18/08/2011
18/08/2011

Einladung

e. d gfrerer "im westen nichts neues"; e. d gfrerer "im westen nichts neues"; work in progress. Foto: ©zita oberwalder. Foto: ©zita oberwalder

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e. d. gfrerer "im westen nichts neues"; Konzept. Foto: ©zita oberwalder

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e. d gfrerer "im westen nichts neues", Vernissage: 17.06.2011. Foto: ©zita oberwalder

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Ausstellung e. d GFRERER "im westen (nichts) neues", im Rahmen der Reihe “zwischennordsüdTURM 11.3, in der Turmkammer der Basilika Mariazell. Bis 26.10.2011.

Eigentlich hat E. D Gfrerer selbst schon alles Wesentliche zu seinen künstlerischen Interventionen in Mariazell gesagt:
"die symmetrie der westfassade ist irritiert/gestört. seitlich über dem fast immer verschlossenen hauptportal verläuft eine schnur nach oben/unten, gespannt durch zwei bündelartige gewichter. Dieser aufsteigende/abfallende rahmen verweist auf ein klassisches pilgermotiv - verlust von MITTE. in der turmkammer entsteht eine gegenkonstruktion, welche in/auf den boden verweist."

Es muss hier also nichts interpretatorisch hinzu gedichtet, vielmehr nur näher erläutert werden, was der Künstler selbst in diesen Zeilen angesprochen hat.
Zunächst geht aus dieser Beschreibung hervor, wie dezidiert E. D Gfrerer auf das in Mariazell Vorgefundene reagiert. Das primäre Ausgangsmaterial des Künstlers ist nicht einfach Fichtenholz und Karton oder die übrigen stets ärmlich anmutenden Stoffe, aus denen er seine vielsprachigen Installationen bastelt, sondern eine konkrete Raumsituation, von der er ausgeht, auf die er eingeht. Gfrerer arbeitet gleichzeitig im und am Raum, lässt diesen auf sich wirken und kommt so zu den Notwendigkeiten, die seine Arbeit bestimmen.

Statt einem Raum etwas Vorgefertigtes überzustülpen, entstehen seine Eingriffe in situ, sind Reaktionen auf Merkmale des Räumlichen und auf Ideen, die sich für Gfrerer daraus ableiten lassen. Das bedingt eine konsequente Vorgangsweise. Drei Wochen vor Eröffnung von Gfrerers Turmkammerbespielung war vielleicht klar, worauf sein Tun und Lassen aus sein wird, aber nicht, welche Formen daraus entstehen werden.

Was Gfrerer am Ort seiner Ausstellung in Mariazell vorfand, hat er selbst im Begriff der Symmetrie zusammengefasst. Tatsächlich bestimmt diese – als eine der Haupttugenden abendländischer Baukunst – die Sakralarchitektur von jeher und im Kern. Die Mariazeller Dreiturmfassade macht das überdeutlich. Ihr mächtiger gotischer Mittelturm ist nicht nur Fingerzeig nach oben, sondern in sich auf eine Mitte hin gedacht. Das zeigt sich sowohl in seinem quadratischen Grundriss als auch in seinem zentral gespiegelten Aufriss und wird – bei allem Stilbruch – vom ihn flankierenden, barocken Turmpaar noch einmal unterstrichen. Eine „Turmkirche im Westen“ hätte der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr das Mariazeller Westwerk genannt und daran erinnert, dass schon frühmittelalterliche Schriftquellen oftmals Turm und Kirche gleichsetzen: „turris sive ecclesia“.

Darüber hinaus geht eine zweite Analogie, auf welcher Sedlmayrs Werk zur Entstehung der Kathedrale insgesamt gründet. Sie ist eine programmatische und meint das Abbildungsverhältnis, das Sakralarchitektur (die Kirche als Bauwerk) und Religion (die Kirche als Institution) ganz generell verbindet: Was architektonisch Bild oder Gesamtkunstwerk wird, ist die Vorstellung eines Himmlischen Jerusalems, einer Stadt Gottes, die schon deshalb symmetrisch strukturiert ist, weil Gott „in ihrer Mitte“ ist, wie im Psalm 46 steht.
Von hier aus wird der Pilger, wie von Gfrerer angesprochen, ganz selbstverständlich als jemand deutlich, der aus seiner Mitte ist und eine neue Mitte sucht. Gfrerer irritiert daran offensichtlich die Hierarchie, die notwendigerweise aus der Ordnungsmacht der Symmetrie entsteht und der für ihn im Pilgern eine Symmetrie von bitten und danken entspricht. Also hat Gfrerer die Symmetrie der Westfassade gestört: nicht grobschlächtig, vielmehr dezent, kaum merklich aber effektiv. An der Antriebswelle zwischen Uhrwerk und Norduhr hat sich eine Schnur verfangen. Zwei Gewichte hängen an ihr. Eines baumelt weit oben zwischen Nord- und Mittelturm, ein zweites hängt etwas weiter unten, von einem hölzernen Teil auf Abstand zur Fassade gehalten. In der Turmkammer wird Gfrerer im kritischen Aufgreifen der architektonischen Verhältnisse, im Hinterfragen der Mitte, noch deutlicher. Als vertikalen Raum hat er die Turmkammer erlebt, ihr deshalb ein horitzontales Element verordnet und – wiederum mit einfachsten, seiner Spontaneität entsprechenden Mitteln – eine Zwischendecke eingezogen. Wie eine dünne Haut biegt sich die im Zentrum durch, bildet eine kaum vertrauenswürdige Grundlage für den federballähnlichen Korb, der auf ihr ruht und sich als Gegengewicht zur Turmspitze verhält, indem er auf den Boden verweist und damit auf einen Ort, der im Allgemeinen gerne als Heimat der Tatsachen gedacht wird, in Gfrerers Version aber auch verworfene Skizzen, Ideen birgt.

Ihre Schlichtheit bestätigen diese Interventionen als ironische Gesten: wohl auch gegenüber einem zweiten Werk, das Hans Sedlmayr in etwa zur selben Zeit wie die Entstehung der Kathedrale verfasst hat. Der modernen Kunst, der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts hat Sedlmayr ja in pathetisch-moralisierender Art und Weise einen fortschreitenden Verlust der Mitte , Inhumanität und Orientierungslosigkeit, attestiert.

Dass Gfrerer solche und ähnliche Anspielungen liebt, geht nicht nur aus dem oben zitierten Text hervor. Das zeigt schon der Titel der Turmkammer-Interventionen: im westen (nichts) neues. Jedenfalls sind Gfrerers Gegenkonstruktionen nicht frei von Unterwanderungen, wenn man die Inhalte überdenkt, die sie wörtlich oder in übertragener Form transportieren. Die Gewichte außen sind eigentlich mit Würfelzucker gefüllte Säcke: Lockmittel, um die bald Insekten schwirren könnten wie die sprichwörtlichen Motten ums Licht. Und der Trichter weckt, leicht aber nicht von ungefähr, Assoziationen an eine auf den Kopf gestellte Schutzmantelmadonna.

Die fragilen Objekte beschreiben in ihrer labilen Balance einen Schwebezustand: „die schrittweise sich klärende konstellation von ‚nachbarschaften’ erzählt VOM BEWEGLICHEN IN EINEM AUGENBLICK DER RUHE“, beschreibt der Künstler seine Arbeit. Und meint dabei den Augenblick ganz wörtlich: als Moment, in dem der Betrachter zum Schauen kommen soll. Im Übrigen ist die mit ihnen heraufbeschworene Situation nur temporär. Bald wird sie verschwunden sein, ohne sichtbare Spuren im Raum hinterlassen zu haben. Womöglich wird sie aber im Nachdenken ein Nachspiel haben.

AUSSTELLUNG
zwischennordsüdTURM 11.03
e. d GFRERER "im westen (nichts) neues"

Ausstellungsdauer: bis 26.10.2011
Geöffnet jeweils FR, SA, SO 10.00-15.00 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung
Ausstellungsort: Basilika Mariazell, Turmkammer
Eintritt frei!

Veranstalter:
Basilika Mariazell
Benediktiner Superiorat
Kontakt: T +43 (0)3882/2595-0

Idee: Feyferlik / Fritzer, Graz

Über den Künstler e. d gfrerer:
geboren 1958 in Paternion/Ktn., aufgewachsen in Tamsweg/Sbg., Studium der Architektur in Graz, seit 1992 freischaffend, zahlreiche Ausstellungen in Rumänien, Sarajevo und Österreich, lebt in Graz.

Verfasser/in:
Ulrich Tragatschnig, Empfehlung
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16. + 17.11.2023
 
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