02/03/2015

Unkontrollierte Peripherie
Die Zersiedelung des Grazer Umlands

Diplomarbeit von Michael Fruhmann, 2014 im Rahmen des Diplom-Studiums Architektur an der Technischen Universität Graz. Die Arbeit wurde von Univ. Prof. Arch. DI Andreas Lichtblau betreut und ist in der Bibliothek der TU Graz einsehbar.

Thema: Kritische Auseinandersetzung mit Zersiedelung, ihren Folgen und wie diesen durch Ergreifen von Potenzialen – hier am Beispiel Hausmannstätten – begegnet werden kann.

Die GAT-Reihe young planning präsentiert Entwürfe, die im Rahmen von Diplomarbeiten an österreichischen Technischen Universitäten und Fachhochschulen entstanden sind. Die Arbeiten werden auf Empfehlung von ProfessorInnen und StudiengangsleiterInnen ausgewählt.

02/03/2015

Planungsbeispiel Dorfhäuser

©: Michael Fruhmann

Zersiedelung versus Verdichtung

©: Michael Fruhmann

Luftbild Zersiedelung

©: Michael Fruhmann

Siedlungsschwerpunkte in der Region südöstlich von Graz

©: Michael Fruhmann

Planungsbeispiel Schiedlungsschwerpunkt Hausmannstätten

©: Michael Fruhmann

Planungsbeispiel Hausmannstätten, Lageplan _ Nutzung der Auffüllungsgebiete: Grau = Bestand / rot = Kerngebiet / orange = Wohnen + Arbeiten / Gelb = öffentliches Grün

©: Michael Fruhmann

Die Zersiedelung des Grazer Umlands

Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Umgebung von Graz noch geprägt von kleinteiligen, kompakten, traditionellen ländlichen Strukturen. Die Siedlungsausdehnung des Zentralraums führte zur Suburbanisierung und dem Trend zu flächenintensiven Bebauungsformen (15ha Landschaftsverbrauch/Tag in Österreich!). Der anhaltende Zuzug, die sinkenden Haushaltsgrößen, die verminderte Siedlungsdichte, sowie die wirtschaftliche Expansion führten und führen nach wie vor zu unverhältnismäßig großem Flächenverbrauch.

Zentraler Punkt der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Thema ist nicht das Wachstum per se, sondern wie Raumordnung in den Umlandgemeinden stattfindet.

Die Kompetenz zur örtlichen Raumplanung liegt bei den Bürgermeistern und Gemeinderäten, also bei Laien, die nicht immer gänzlich unvoreingenommen sind und nur ihr eigenes Gemeindegebiet betrachten. Diese Kompetenzverteilung im Bereich der Raumplanung sollte dringend überdacht werden. Fehlende Fachkompetenzen führen zu ökologischen, ökonomischen, sozialen und strukturellen Schäden von enormem Ausmaß, die irreparabel sind. Betrachtet man die Wichtigkeit dieser Disziplin und das derzeitige Ausmaß der "Zerstörung" von räumlichem Potenzial, so ist die Forderung nach einer Novellierung nur legitim.

Der steirische Zentralraum soll bis 2030 auf rund eine halbe Million Bewohner wachsen und das sollte nicht der Willkür der vielen Landgemeinden überlassen werden. Was bringen Umweltämter, wenn der Umweltschutz auf der anderen Seite im großen Maßstab mit Füßen getreten wird? Was nützen Gestaltungsbeiräte in Graz wenn im Umland massivste Veränderungen scheinbar unkontrolliert passieren? Was nützt es, Verkehrskonzepte zu erstellen, wenn durch Zersiedelung der Umstieg auf öffentlichen Verkehr nicht mehr möglich ist (Zwangsmobilität)? Bei uns findet man in der überörtlichen Raumplanung viele Ansätze und Verordnungen, wie vernünftige Siedlungspolitik betrieben werden kann und muss(!).Vergleicht man diese Normen mit der Realität, lässt sich leider keine Übereinstimmung erkennen.

Von all den betrachteten Bereichen ist der Raum südöstlich von Graz der am wenigsten regulierte. Hier wird scheinbar ohne Konzept und entgegen sämtlicher vorgegebener Richtlinien, flächendeckend Freiland in Bauland umgewidmet. Die einstigen Ortszentren werden aufgelockert und die Funktionen verlagern sich an die Ortsränder. Landwirtschaftlich genutzte Flächen und Naturräume unterliegen großem Nutzungsdruck und verlieren ihre Durchgängigkeit und Nutzbarkeit.

Mein Lösungsansatz für diese Region ist die Definition von Siedlungsschwerpunkten, in denen eine Nachverdichtung stattfinden soll. Die Größe des Kernbereichs orientiert sich am Prinzip der Fußläufigkeit. Ein weiterer Bereich um das eindeutige Zentrum stellt Flächen bereit, die zwar mit geringerer Dichte, aber ebenfalls geschlossen bebaut werden sollen. Außerhalb dieser Zonen finden keine neuen Umwidmungen mehr statt, eventuell sollten sogar Baulandflächen wieder zurückgewidmet werden. Die Folge dieser Maßnahme ist nicht nur die Begrenzung des Wildwuchses, sondern durch die Reduktion des Baulands, ein Ansteigen des Preises und dadurch ein Schrumpfen der Parzellen, sowie die Nachverdichtung der Baulücken.

In Anlehnung an den Archipel-Urbanismus würden kompakte Wohnquartiere umgeben von Grünräumen entstehen. Durch vernünftige Bebauungsrichtlinien könnten hochwertige öffentliche und private Bereiche gesichert werden. Trotz Beibehaltung von Individualität könnte auch am Land wieder Städtebau und Ortsgestaltung ein Thema werden. Hier kann aufgrund höherer Dichte öffentlicher Verkehr zum Funktionieren gebracht werden, Quartiersbildung, Identifikation und Gemeinschaftsbildung von der Kinderbetreuung bis zur Altenversorgung, eine Funktionsdurchmischung von Wohnen / Arbeiten / Einkaufen / Gastronomie / Gewerbe belebt und stärkt die Zentren.

Anhand des Ortszentrums Hausmannstätten, möchte ich einen solchen Siedlungsschwerpunkt stellvertretend für viele andere Ortschaften näher betrachten. Drei Bereiche sind meines Erachtens in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Die ersten beiden sind Nachverdichtungen der alten Dorfstruktur, sozusagen ein Weiterbauen des traditionellen Ortes. Der dritte Bereich ist ein Gewerbegebiet in Zentrumsnähe, das aufgrund der Eingeschoßigkeit und flächenintensiven Nutzung Potenzial zur Nachverdichtung hat.
Diese drei Planungsbereiche würden knapp 1.200 Menschen Wohnraum bieten, mitten im Ortszentrum und in unmittelbarer Nähe zu Naturräumen. Die Bündelung der technischen und sozialen Infrastruktur innerhalb dieses Zentrums ist leicht zu bewerkstelligen. Bei der derzeitigen Baustruktur würden wahrscheinlich zwischen 30 und 35ha zusätzliches Bauland benötigt. Das würde bedeuten, dass Hausmannstätten vollständig an Fernitz anschließen würde. Leider zeigt die derzeitige Entwicklung, dass dies in den kommenden Jahren geschehen wird, sollte kein Einschreiten erfolgen.

Als Bautypologie für die Umsetzung der Verdichtung habe ich das "Dorfhaus" gewählt (Reihenhaus, Kettenhaus). Das Dorfhaus hat eine öffentliche, also der Gemeinschaft zugewandte Seite und klar definierte private Bereiche. Es vereint also die Vorteile des gemeinschaftlichen Zusammenlebens mit denen des Einfamilienwohnhauses und würde somit die Lücke zwischen urbanem und ruralem Wohnen optimal schließen.
Diese verdichtete Bauform würde die Allgemeinkosten gegenüber der Einfamilienhaus-Bebauung auf die Hälfte(!) reduzieren. Interessant wird es auch für die privaten Bauherren, denn die Dorfhäuser kosten um ca. 1/3 weniger als freistehende.

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