14/12/2005
14/12/2005

Erstes Amphibium von SPLITTERWERK: Wohnbau „Roter Laubfrosch“, Bürmoos (A), 1996. Foto: Paul Ott.

Fluktuierende Gemeinschaften: SPLITTERWERK, aufgenommen von Paul Ott

Heute noch nackt, bald schon aber in blättrigem Kleid: „Grüner Laubfrosch“, St. Josef (A), 2004. Foto: Paul Ott.

„Verhinderung der 3. Dimension“: Wohnbau „Schwarzer Laubfrosch“, Bad Waltersdorf (A), 2004. Foto: Paul Ott

Leerer Raum, multifunktional. Wohnbau „Schwarzer Laubfrosch“, Bad Waltersdorf (A), 2004. Foto: Paul Ott

„Genau so wenig wie der Name mit einem Gebäude zu tun hat, muss auch die Form eines Gebäudes nicht unbedingt von Bedeutung sein.“ Frogscraper, 2005. Bild: SPLITTERWERK.

Rechtzeitig zu Weihnachten wird auch die Architektur dekorativ: Über Ornament, Verbrechen und Pornografie – Das Grazer Architektenkollektiv SPLITTERWERK plaudert aus der Schule.

Im zwanzigsten Jahr seines Bestehens häufen sich nicht nur die Realisierungen von SPLITTERWERK, auch medial wird das experimentierfreudige Grazer Team neuerdings verstärkt wahrgenommen. Zuletzt bei der Architekturbiennale in São Paulo, wo Österreich durch SPLITTERWERK vertreten war, sowie beim steirischen herbst im Rahmen der Ausstellung „Ornament und Display“ im kunsthaus muerz. Der soeben gewonnene Wettbewerb für das Grazer Stadtmuseum (GAT berichtete) bestätigt die ungebrochene Produktivität der Gruppe – Grund genug, SPLITTERWERK nach dem Geheimnis seines Erfolgs zu fragen.

GAT: Dürfen wir ein Foto machen? Die Identität von SPLITTERWERK ist ja noch immer unbekannt.
SPLITTEWERK: SPLITTERWERK ist mehr als nur eine Identität. SPLITTERWERK ist eine Marke, so wie Adidas oder Coca Cola.

GAT: Es gibt ja heute eine ganze Reihe von Architekturgruppierungen, die nicht verraten, welche Personen hinter dem Gruppennamen stecken.
SPLITTERWERK: Es geht uns nicht um das Vorstellen von Personen, sondern um die Inhalte, die mit der Marke SPLITTERWERK transportiert werden. Es passiert oft, dass man Gesichter mit SPLITTERWERK in Verbindung bringt. Das lenkt vom Inhalt ab. Gerade bei Interviews wollen wir darum nicht, dass erkennbar wird, wer nun was gesagt hat.

GAT: Es gibt also kein Foto?
SPLITTERWERK: Es gibt tatsächlich ein Foto von SPLITTERWERK – von Paul Ott, mit dem wir immer wieder zusammenarbeiten. Es zeigt mittels Langzeitbelichtung Personen, die zu unterschiedlichen Zeiten vor der Kamera standen. In unsere Projekte sind viele Personen involviert, auch solche, die im Augenblick nicht bei SPLITTERWERK arbeiten; andere arbeiten erst in Zukunft mit uns. Insofern ist ein gewöhnliches Foto bestenfalls eine Momentaufnahme.

GAT: Die Geschichte von SPLITTERWERK, die ja nun schon seit 20 Jahren andauert, liest sich wie eine Serie von Verweigerungen. SPLITTERWERK verweigert als Personen aufzutreten, präsentiert sich bewusst als Kollektiv, möchte aber andererseits auch kein Architekturbüro sein. Sie sagen selbst, SPLITTERWERK sei ein Label.
SPLITTERWERK: Ich denke, dass diese Definitionen nicht wichtig sind. Ich sehe mich nicht als Architekturbüro und auch nicht als Atelier, sondern als Teil einer Marke, einer Gruppe, eines Netzwerks, das sich mit gewissen Thematiken und Problemen beschäftigt und diese dann Lösungen zuführt. Das kann nun architektonisch oder technisch sein. Es kann die Werbung betreffen oder auch philosophisch, soziologisch oder politisch sein. In dieser Hinsicht ist auch Verweigerung zu verstehen, nämlich weder personell noch inhaltlich eingeengt sein zu wollen.

GAT: Auch Ihre architektonische Produktion ist von Verweigerungen gekennzeichnet. Man erinnere sich etwa an frühe Wettbewerbsbeiträge wie jenen für eine Brücke über die Mur in Graz, die eigentlich ein Floß war; oder an das Projekt für die Gestaltung des Grazer Hauptplatzes, wo SPLTTERWERK statt Marktständen fliegende Händler mit Bauchläden vorgeschlagen hat. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – haben Sie mit Ihrer sperrigen Haltung heute Erfolg.
SPLITTERWERK: Ich glaube, man sollte es anders formulieren: Es ist nicht die Verweigerung, die im Vordergrund steht, es ist auch nicht das Ausbrechen. Es ist der Drang etwas Neues zu suchen. Wir wollen Dinge neu sehen, neu erarbeiten, nach vorne schauen. In dieser Hinsicht sind wir extrem egoistisch. Die Erfolge kommen nicht aufgrund der Verweigerung, sondern aufgrund der Akzeptanz dessen, was wir tun.

GAT: Trotzdem könnte man die Provokationen in Ihren Arbeiten als systematisch bezeichnen – etwa wenn man an die ausgiebige Verwendung von Ornamentik denkt. Loos hat einmal gesagt, Ornament sei Verbrechen: Es sind schon heiße Themen, die Sie da aufgreifen. Das sind Klassiker der Architekturgeschichte.
SPLITTERWERK: Es ist gefährlich, nur Postulaten zu folgen, die andere Personen aufstellen; ich denke, man muss seine eigenen Rahmenbedingungen definieren. Oberflächen verändern jeden Raum genauso wie jede Form. Für uns ist das unheimlich interessant. Auch wenn Loos dagegen sein mag: Dass man mit Oberflächen und Ornamentik erst den Raum definiert, davon sind wir überzeugt. Und wenn etwas weiß ist, dann ist es ja auch ein Ornament.

GAT: Mittlerweile bildet sich auch ein Klientel, das auf Ihre Provokationen anspricht.
SPLITTERWERK: Wenn wir eine Strategie hätten um Bauherren zu keilen, dann müssten wir schon anders vorgehen. Man braucht ja auch Freude, um an etwas zu arbeiten. Wir arbeiten mit viel Aufwand in einem Minisegment, und wenn wir ausgefallene Projekte machen, achten wir natürlich darauf, diese dann auch irgendwie zu vermarkten. So gesehen sind wir eigentlich ziemliche Meister einer Chancenauswertung; denn wir haben nur ganz wenige Chancen.

GAT: Das erinnert an das Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au, das auch dreißig Jahre lang gewartet hat, um seine Ideen zu realisieren.
SPLITTERWERK: Und Ich verstehe, dass Coop Himmelb(l)au heute kommerziellere Projekte machen – obwohl ich es schade finde. Aber ich verstehe es zutiefst.

GAT: Aufregende Architektur für Kunden, die es sich leisten können: Wäre dieser Weg auch für Sie eine Option?
SPLITTERWERK: Im Augenblick ist es bei SPLITTERWERK nicht angesagt, eine Werkkommerzialisierung zuzulassen. Es geht nach wie vor um High-End, und High-End definieren wir mit Qualitätsansprüchen. Diese decken sich nicht mit kommerziell orientierten Bauwerken. Aber für die Zukunft kann man nichts ausschließen.

GAT: Ihre Projekte stellen ja nicht nur für Sie Experimente dar, sie sind auch Experimente für Ihre Klientel.
SPLITTERWERK: Wobei wir es aufgegeben haben, jemanden missionieren zu wollen. Wenn jemand nicht umgehen kann mit dem was wir tun, wird keiner böse sein. Wir glauben nicht, dass wir das Allheilmittel parat haben; wir bieten Möglichkeiten an. Wenn jemand mit uns einen Weg nicht gehen will, dann ist er eben nicht unser Partner.

GAT: Ist die Architektur von SPLITTERWERK im Prinzip wie ein Produkt, das man im Supermarkt kaufen kann? Entweder mag man sie, oder eben nicht?
SPLITTERWERK: Im Idealfall ja!

GAT: Schließen Sie keine Kompromisse?
SPLITTERWERK: Natürlich – wenn einem Auftraggeber etwas nicht passt, dann müssen wir einen neuen Weg finden. Modifikation gibt es aber nur im SPLITTERWERK’schen System, in der SPLITTERWERK’schen Welt. Und die ist sehr groß. Wir haben viele Möglichkeiten, die uns interessieren. Wenn Änderungen in unserem System aber keinen Platz haben, dann haben wir ein Problem. Dann sind wir schon sehr unnachgiebig.

GAT: Auch den Bewohnern Ihrer Architekturen verlangen Sie ja einiges ab – man denke etwa an die Wohnung „Blue Shell“ im Wohnprojekt „Schwarzer Laubfrosch“ in Bad Waltersdorf. Der zentrale Raum der Wohnung ist zwar leer, jedoch ornamental ausgestaltet: Man hat die Gestaltung sozusagen immer vor der Nase. Wie geht es den Bewohnern damit?
SPLITTERWERK: Gerade bei der blauen Wohnung gibt es ein hohes Maß an Identifikation. Es geht sogar so weit, dass uns die Bewohner fragen, was wir zu ihrer Einrichtung meinen - ob zum Beispiel ein Bild hinein passt oder nicht. Es entsteht Interaktion zwischen einem sehr vorbestimmten Raum und den Bewohnern. Darüber hinaus sind um den leere Raum weitere Raumzonen wie Küche, Bad oder Arbeitsplatz angelagert, die durch Faltwände zugeschaltet und völlig individuell gestaltet werden können. Im Extremfall kann man diese Raumzonen verfliesen und ein Hirschgeweih, Bilder oder Poster hinhängen. Was der Bewohner auch immer damit tun möchte, es ist eine absolute gestaltungsneutrale Zone. Wir finden das super.

GAT: Im leeren Raum dürfen sich die Bewohner aber offensichtlich nicht unbegrenzt ausbreiten. Kommt der Architekt ab und zu vorbei und schaut nach, ob alles passt?
SPLITTERWERK: Der Grad der Individualität des leeren Raumes lässt sich durch das Zuschalten der anderen Raumzonen steuern. Man verändert den leeren Raum, indem man das Bad zuschaltet oder die Küche. Dann wird aus dem leeren Raum plötzlich ein Esszimmer. Das ist eine neue Art der Mitbestimmung. Wie die Leute den leeren Raum besetzen, das gleicht ja fast schon einem Sozialporno von Elisabeth T.Spira.

GAT: Die Gewohnheiten der Bewohner sollen inszeniert werden?
SPLITTERWERK: Wir sprechen weniger von Inszenierung als von Multitasking. Vor dem Computer bleibt der Mensch ja auch immer am selben Ort und ändert seine Umgebung ständig – mit dem Programm oder der Homepage, die er gerade betrachtet. Im Fall des Schwarzen Laubfroschs befindet man sich in einem neutralen Raum und verändert diesen durch Hinzuschalten anderer Räume – wobei für uns der Ausblick in die Landschaft die gleiche Wertigkeit hat wie das Zuschalten der Küche oder eine Leinwand, auf der man mit einem Beamer ein Fußballspiel anschaut. Wir ersetzen die Ortsveränderung durch Zeit.

GAT: Wer wohnt im Schwarzen Laubfrosch?
SPLITTERWERK: Menschen aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten - von der Fabrikarbeiterin bis zur Lehrerin. Das Alter der Bewohner liegt zwischen 20 und 45 Jahren – wobei der niedrige Altersdurchschnitt weniger am Gebäude liegt als daran, dass ältere Menschen eher zum eigenen Haus tendieren als zu einer Mietwohnung.

GAT: Sind die Wohnungen ausgebucht?
SPLITTERWERK: Es sind alle Wohnungen vermietet – wobei aufgrund eines Mieterwechsels eine Wohnung momentan noch zu haben ist.

GAT: Zurück zu den Laubfröschen: Dieser Name wurde von Ihnen in mehreren, sehr unterschiedlichen Projekten verwendet. Ist er Programm?
SPLITTERWERK: Beim „Roten Laubfrosch“ von 1996 wollten wir dem Gebäude nur eine Identität geben. Nahe liegend für die Namensgebung war, dass das Gebäude rot war und es etwas mit Wald zu tun hatte, also „Laubfrosch“. Klingt okay, ist freundlich, ist skurril, hat nichts mit dem Gebäude zu tun. Später sind wir mit dem Namen „Laubfrosch“ bekannt geworden. Und nach einiger Zeit baut man wieder ein Gebäude und fragt sich: Wie nennen wir es jetzt?

GAT: Also doch eine eiskalte Werbelinie?
SPLITTERWERK: Es ist ein bisschen wie Surfen auf den Möglichkeiten. Wir wussten, dass das Gebäude in Waltersdorf später bewachsen sein würde mit dunklem Laub, also nannten wir es „Schwarzer Laubfrosch“. Beim Projekt in St. Josef wird das Laub nicht schwarz sein sondern grün: also „Grüner Laubfrosch“. Oft ist es auch Zufall, aber den muss man erst einmal erkennen, bewahren und ausbauen, daran glauben und weiter arbeiten. Der Frosch ist ein Amphibium. Er kann sich verändern und ist mehrfunktional. Ist ein Hybrid, ist Nicht-Moderne, passt zur Zeit, kann man wach küssen, wird zur Prinzessin, ist irgendwie super und beim nächsten Projekt heißt es dann Froschkönig. Zur gleichen Zeit haben wir über Formen nachgedacht, die nichts mit Funktionen zu tun haben. Genau so wenig wie der Name mit einem Gebäude zu tun hat, muss auch die Form eines Gebäudes nicht unbedingt von Bedeutung sein.

GAT: Neuerdings entwickeln Sie ja sogar Hochhäuser in Form von Fröschen – so genannte „Frogscraper“.
SPLITTERWERK: Wir wollten eine Skulptur haben, die Funktionen beherbergt wie die Freiheitsstatue. Ich erinnere mich, dass der Frogscraper ursprünglich als Lipizzaner gedacht war; wir haben im Internet eine Froschform gefunden und uns gedacht, „für Frösche sind wir bekannt – den nehmen wir!“. Was hat das aber in weiterer Folge für Konsequenzen? Wo und wie darf so eine Skulptur stehen? Wie steht der Frogscraper optimal? Diese Fragestellungen ziehen eine Reihe von interessanten Problemstellungen nach sich. Es geht um die Relativierung dieser Form, um eine nicht eindeutige Wahrnehmbarkeit aus verschiedenen Distanzen, um die Mehrdeutigkeit dieses fast amorphen Gebildes. Und es wird spannend.

GAT: Sind solche Projekte Ideengeneratoren? Schritte auf dem Weg zu Projekten, die erst später einmal realisiert werden sollen?
SPLITTERWERK: Nein - wenn jemand jetzt zu uns kommt und sagt, das Projekt mit dem Frogscraper habe ich gesehen, den will ich, dann kann man das eigentlich sofort hernehmen und anfangen zu bauen.

Transkription: Vilja PopovicVERANSTALTUNGSHINWEIS
Am Freitag, den 20.01.2006 um 19:00 Uhr hält SPLITTERWERK im Rahmen der Ausstellung "Ornament und Display" im kunsthaus muerz in Mürzzuschlag einen Vortrag. Die Ausstellung ist noch bis 26.02.2005 jeweils von Donnerstag bis Samstag von 10.00 - 18.00 Uhr und sonntags von 10.00 - 16.00 Uhr zu sehen.

Verfasser/in:
Fabian Wallmüller im Gespräch mit SPLITTERWERK
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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