09/02/2004
09/02/2004

"The Unit" sind, in Stückzahlen gemessen, die erfolgreichsten Architekten Österreichs

Von Oliver Elser

Über den Reiz eines Produkts entscheidet nicht selten die Verpackung. Bücher machen da keine Ausnahme. Zum Beispiel Sex, der gerade noch jugendfreie Fotoband, den Madonna 1992 herausbrachte. Um die Zensoren der Ära George Bush sen. zu besänftigen, war das Buch in eine silbrige Hülle eingeschweißt, was den angenehmen und sicher sehr verkaufsfördernden haptischen Nebeneffekt hatte, dass es schon knisterte, bevor man das erste Bild gesehen hatte.

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis das erste Architekturbuch in derselben Aufmachung auf den Markt kommen würde. Nun ist es so weit: "superdiscounit" steht auf der schwarzen Plastikverpackung und drinnen steckt ein Bilderbuch, das eigentlich nur an Architekten über fünfunddreißig verkauft werden dürfte. Aber die Sitten sind ja schon seit Generationen so verlottert, dass es im Grunde auch wieder egal ist. Der Inhalt lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Ein Architekturbüro mit dem alles und nichts sagenden Namen The Unit strebt nach der Weltherrschaft und beginnt zunächst in Österreich eine Reihe wichtiger Konzerne so zu unterwandern, dass kein Kind mehr wird aufwachsen können, ohne mindestens einmal pro Woche ein Gebäude von The Unit zu betreten. Gestaltet ist das Buch als knallharter Architektenporno: kein Drumherum, keine Pläne oder Erklärungen, einfach Seite um Seite nackte, gebaute Tatsachen. Beim Durchblättern meint man die Euroscheine knistern zu hören: drei Filialen für die Verkehrskreditbank, vier für die Generali Versicherung, drei Merkur-Märkte, zwölf Jet2web-Shops, vierzehn Mondo/Bipa-Kombimärkte, zwanzig Filialen der Post und schließlich 365 Bipa-Geschäfte sowie gut drei Dutzend weitere Bank- oder Versicherungsfilialen, Messestände, Bürogebäude. Zwei, maximal drei Fotos pro Projekt und weiter zur nächsten Nummer. Das Buch will nicht überzeugen, nicht überreden, es soll überwältigen.

Doch der rasante Aufstieg von The Unit war zu Ende, bevor das Buch die Druckerei verlassen hatte. Die beiden Partner, Georg Petrovic und Wolfgang Bürgler, haben sich getrennt und gehen jetzt eigene Wege. Eine gute Gelegenheit, um zu fragen, wie Architektur unter den Bedingungen maximaler Verkäuflichkeit entstehen kann.

Ortstermin bei Wolfgang Bürgler, der nun unter dem Namen LIMIT firmiert. Im Sitzungsraum stehen noch die Reste einer Präsentation herum. Die Werbeagentur section.d hat für LIMIT ein Corporate Design entworfen, das sämtliche Bereiche des Architektenalltags abdeckt: Für Besuche beim Kunden gibt es Transporttaschen mit der Aufschrift SHOWIT, auf den Memo steht READIT, die Adressaufkleber sagen SENDIT und die Zündholzschachterln sind mit BURNIT bedruckt.

Section.d ist auch gleich das Stichwort. The Unit hat eng mit dieser Agentur zusammengearbeitet und war daher in der Lage, Projekte auf allen Maßstabsebenen durchzuarbeiten. Vom Shopkonzept bis zum Plastiksackl. So etwas ginge nicht mit jedem, es müsse auf beiden Seiten die Bereitschaft geben, ein allumfassendes Produktdesign zuzulassen, sagt Bürgler. Die Werber müssten im Raum, die Architekten im Medium der Grafik denken können.

Ist das die Neuauflage des alten Traums der Moderne von der grenzenlosen Gestaltung? Peter Behrens war wohl der erste Architekt, der für seinen Auftraggeber, die AEG in Berlin, ab 1907 als Architekt, Produktdesigner und Grafiker arbeitete. Sein Zeitgenosse Henry van de Velde ging so gar so weit, zur privaten Villa nicht nur Mobiliar und Geschirr, sondern auch der Hausherrin ein neues Abendkleid zu entwerfen. Das war exzentrisch und verrückt, aber andererseits hatte die große Ausdifferenzierung noch nicht stattgefunden, in deren Folge dann Gestaltungsexperten für jede Lebenslage bereitstanden. Die Architekten haben die Büchse der Pandora nicht wieder zuklappen können, aus der die Apostel der guten Form heraussprangen und jede Selbstverständlichkeit mit einem neuen Design überziehen wollten. Adolf Loos hat das sehr früh erkannt und mit Spott übergossen, doch vergeblich.

The Unit ist da viel pragmatischer. Man hatte das Glück, zur passenden Zeit am richtigen Ort seine Ideen präsentieren zu können. Mitte der Neunzigerjahre machte die wirtschaftliche Entwicklung einen Sprung nach oben. 1996 ging das deutsche Unternehmen Rewe in Österreich auf Shoppingtour und kaufte unter anderem Billa, Bipa und Merkur. Vom kleinen MPreis-Imperium in Tirol war schon in den Jahren zuvor erkannt worden, dass Architektur ein zunächst teures, auf lange Sicht aber wirkungsvolles Mittel sein kann, um Kunden an sich zu binden. Rewe nahm das Rennen auf und suchte in kleinen Wettbewerben nach neuen Ideen für die langweiligen Blechkisten am Rande der Stadt. Und The Unit ging mehr als einmal durchs Ziel. Man hatte aufmerksam die internationale Architekturszene beobachtet, die damals gerade den diskreten Charme des Minimalismus entdeckte. Also wurden die viel zirkulierten Vorbilder aus der Kunst der Sechzigerjahre neu zusammengesetzt: An eine Stahlkiste von Donald Judd schraube man zwei grellbunte Leuchtröhren von Dan Flavin, multipliziere mit dem Faktor 1000 und fertig ist der nächste neue Merkur-Markt.

Sonderlich innovativ war das nicht, sollte es aber auch gar nicht sein. Sondern wirkungsvoll und überwältigend. Kristallpaläste als Leuchtzeichen in der Peripherie. Der gestalterische Ehrgeiz galt eindeutig der Hülle, während im Inneren die Planer der Handelsfirma den eigenen logistischen und verkaufspsychologischen Rezepten folgten. Mit The Unit stand ein Partner bereit, der sich selbst als Dienstleister definierte. Georg Petrovic, die zweite Hälfte der Unit, wirkt etwas gequält, wenn er das erzählt. Er sehe sich mittlerweile lieber wieder als klassischer Architekt, der vom Entwurf bis zur Detailplanung alles in seiner Hand wisse. So faszinierend es auch gewesen sei, so viel Masse zu produzieren - jetzt würde es ihn nicht mehr befriedigen, nur noch in "Leitkonzepten" zu denken, die andere dann umsetzen. Werbeagenturen hätten es da einfacher und würden für das Erstellen von Corporate-Design-Anleitungen auch ungleich höher bezahlt. Für The Unit sei das eben doch in erster Linie ein Zusatzangebot gewesen, um die Projekte mit dem verkaufsentscheidenden Mehrwert aufzuladen.

In der österreichischen Architektur wird der Schub, den The Unit ausgelöst hat, wohl noch lange spürbar bleiben. Man braucht nur nach Deutschland zu schauen, also ins wahre Heimatland von Billa, Bipa & Co, wo die Blechkisten immer noch Blechkisten sind, in denen verbissene Kunden fernab vom Tageslicht nach Schnäppchen jagen. Die Kolonialstädte der Engländer waren ja auch um einiges prächtiger als die eigenen. Nur ob es in Österreich immer Neon sein muss? Identitätshüllen können manchmal auch in Bambus und Bastmatten wunderbar funktionieren. Das zeigt der durchschlagende Erfolg einer "Organic Food"-Kette namens Trader Joe's in den USA. Und die gehört zur Mutter aller deutschen Billigmärkte, zu Aldi. (DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.2.2004)

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+