17/01/2023

Ein Gespräch mit Kjetil Trædal Thorsen und Patrick Lüth, Snøhetta, anlässlich der Ausstellung Changing Conditions und der Podiumsdiskussion Umweltbewusstsein versus Ästhetik in der Architektur?

Die Ausstellung ist bis 5.2.2023 im HDA zu besichtigen.

Die Podiumsdiskussion, eine Kooperation zwischen TU Graz und HDA, findet am 19.1.2023 um 18:30 Uhr an der TU Graz, Kronesgasse 5 / 1. Stock, 8010 Graz statt.

17/01/2023

MAX IV Laboratory Landscape: Landscape, Work Spaces, Master Planning, Public Space ©Snøhetta

©: Snøhetta

Powerhouse Telemark – a Sustainable Model for the Future of Workspaces ©Snøhetta

©: Snøhetta

Budapest South Gate Masterplan ©Snøhetta

©: Snøhetta

Changing Conditions Ausstellungsansicht ©HDA

©: Thomas Raggam

Changing Conditions Ausstellungsansicht ©HDA

©: Thomas Raggam

Ausstellung Changing Conditions: S-1500 ©Snøhetta

©: Thomas Raggam

Patrick Lüth, Kjetil Trædal Thorsen ©HDA

©: Thomas Raggam

Kjetil Trædal Thorsen ©HDA

©: Thomas Raggam

Ein Gipfel auf 2286 m, halbjährig schneebedeckt, zu überwindende 700 Höhenmeter, Schwierigkeitsstufe 3: Jedes Jahr steigen sie gemeinsam auf einen Berg. Nein, eigentlich auf DEN Berg Norwegens! Als Gruppe unternehmen sie die Anstrengung, einen Anstieg zu bewältigen: Training für den harten Alltag eines der berühmtesten Architekturbüros weltweit.

Snøhetta, das international agierende norwegisch-amerikanische Architekturstudio, steht wie kaum ein anderes für die Vereinbarkeit von räumlich-gestalterischem Anspruch und umweltverträglichem Bauen. Mittlerweile arbeiten über 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an neun Standorten an Projekten in allen Maßstäben und Gestaltungsfeldern – von der Entwicklung eines recycelbaren Materials für Stühle über Grafik, Ausstellungsdesign, Wohnbau, Bürobau und Umbauten bis hin zu großflächigen Landschaftsgestaltungen und Masterplänen auf städtebaulicher Ebene.

Das Gehen, so Büromitbegründer Kjetil Trædal Thorsen, sei wichtig, möchte man die Kernaufgabe der Architektur, die Gestaltung der gebauten Umwelt, immer wieder aufs Neue lösen. Gemeinsames Gehen trainiere und festige dazu das Gemeinschaftsgefühl. Leicht nachvollziehbar: Am Berg lernt man Kolleginnen und Kollegen in ungewohnter Situation kennen und es könnte sein, dass sich einiges umkehrt. Vielleicht gehen bei einer solchen Aktion auch Hierarchien durcheinander?

Der große Tisch

Für Snøhetta gibt es nicht in allen Phasen der Planungsarbeit klassische Hierarchien. Erste Konzepte werden ohne die üblichen „professionellen Rollen“ erarbeitet. Stattdessen, Thorsen lässt nicht locker, dies zu betonen, finden die Anfänge eines jeden Projekts gemeinschaftlich und im gleichberechtigten Austausch statt. Im Zentrum dieser Konzept- und Entwicklungsphasen steht – nicht nur metaphorisch gemeint – ein großer Tisch, an dem man, unabhängig von fachlichen Hintergründen, zusammen Ansätze und Ideen produziert und diskutiert. Generell flach, kehren Hierarchien dort zurück, wo sie in der Projektabwicklung unbedingt gebraucht werden.  

Walking is preventing yourself from falling forward!

Für Kjetil Trædal Thorsen ist das wiederkehrende Ritual der Bergbesteigung, „die Arbeit des Gehens und die Arbeit des Zusammenseins“, für die architektonische Arbeit existenziell, „es schärft die Beziehung zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Umgebung“. Dabei kann Umgebung Berg oder Gebäude sein. Den Umgang mit beiden müsse der Mensch stets weiter für sich entwickeln. Menschen sind in Kontakt mit Gebäuden, bewegen sich um, in und auf ihnen. Dazwischen-Sein, Innen-Sein, Oben-Sein, sind Erfahrungen, die über die Qualität von Gebäuden entscheiden. Thorsen sieht uns Menschen unentwegt damit beschäftigt, „nicht vorwärtszufallen.“ Wie das gehen kann, reflektieren Snøhetta in Publikationen. „Unser erstes Buch hieß Conditions. Wir haben darin versucht zu verstehen, wie die Voraussetzungen für Architektur entstehen und wie sich durch diese die Architektur entwickeln kann. Damals ging es schon um natural conditions, artificial und human conditions und darum, wie man sich durch Tun implizites Wissen über jede Art von Kontext und Umgebung aneignen kann. Changing Conditions zeigt jetzt zusätzlich die internen Voraussetzungen unseres eigenen Arbeitens als große Organisation, die sich fortlaufend ändern.“

Der Trick des Gelingens

Thorsen spricht von einem Trick, wenn es um Qualität und Architektur geht. „Nicht immer alle Probleme in ein und demselben Projekt lösen“ sei eine der Strategien, die Snøhetta erfolgreich macht. Das heißt, lieber einige kleinere Schritte umsetzen, als gar nicht von der Stelle kommen. So entstehen immer wieder Projekte, die ein Höchstmaß an Nachhaltigkeit vorweisen können und andere, die das in Teilaspekten tun. „Es gibt nicht das eine Projekt, in dem alle Strategien, die wir diskutieren, um nachhaltig zu agieren, umsetzbar sind.“ Aber das Ziel sei immer größtmögliche soziale und ökologische Verträglichkeit und eine Verbesserung bestehender Standards, pflichtet Patrick Lüth, Partner im Innsbrucker Studio, Thorsen bei.
Natürlich kommt man bei einigen Projekten an die Grenze der Durchsetzungsmöglichkeiten eines ökologischen Willens. Man gibt hier durchaus zu, dass nicht jedes Projekt zu 100 % den Nachhaltigkeitsansprüchen gerecht wird. Aber wären weniger Prozente nicht auch schon besser als ein Gebäude, das gar nicht unter dem Aspekt der CO₂-Reduktion und der Klimaneutralität entworfen wurde? Mittlerweile ist ihr grundsätzliches Ziel, energiepositive Gebäude zu entwerfen. Ein Beispiel, bei dem das gelungen ist, ist das 3580 qm umfassende Powerhouse Telemark, ein Co-Working-Officegebäude in Porsgrunn in Vestfold, Norwegen. Es ist das vierte energieproduzierende Gebäude, welches Snøhetta bisher ausführen konnte.

Nachhaltigkeiten

Suistainability liege auch in der Art und Weise, wie Gebäude und Projekte gedacht und dann auch umgesetzt werden können, vermitteln Thorsen und Lüth. Sie sei kein rein technischer Maßstab. Aktuell sei das eine Thematik der reichen Welt. „Degrowth gibt es einfach nicht, wenn man mit einem Dollar pro Tag überleben muss“. Snøhetta frage sich deshalb eher, was relevantes Wachstum sei und um wessen Nachhaltigkeit es langfristig gehe: um die der Menschheit? Oder um die der Natur, des Planeten? „Die Natur wird es schaffen, aber wir werden nicht unbedingt Teil davon sein“, ergänzt Kjetil Thorsen nicht mal resignierend, eher ruhig sagt er dies. Die Verteilung der Güter bei ansteigender Anzahl der Menschen ist und wird die entscheidende Frage bleiben. Wir werden aus diesem Grund auch weiter bauen müssen, können aber etwas daran ändern wie und womit wir bauen. Ca. 8 % des gesamten Kohlenstoffdioxids, das jährlich in die Atmosphäre gelangt, kommt aus der Betonproduktion und -verarbeitung. 80 % davon entsteht bei der Zementproduktion und der Aushärtung des Baumaterials. „Ansätze, wie Portlandzement CO₂-neutral hergestellt werden könnte, gibt es bereits“, erklärt Thorsen. Allerdings ist CO₂ intensiver Beton momentan das billigste Baumaterial am Markt. Die Verfügbarkeit macht seine Verwendung so wirtschaftlich.

Sensitising

Kein Wunder, dass man sich auch mit Designstrategien und Designnutzen an sich beschäftigt. Eines der eher künstlerischen und gesellschaftlich nachhaltigen Projekte ist Helmets for India. 17 Motorradhelme, von Künstlerinnen und Künstlern gestaltet, wurden versteigert und der Erlös wird verwendet, um auf verkehrssicheres Verhalten auf zwei Rädern aufmerksam zu machen. Aus ähnlichen Überlegungen heraus haben Snøhetta auch Kulturbauten im arabischen Raum realisiert, bei denen Frauen und Männer durch einen statt durch zwei getrennte Eingänge gehen. Oder eine Filmschule für Frauen, deren Filmemacherinnen einen Preis in Cannes erhalten haben. Aktuell arbeitet man an der ersten prä-islamischen Ausstellung für Schulkinder in Saudi-Arabien. Die Ganzheit der Ansätze finden sich bei Snøhetta folglich auch auf der ethischen und sozialen Ebene und der Bewusstseinsbildung wieder.

Spannungsverhältnisse

Am 19.1.2023 ist Kjetil Thorsen Teil einer Podiumsdiskussion in Graz. Thematisiert werden soll unter dem Titel Environmental awareness versus aesthetics in architecture? Umweltbewusstsein versus Ästhetik in der Architektur? wie hochwertige Architektur mit einem kleinen ökologischen Fußabdruck gelingt. Die Einladung zur Veranstaltung spricht von einem Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen an nachhaltige Projekte und hochwertiger Architektur sowie von einer Polarität von Klimaschutz und Entwerfen. Während Snøhetta diese Unterscheidung gar nicht erst trifft und die, wie Thorsen im Gespräch erwähnt, dramatischen Bedingungen (conditions) der heutigen Welt in seinem Architekturschaffen ins Zentrum rückt, als entwurfsgebend einfach annimmt, könnte man fragen, welche ernst zu nehmende Position in der Architektur denn dann noch übrig bleibt?

Veränderte Bedingungen

Die Ausstellung Changing Conditions wurde federführend vom Innsbrucker Büro um Patrick Lüth entwickelt. Dort stehen mehrere riesige Tische auf einem begehbaren Podest. Auf den Tischplatten sind der Reihe nach Projektzeichnungen aufgedruckt und Modelle zugeordnet – jeder Maßstab, in dem Snøhetta arbeitet, von Stuhl bis Städtebau, ist repräsentiert. Ergänzt werden Modelle und Zeichnungen durch großformatige Fotos realisierter Projekte. So wird das Thema der sich verändernden Bedingungen eher pragmatisch verpackt und durch klassische Architekturwerkzeuge präsentiert. Wer genau hinsieht, entdeckt in den Projekten die charakteristischen Entwurfsthemen und -haltungen einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit, welche Snøhetta auf allen Maßstabsebenen umzusetzen sucht. Die bedruckten Biofaser-Platten der Tische sollen an weiteren Orten gezeigt werden, während das Material der begehbaren Plattform letztlich die Zeichensäle der TU-Graz für den Modellbau erhalten. Snøhetta ist auch ein wenig coming home auf diese Art und Weise. Kjetil Trædal Thorsen studierte an der TU Graz, bevor er gemeinsam mit Craig Dykers, Christoph Kapeller, Øyvind Mo, Per Morten Josefson, Alf Haukeland, Martin Roubik und Johan Østengen das Studio 1989* gründete und eine spannende Geschichte begann. Die Projektliste auf der Homepage reicht bis 2027: Wenn das mal nicht zukunftsfit ist.

 

* so weiß es Wikipedia auf der Textseite zu Christoph Kapeller

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Über Snøhetta: Seit seiner Gründung 1989 anlässlich des Wettbewerbsgewinns für die neue Bibliothek in Alexandria, Ägypten, erlangte das norwegische Büro Snøhetta mit Projekten wie der Oper in Oslo, dem National September 11 Memorial Museum Pavilion oder der Neugestaltung des Times Square in New York internationale Bekanntheit. Seit 2011 ist Snøhetta auch mit einem Standort in Innsbruck vertreten. Insgesamt arbeiten über 350 Mitarbeiter aus über 30 Nationen in Oslo, New York, Innsbruck, Paris, Adelaide, Hongkong und San Francisco. Neben Architekt:innen, Landschafts- und Innenarchitekt:innen beschäftigt das transdisziplinäre Büro heute auch Produkt-, Grafik- und Brand-Designer:innen. In Österreich realisieren sie u. a. das Zumtobel Group Campus and New Light Forum in Dornbirn und die Swarovski Manufaktur in Wattens bei Innsbruck.

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