28/02/2018

STADT, LAND UND?

Es hat mit allem was zu tun!

Der Artikel von Theresa Reisenhofer erscheint im Rahmen der fünfteiligen Serie ArchitektInnen und das Land.

Die Reihe präsentiert Details und Ergebnisse von Interviews, die Theresa Reisenhofer, Absoventin des Masterstudiums Architektur am Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz, 2017, mit verschiedenen Architekturschaffenden geführt hat. 

28/02/2018

Die industrielle Kulturlandschaft der Massenproduktion: das Spar-Frutura Gewächshaus in Bierbaum, Gemeinde Bad Blumau

©: Theresa Reisenhofer

Wohnen und Arbeiten in einem Haus – eine Baukultur aus dem Notwendigen: ein Vierseithof in Bierbaum, Gemeinde Bad Blumau

©: Theresa Reisenhofer

Es hat mit allem was zu tun!

„Es handelt sich niemals nur um einen Niedergang der Baukultur, sondern dieser ist begleitet und bedingt durch die Verarmung des sozialen und kulturellen Lebens insgesamt: ein Niedergang des Vereinslebens, der kulturellen Angebote. Fast in jedem Ort kann man feststellen, dass vor 30, 40 Jahre viel lebendigere Angebote bestanden haben, sowohl im kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich, als auch in der Nahversorgung und der Vielfalt des Handwerks. Im Vergleich zur Vergangenheit sind viele Orte heute wie ausgestorben. Die Apotheke oder die Drogerie, die Bäckerei, das Kino gibt es nicht mehr, den Drechsler, den Tischler gibt es nicht mehr und so weiter. Diese funktionellen Reduktionen sind keine kulturpessimistische Fantasie, die damit einhergehende Verarmung ist evident. Die Bekleidungsvorschriften und der Druck zum Kirchgang haben sich in den vergangenen Jahrzehnten gegen Null hin reduziert, was ist aber an die Stelle getreten? Wenig außer einem gewachsenen Konsumdruck!“ (Auszug aus dem Interview mit Roland Gnaiger)

Konsum ist der logische Baustein einer flächendeckenden Industrialisierung, Globalisierung und Digitalisierung und stellt uns dabei in den Fragen zu Stadt, Land und Landschaft vor neue Herausforderungen und Probleme. Alles hat seinen Preis und auch der Fortschritt, in den wir alle eingewilligt haben. Zu allen positiven Möglichkeiten können wir in unserer Umgebung die Folgen erkennen. Wir haben die Jahrhunderte alte Tradition von Kulturlandschaft – das manifestierte Zusammenspiel von Mensch und Natur – verloren zugunsten einer gleichförmigen, rationalisierten und kapitalistisch geformten Weltordnung.
Mit dem Ende der traditionell kultivierten Landschaft haben sich die Menschen von der Natur und ihren Zwängen getrennt. Die Auswirkungen sind unverkennbar, egal ob sie gut oder schlecht sind, sie sind irreversibel. Was zuvor in der Kulturlandschaft lokal bezogen wurde, was eine lokale Bautradition, ein lokaler Baustil mit sich brachten, kann nun von jedem beliebigen Ort konsumiert werden.
Die gegenwärtige Baukultur und die Kulturlandschaft stehen dabei in einem unmittelbaren Zusammenhang. In der Verdrängung der traditionellen Kulturlandschaft liegt die Herausforderung für die ArchitektInnen zur Schaffung einer Baukultur, die trotz der Wandlung bestehen und an die Geschichte anknüpfen kann, um identitätsstiftend zu werden und zu bleiben. 
Wenn wir von Baukultur sprechen, müssen wir uns eingestehen, dass es ein aus dem städtischen Kontext, aus der Distanz, entstandener Begriff ist. Die traditionelle Baukultur aus der Landwirtschaft hat sich selbstständig und durch das System einer Kultur der Not und der dazugehörigen Landschaft entwickelt. Somit ist der Begriff Baukultur im Sinne einer Kulturleistung für Personen, die in diesem tradierten System verankert sind, schwer zu begreifen. So wird die Natur von einem Landwirt oder einer Landwirtin anders betrachtet, als von LandschaftsplanerInnen beziehungsweise ArchitektInnen, die sie gestalten oder StadtbewohnerInnen, die sich darin erholen.
Gleichzeitig zum stattfindenden räumlichen und gesellschaftlichen Wandel im technischen Fortschritt, besteht in der Gesellschaft ein tief verankertes Bewusstsein vom Gegensatz Stadt – Land und dem Landschaftsbegriff selbst. Dem Landschaftsbegriff wird eine Vielzahl von Bedeutungen zugeschrieben und die Sichtweise auf den ländlichen Raum wird von Idealvorstellungen getrübt. So bildet der Landschaftsbegriff sehr oft eine tradierte Wunschvorstellung aus historisch geformten Bildern, sowie aus Bildern der Werbeindustrie. Diese Klischeebilder sind allgegenwärtig. Bei den LandbewohnerInnen ist trotz ihres zeitgenössischen urbanen Verständnisses die Vorstellung einer ländlichen und bäuerlichen Lebensweise stark verwurzelt, obwohl sie selbst mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben. Es ist zum Beispiel der Selbstbau, der der traditionellen Landwirtschaft entstammt, noch immer ein wichtiges Thema beim Errichten des eigenen Heimes und auch das Urvertrauen gegenüber HandwerkerInnen und dem Gewerbe, das eine Notwendigkeit der ArchitektInnen nicht begründet.
Dennoch wäre es hier falsch zu sagen, dass früher alles besser war und wir zurückkehren müssten. Dem ist nicht so. Es geht darum, die zeitgenössische Kultur zu verstehen und auch zu hinterfragen, ihr nicht bedingungslos zu folgen. Sich zu fragen, was Baukultur heute bedeuten kann, wenn sie eigentlich aus einer Kultur des Überlebens stammt und zu einer Kultur des Überflusses überführt wird. Unsere Zeit bietet eine Unzahl von Chancen und Möglichkeit, die auch unsere Wahrnehmung einer eingesessenen Wertvorstellung von Land, Stadt und Landschaft verändern kann und neue Potenziale eröffnet, wie aus dem folgenden Interviewausschnitt mit Albert Kirchengast hervorgeht:

„Betroffen war ich auf ganz andere Weise, als ich mit Franz Riepl unlängst im Mühlviertel unterwegs war und sich mein Bild des Landmenschen verändert hat, da ich im Bauern einen ganz heutigen Unternehmer erkannt habe: da sitzt man um den Stammtisch, erdig, rau – durchaus dem Klischee entsprechend –, produziert aber stolz Bio-Leberkäse oder Frischkäse für den europäischen Markt. Ich sage nicht, dass das einfach ist, aber es ist möglich. Und es ist auch möglich, urbane Qualitäten, wie die Verfeinerung eines Produktes, zu importieren, dennoch aber kein urbaner Mensch zu sein. Im Wiener Cafe' Anzengruber würden sich diese Tischgenossen nicht wohlfühlen. (…) Das verlangt unsere Zeit nicht nur vom zeitgenössischen Landwirt, sondern sie macht es auch möglich. Sie macht es möglich, dass ein Mühlviertler Leinenproduzent mit exquisiten Produkten international auftritt, aber in der lokalen Tradition verankert ist.“ (Auszug aus dem Interview mit Albert Kirchengast)

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