zeiten ein, während die Bundesregierung mit schiefem Lächeln verkündet, sie habe sich für ein weiteres Jahr gute Laune verschafft. Alle hätten sich wieder an die Hausordnung gehalten, wonach jeder mit seinem Geld machen kann, was er will. Aber wenn schon die Verkehrsministerin das Geld aus der Mineralölsteuer mit vollen Händen ausgeben darf, warum ausgerechnet in absurde Tunnelprojekte investieren?

Wir brauchen dringend Waggons. Loks hat die ÖBB genug. Dass nurmehr mit Bussen nach Venedig gefahren wird, hat einen einzigen guten Grund – zu wenig Wagen für die Schiene. Die Städteschnellzüge verhökert, die Eurofima-Wagen für den Railjet-Spleen umgepinselt, da darf es niemanden wundern, dass nicht einmal Graz – Linz bedient werden kann.

Aber die Leute beschwindeln, das sei zu teuer, und andere Bahngesellschaften mit kleinlichem Getue daran hindern, die vakanten Destinationen zu übernehmen, das kann die ÖBB. Es hat die Frau Bures dafür kein Geld, dass wir nicht mehr in klapprigen überfüllten Nachtzügen durchgeschüttelt werden, wenn wir uns europäische Kulturstädte anschauen wollen. Wir könnten ja klüger werden als Frau Bures. Und das darf nicht sein. Den Leuten zu neiden, dass sie etwas aus der Fremde zu erzählen wissen, ist eine andere Seite der Xenophobie, deren Opfer ich einmal werden sollte. Fremdenfeindlichkeit ist eine Grundhaltung, die sich seit Enzensberger bereits beim Betreten eines Zugabteils manifestiert. Gegen die Paranoia war nichts zu machen und ich nahm den Hut.

De mortui nihil nisi bene – über Tote nur Gutes, ist der Grünen Mantra zur Bahn. Die ÖBB sind zwar zur Sekte verkommen, drauf und dran, mit dem Fahrplan als Bibel vor der Brust kollektiven Selbstmord zu begehen, aber noch nicht tot. Gegen Kritik haben sie sich sorgfältig immunisiert, immer Gegenbeispiele parat und jederzeit bereit, der Kundschaft absurde Vorschriften zu machen. Schamlos wird die Öffentlichkeit belogen oder von den eigenen Schandtaten abgelenkt. Mit ihrem dummen Geschwätz hören sie nicht einmal auf, wenn ihnen diskret vermittelt wird, es würden ihnen Fachleute zuhören.

Eine Schote von vielen, die ich noch abziehen könnte: Während die ÖBB-Infrastruktur (!) eine Pressekonferenz vorbereit, in der sie darüber jammern wird, nicht auf benachbarten Gleisen fahren zu dürfen, was nicht stimmt, erlebe ich im Grenzbahnhof Jesenice genau das Gegenteil, dass ein slowenischer Eisenbahner mit seiner Mehrsystem-Taurus-Lok und 25 Containern am Haken nicht nach Österreich weiterfahren darf. Vielleicht hatte er keine Lizenz für Österreich, vielleicht auch, weil die ÖBB-Infrastruktur damit knausert. Vielleicht war er eine Sie. Sie bekäme nicht einmal als Österreicherin eine Lizenz.

Jeder Lokwechsel an Österreichs Grenzen, jede Landkarte, auf der jenseits der Grenze nichts mehr steht und die beweisen soll, wie wichtig neue Verkehrswege und Stromleitungen für das Land sind, weist auf den Rückstand im Denken hin. Ahnungslose Zeitgenossen werden mit Kostenspielereien beim Umstellen von Links- auf Rechtsverkehr von den eigentlichen Problemen abgelenkt. Chefredakteure schicken den unbedarften Nachwuchs, der noch im dritten Semester nicht weiß, wer Kisch und Kraus gewesen sind, zum Einseifen in die ÖBB-Pressestelle. Das Unternehmen weiß nicht einmal, wie viele nachts arbeiten, zu schweigen davon, wie viel ihre Dienstleistungen kosten. Die Zahlen, welche die Stilllegung von Nebenstrecken belegen sollen, sind völlig aus der Luft gegriffen. 345,6% Innendienstaufschlag pro Fahrkarte oder Schienenmeter müsste eine solche Rechnung lauten – aberwitzig. Glück für das ÖBB-Management, dass sich das niemand mehr näher anschauen will.

Die wenigsten haben mitbekommen, wie die Bilanz der Asfinag geschönt wurde, indem die Kaninchenparadiese entlang der Autobahn zu überhöhten Preisen an die ÖBB zwangsverkauft wurden. Noch mehr Schulden für die ÖBB zu bedienen. Den meisten ist das entgangen, was sich unter den Augen der Ministerin abgespielt haben muss. Unsere Ministerin verantwortungslos, der Finanzminister mit Spruchweisheiten aus dem Bauernkalender, ein hechelnder Bundeskanzler – wie lange noch?
Die Koalition aufkündigen, in Neuwahlen um die Führung im Lande rittern und mit den Grünen zusammenarbeiten wird das Beste sein. Bei den Grünen haben sich gescheite Fachleute aller Ressorts gesammelt, die für mehr Sachkenntnis und Verantwortung in der Politik sorgen könnten. Leider müssen sie sich in der eigenen Partei mitunter durchbeißen. Latente Inputresistenz in den Vorständen ist auch noch zu beklagen, aber kein Vergleich zu den anderen Parteien. Die Freiheitlichen aller Couleurs sollen Opposition spielen. Daran haben sie auch die größte Freud‘. Fertig ist die nächste Inszenierung des immer gleichen Dramas Österreich.

KURZBIOGRAFIE:
Hans Fraeulin ist Diplom-Volkswirt mit Studienpraxis in der Stadt- und Regionalplanung, Journalist. Regiestudium, Theaterleiter, Inszenierungen eigener Stücke, fünf Jahre Kinderbeauftragter der Stadt Graz, lehrte zuletzt an einem Zentrum für Sozialberufe Theater und Medien.

Verfasser/in:
Hans Fraeulin

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+